A Serious Matter? Religiöse Dynamiken im Film

Mit Filmen von: Luis Buñuel, den Coen-Brüdern, Kirill Serebrennikow und Youssef Chahine

© Neue Visionen Filmverleih

Luis Buñuel, die Coen-Brüder, Kirill Serebrennikow, Youssef Chahine: Im Wintersemester zeigt der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster im Clustergebäude sowie im Programmkino „Schloßtheater“ in Münster Filme bekannter Regisseure, in denen religiöse Menschen persönliche und gesellschaftliche Krisen durchleben. Wie Religion diese Konfl ikte bedingt, befördert oder auch zu bearbeiten hilft, thematisieren die Werke. Sie zeigen christliche Einsiedler in der Spätantike, religiöse Bewegungen im christlichen und islamischen Mittelalter sowie Identitätsfragen im modernen amerikanischen Judentum und die nationalistische Instrumentalisierung von Religion im heutigen Russland.

Zu Beginn jedes Filmabends geben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters aus Geschichtswissenschaft, Jüdischen Studien und Slawistik eine kurze Einführung ins Werk, besonders in seine jeweiligen politischen, kulturellen und religiösen Hintergründe. An die Aufführung schließt sich für Interessierte eine Diskussion an.

Die Filme zeigen religiöse Dynamiken auf unterschiedlichen Ebenen: einerseits als auf ein charismatisches Individuum ausgerichtete Bewegungen, wie sie in der Antike, aber auch in Mittelalter und Neuzeit wiederholt vorkamen, etwa im Umfeld von Propheten, Religionsstiftern, heiligen Männern und Frauen oder bei Ordensgründern und Wanderpredigern. Andererseits sind religiöse Dynamiken in traditionellen institutionellen Formen festgelegt und mitunter erstarrt. Sie fungieren aber gleichwohl als Anker für soziale Gemeinschaften und bieten Hilfe bei der Bewältigung individueller Problemlagen.

Religiöse Dynamiken erscheinen aber auch als gefährlich, wenn sich ihr Absolutheitsanspruch gegen soziale Gemeinschaften und Menschen richtet, die sich der Indoktrination durch rechthaberische Prediger verweigern. Die institutionelle Rahmung, Zähmung und Transformation religiöser Dynamiken, so zeigen die Filme, erweist sich somit in allen Epochen als eminent bedeutsame politische Aufgabe. (exc/sca)

08.11.2022, 19 Uhr:
Simón del desierto (Luis Buñuel, 1965)
Ort: Johannisstr. 1, JO 1; Einführung: Prof. Dr. Johannes Hahn
Länge: 45 Minuten; Sprache: Spanisch mit englischen Untertiteln; Altersfreigabe: FSK 18

Der syrische Säulenheilige Simón (historische Vorlage ist Symeon Stylites, gestorben 459) zieht sich als einer der ersten Asketen der Spätantike in die Wüste zurück, um Gott nah zu sein. Ohne es zu wollen, löst er dadurch eine religiöse Bewegung aus, denn große Scharen von Gläubigen pilgern zu ihm und erhoff en sich von ihm Hilfe bei Alltagsproblemen. In seinem Film zeigt der spanische Regisseur Luis Buñuel die Unfähigkeit des charismatischen Simón, eine wirkliche Beziehung zu den Hilfesuchenden aufzubauen, die er mit seiner religiösen Strenge überfordert. In einer surrealistischen Wendung wird der Asket vom Satan in einem Flugzeug in das moderne New York entführt, wo er sich in einen Intellektuellen verwandelt, der seine Zeit in angesagten Musikclubs verbringt, in denen er allerdings bloßer Zuschauer bleibt. Aus der Perspektive Buñuels ist die entfesselte religiöse Dynamik eine Illusion einzelner Anhänger des Charismatikers, die sich zum Teil an tradierten Verhaltensweisen und verinnerlichten religiösen Deutungsschemata festklammern. Die Dynamik läuft insgesamt ins Leere und erschöpft sich in vereinzelten individuellen Heilungserfolgen und Identifi kationsbehauptungen.

