„Der Weg zur Demokratie war für deutsche Protestanten besonders lang“

Öffentliche Präsentation von Befunden des Forschungsprojekts „Evangelische Theolog *innen als Parlamentarier“ – EKD-Kulturbeauftragter Johann Hinrich Claussen stellt neue Publikationen der Theologen Arnulf von Scheliha und Uta E. Hohmann vor – Politische Aktivitäten protestantischer Theologinnen und Theologen vom 19. Jahrhundert bis heute

Prof. Dr. Arnulf von Scheliha und Dr. Uta E. Hohmann
Prof. Dr. Arnulf von Scheliha und Dr. Uta E. Hohmann
© exc

Pressemitteilung vom 3. November 2022

Der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster stellt kommende Woche zentrale Ergebnisse des Forschungsprojekts „Evangelische Theolog *innen als Parlamentarier“ vor. „Es war ein langer Weg des Monarchie-fixierten deutschen Protestantismus hin zur Akzeptanz von Demokratie und Pluralismus“, erläutern die evangelischen Theologen Prof. Dr. Arnulf von Scheliha und Dr. Uta Elisabeth Hohmann vom Exzellenzcluster, die zur öffentlichen Buchvorstellung und Diskussion am Mittwoch, 9. November, in Münster einladen. „Unsere Forschungen zeigen aber, dass gerade Abgeordnete mit evangelisch-theologischem Berufshintergrund wesentlich früher als bisher bekannt Denkmodelle ausbildeten, um protestantische Überzeugungen mit der demokratischen Idee zu verbinden.“

Der Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Prof. Dr. Johann Hinrich Claussen, stellt die Forschungsergebnisse vor. Die Veranstaltung „Erwählt oder gewählt?“ beginnt um 18.15 Uhr. Eine digitale Teilnahme via Zoom ist möglich. Es wird um Anmeldung bis 8. November bei Frau Martina Forstmann (forstma@uni muenster.de) gebeten. Präsentiert werden zwei neue Bücher aus dem Forschungsprojekt, der Sammelband „Eyn sonderlicher Gottisdienst?“ und die Monographie „Erwählt oder gewählt?“, in der Hohmann in drei Einzelstudien das politische Wirken der Theologen Rudolf Otto (1869–1937), Magdalene von Tiling (1877–1974) sowie Heinrich Albertz (1915–1993) darlegt. Bei der Veranstaltung stellen die beiden Theologen Prof. Dr Traugott Roser und Sophie Frühwald, die Abgeordneten Hans Roser (1931–2005) und Gertrud Bäumer (1873–1954) im Porträt vor.

Neue Datenbank „TheoParl“

„Uns haben besonders die wechselseitigen Rückkopplungseffekte zwischen dem politisch-parlamentarischen Handeln und dem protestantisch-theologischen Denken der Parlamentarierinnen und Parlamentarier interessiert“, führen Arnulf von Scheliha und Uta Elisabeth Hohmann aus. „Die Abgeordneten waren auf einer theologischen Suche nach dem richtigen Verhältnis von Protestantismus und Demokratie.“ Die von Hohmann und von Scheliha initiierte Datenbank „TheoParl“ ermöglicht erstmals eine genaue Bestimmung der Rolle von Theologinnen und Theologen: Wie ist der theologische Berufsstand in deutschen Parlamenten repräsentiert? In welchen Parteien engagieren sich evangelische Theologen in welchen Epochen vorrangig? Welche fachpolitischen Aufgaben werden im Parlament schwerpunktmäßig von evangelischen Theologen übernommen und lässt sich eine bestimmte Typologie von Karriereverläufen nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament feststellen?

Unter den theologischen Abgeordneten waren auch immer solche von größerer Bekanntheit, mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 stößt etwa die Pastorin Antje Vollmer ins Präsidium vor. Weitere bekannte theologische Mandatsträger*innen waren Susanne Kastner (SPD, Mandat 1989-2013), Peter Hinze (CDU, Mandat 1990-2017) sowie der spätere Bundespräsident Joachim Gauck (Bündnis 90/Grüne, Mandat 1990).

Die bisherigen Auswertungen des Datenmaterials ergaben auch: „Über die Epochen hinweg war der politische Protestantismus im ganzen Parteienspektrum vertreten, von mehrheitlich liberal im Kaiserreich über eher nationalistisch- und christlich-konservativ seit der Weimarer Republik hin zu sozialdemokratisch-grün seit der jüngeren Vergangenheit.“ Ausnahmen bestätigen die Regel: So gab es sozialdemokratische Protestanten vereinzelt auch schon im Kaiserreich. Der anfangs so starke Liberalismus ist deutlich geschrumpft, aber nicht ganz geschwunden. „In der Konstante ist aber das gesamte Spektrum abgedeckt“, erläutert Hohmann. Aktuell sind drei Mandatsträger*innen mit theologischem Hintergrund im Bundestag vertreten, in den jüngsten Landtagswahlen lässt sich ein Rückgang der theologischen Profession in den Parlamenten beobachten.

Die Datenbank „TheoParl“ verzeichnet aktuell rund 578 Einträge und strebt eine umfassende statistische Bestandsaufnahme von Parlamentariern auf Landes- und Bundesebene an. Als „TheoParl“ gelten Abgeordnete mit einem abgeschlossenen Studium der evangelischen Theologie und einem demokratisch erlangten Mandat. Diese scharfen Auswahlkriterien ermöglichen den Forschenden zufolge die Analyse über einen langen Zeitraum – Ziel ist eine möglichst vollständige Listung aller theologischen Mandatsträgerinnen und -träger seit 1848. Die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Auswertungen speisen sich aus unterschiedlichen Quellen wie Parlamentshandbüchern, Parteiakten und Nachlässen. (sca/vvm)

Buchvorstellung: Erwählt oder gewählt? | Mittwoch, 9. November 2022 | 18.15 Uhr | Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters, Raum JO 101 | Johannisstraße 4, 48143 Münster | anschließend Empfang im Foyer des Exzellenzclusters.

Anmeldung (digitale Teilnahme) bis 8.11.: Frau Martina Forstmann (forstma@uni muenster.de)

Literaturhinweise:

  • Uta E. Hohmann, Arnulf von Scheliha: „Eyn sonderlicher Gottisdienst?“ Evangelische Theologinnen und Theologen als Parlamentarier, Frankfurt: Campus 2022.
  • Uta E. Hohmann: Erwählt oder gewählt? Der Beitrag theologischer Parlamentarier:innen zur Annäherung von Protestantismus und Demokratie, Frankfurt: Campus 2023.