Weltanschauliche Neutralität des Staates?

Rechtswissenschaftler Horst Dreier diskutiert die Möglichkeit staatlicher Neutralität

Prof. Dr. Horst Dreier - Hans-Blumenberg-Gastprofessor
Prof. Dr. Horst Dreier - Hans-Blumenberg-Gastprofessor
© ill

Über die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates in Deutschland hat der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Horst Dreier am dritten Abend der Vortragsreihe der Hans-Blumenberg-Gastprofessur am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ gesprochen. „Der freiheitliche säkulare Staat verzichtet auf die Identifikation mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, klammert die Wahrheitsfrage aus und entkoppelt die Autorität des Rechts von der Autorität des Glaubens“, erläuterte der Rechtsphilosoph. Während für die Individuen daraus die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses erwachse, resultiere daraus für den Staat eine Pflicht zu religiös-weltanschaulicher Neutralität.

Audio Logo
Ton-Mitschnitt des Vortrags

„Dem Neutralitätsgebot kommt in der grundgesetzlichen Verfassungsordnung eine Schlüsselrolle zu“, erläuterte der Hans-Blumenberg-Gastprofessor. Er stellte zugleich infrage, ob sich Neutralität überhaupt realisieren lasse, da der freiheitliche Verfassungsstaat doch selbst auf bestimmten Wertentscheidungen aufbaue. „Kann und darf der Staat seine christlichen Wurzeln ignorieren, müssen seine Vertreter ihre religiösen Prägungen verleugnen, um dem Neutralitätsgebot zu genügen“, fragte Prof. Dreier weiter. Er erörterte auch, „ob nicht ohnehin schon in jeder Entscheidung über religiöse Konflikte eine wertende Stellungnahme liegt."

Privilegierung bestimmter Religionen?

Der Wissenschaftler ging in seinem Vortrag schließlich „gewissen virulenten Gefährdungen des Neutralitätsgebotes“ nach. Dazu zählte er „die Privilegierung solcher Religionen, die einer freiheitlichen Verfassungsordnung näher stehen als andere“. Der Vortrag trug den Titel „Zur (Un-)Möglichkeit religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates“.

Die Blumenberg-Vortragsreihe befasst sich mit den „Herausforderungen des säkularen Verfassungsstaates“. Der letzte Vortrag am 5. Dezember trägt den Titel „Sakrale Elemente im säkularen Staat?“. Der Gastprofessor erörtert darin, inwieweit das freiheitliche politische Gemeinwesen auf sakrale Elemente angewiesen ist. Der Vortrag ist von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal JUR 3 im Juridicum, Gebäude der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Universitätsstr. 14-16 in Münster zu hören.

Prof. Dr. Horst Dreier ist Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Würzburg. Von 2001 bis 2007 gehörte er dem Nationalen Ethikrat an. Der vielfach ausgezeichnete Forscher hat zahlreiche Publikationen vorgelegt, darunter „Säkularisierung und Sakralität“ (2013). Er ist im Wintersemester 2016/2017 Inhaber der Hans-Blumenberg-Gastprofessur am Exzellenzcluster „Religion und Politik“. Die Gastprofessur, benannt nach dem einflussreichen Philosophen Hans Blumenberg (1920-1996), soll dazu beitragen, innovative Impulse aus der internationalen Forschung nach Münster zu bringen, und die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit am Exzellenzcluster stärken. Dem Verbund gehören rund 200 Mitglieder aus gut 20 geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern an. (ill/vvm)