„Das Christentum ist keine Familienreligion“

Zeithistoriker Thomas Großbölting über die historischen Hintergründe des katholischen Familienbildes

Ansichtssache Familiensynode
Prof. Dr. Thomas Großbölting
© Julia Holtkötter

Zur Familiensynode, die am Wochenende in Rom zu Ende geht, hat Zeithistoriker Prof. Dr. Thomas Großbölting vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster einen Beitrag verfasst unter dem Titel „Katholische Familienpolitik in der Sackgasse. Wie die Fixierung auf die Sexualmoral den Zugang zur Familie verstellt“. Er ordnet darin das heutige, auf der Synode diskutierte Bild von Ehe, Familie und Sexualität historisch ein und legt dar, dass diese Tradition, die von vielen für „urkatholisch“ gehalten wird, nicht mehr als 150 Jahre alt sei.  Das „falsche Festhalten an den Engführungen der Tradition“ sei gerade Ursache für ihre mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung. (vvm)

Der Beitrag

Anfuehrungszeichen

Streit, fliegende Teller, Kopfschmerzen wegen nervender Kinder und Schwiegermütter – als Papst Franziskus Ende September im amerikanischen Philadelphia vor den Delegierten des katholischen Weltfamilientreffens sprach, da traf er mit seinen launigen Worten den Alltag vieler seiner Zuhörer. Wie einen Popstar feierten die Mütter, Väter und Kinder im Saal das Oberhaupt der katholischen Kirche. Wieder einmal war es Papst Franziskus gelungen, die Lebensnähe und Empathie zu demonstrieren, die viele von ihm erwarten. Als er dann in seiner spanischen Muttersprache die Kraft der Familie ebenso pries wie ihr Wirken als Keimzelle der Gesellschaft, sie als „Fabrik der Hoffnung“ und als „das Schönste, das Gott erschaffen hat“ feierte, da traf er nicht nur die Erwartungshaltung seiner Zuhörer, sondern verfiel ganz in den feierlich-emphatischen Sound des Lobpreises der Familie, dessen sich die katholische Kirche heute allenthalben bedient.

Familie – aktuell steht dieser Lebenszusammenhang im europäischen Teil der katholischen Kirche im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wenn auf der Familiensynode in Rom noch bis Ende der Woche um „Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute“ gerungen wird, dann geht es nicht nur um einige theologische Spitzfindigkeiten. Mit der Familie steht ein, vielleicht sogar das wichtigste Glied in der Tradierungskette christlich-katholischen Glaubens zur Diskussion. Wo Gemeindepastoral, missionarische Bewegungen oder das Vereins- und Verbandswesen als Transmitter nicht mehr funktionieren, da soll die Familie als „Kirche im Kleinen“ an deren Stelle treten. An diese Vorstellung klammern sich viele, die auf den Fortbestand der alten volkskirchlichen Strukturen setzen.

Erst die mediale Reflexion des Papstauftritts brachte dann die die Misstöne zum Klingen, die Franziskus elegant vermieden hatte: Empfängnisverhütung, Abtreibung, die Situation Homosexueller oder wiederverheirateter Geschiedener in der Kirche. Der mitreißende emphatische Familiensound des Papstes und das heute für viele eher befremdlich wirkende Gezerre um die Regulierung von individueller Lebensweise und Sexualität – wie passen diese beiden Tendenzen zusammen? Ein Blick in die Geschichte des Katholizismus hilft aufzuklären, warum sich familienpolitisch gerade der europäische Katholizismus in einer tiefen Sackgasse befindet.

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