22.11.2022, 19 Uhr:
Das Schicksal (Youssef Chahine, 1997)

Ort: Schloßtheater, Melchersstraße 81, 48149 Münster
Einführung: Prof. Dr. Wolfram Drews; Länge: 135 Minuten Sprache: Französisch mit englischen Untertiteln Altersfreigabe: FSK 12

Religiöse Verfolgung im Hochmittelalter: Ein junger Mann flieht aus Südfrankreich, wo die Inquisition wütet, in das islamische Spanien, wo er in Córdoba im Haus des Philosophen und Richters Averroes aufgenommen wird. Hier erlebt er ein tolerantes und gebildetes Umfeld, in dem Frauen nahezu gleichberechtigt sind. Als aber die fanatische muslimische Bewegung der „Brüder“ Einfl uss auf den Kalifen gewinnt, verliert Averroes seine Position. Seine Schülerinnen und Schüler wollen das Werk ihres Meisters retten und schmuggeln es ins Ausland, auch in das christliche Frankreich. Der ägyptische Regisseur Youssef Chahine zeigt die Gefahren fanatischer Religiosität, die Wissen, Kultur und menschliches Zusammenleben bedroht. Aber durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit erscheint es möglich, das Wissen für die Nachwelt zu erhalten.

13.12.2022, 19 Uhr:
A Serious Man (Ethan und Joel Coen, 2009)

Ort: Schloßtheater, Melchersstraße 81, 48149 Münster
Einführung: Prof. Dr. Katrin Kogman-Appel Länge: 105 Minuten
Sprache: Englisch mit deutschen Untertiteln Altersfreigabe: FSK 12

Larry Gopnik durchlebt im Jahr 1967 in einer jüdischen Nachbarschaft im mittleren Westen der USA eine Lebenskrise. Seine Frau betrügt ihn, sein Sohn nimmt Drogen und seine berufl iche Zukunft ist schlagartig gefährdet. Wiederholt sucht er Rat bei Rabbinern, die ihn mit absurden Vertröstungen abspeisen. Die Coen-Brüder zeigen mit viel schwarzem Humor, wie die Religion auch in der Moderne die jüdische Gemeinschaft weiterhin zusammenhält, auch wenn jede religiöse Dynamik kaltgestellt ist. Gopnik als moderner Hiob muss sich selbst darum bemühen, einen Weg in der Gesellschaft und in der eigenen Familie zu fi nden. Dabei erweist sich das Lachen als wichtig für die Bewältigung der Probleme des modernen Lebens.

10.01.2023, 19 Uhr:
Der die Zeichen liest (Kirill Serebrennikow, 2016)

Ort: Schloßtheater, Melchersstraße 81, 48149 Münster
Einführung: Prof. Dr. Irina Wutsdorff Länge: 118 Minuten
Sprache: Deutsch Altersfreigabe: FSK 12

Im modernen Kaliningrad, der Heimat Immanuel Kants, bekehrt sich ein russischer Teenager zum Christentum. Ununterbrochen führt er Bibelverse im Mund und vertritt immer radikalere Positionen: Der Schwimmunterricht sei sündhaft, genauso wie der Kleidungsstil seiner Mitschülerinnen und Mitschüler. Scheidung, Homosexualität und Evolutionstheorie lehnt er ab. Nur die Biologielehrerin widerspricht ihm und versucht, die Ideale der Wissenschaft aufrechtzuerhalten. Trotzdem versucht sie darüber hinaus, auch in der Bibel Argumente zu finden, mit denen sie ihrem widerspenstigen Zögling Paroli bieten kann. Lehrer, Priester und Mitschüler geraten zunehmend in den Bann des Fundamentalisten, bis es schließlich zu einer Gewalttat kommt. Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow zeigt die destruktive Kraft von religiöser Dynamik im autoritären Russland Wladimir Putins. Sie führt zu Tod, zerrütteten sozialen Beziehungen und zur Abkehr von den Idealen einer aufgeklärten Moderne.