„Eine politische Religion im säkularen Sinne“

Vortrag über das utopische Staats- und Frauenbild der spanischen Faschistinnen

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Dr. Toni Morant i Ariño

Über das utopische Staats- und Frauenbild spanischer Faschistinnen von Mitte der 1930er bis Anfang der 1940er Jahre hat der Historiker Dr. Toni Morant i Ariño in der öffentlichen Ringvorlesung des Exzellenzclusters gesprochen. Er legte dar, welche Vorstellungen sie von einem „Neuen Staat“ hatten und wie ihre eigene Rolle in Staat und Partei sein sollte. Der Vortrag trug den Titel „,Die großen Tage kommen‘: Zum utopischen Staats- und Frauenbild der spanischen Faschistinnen“.

Der Historiker erläuterte zunächst die faschistische Deutung der ersten spanischen Demokratie in der Zweiten Republik von 1931 bis 1936/9 bis zum Bürgerkrieg: Die Faschistinnen, die in Spanien Falangistinnen hießen, sahen diese Phase der Demokratie nach ihrem apokalyptischen Deutungsmuster als Lebensbedrohung für die nationale Existenz Spaniens an. „Bis in die 1940er Jahre lassen sich hier unmissverständliche Beispiele einer politischen Religion im säkularen Sinne nachweisen“, sagte Dr. Morant i Ariño. Schon im März 1933 bekannte sich der künftige Gründer der „Falange“, José Antonio Primo de Rivera, öffentlich zum Faschismus, den er als „neuen zivilen Glauben“ und als „eine Bewegung, die nun in Europa ihre Flut ankündigt“ bezeichnetete. Seine Parteikameradinnen sahen in der Falange die Verkörperung von „Spaniens Wahrheit“ und zugleich deren Missionarin, im Parteiführer einen „Prophet und Meister“ der „gepredigten Revolution“. In greifbare Nähe sei das politische Projekt einer faschistischen Utopie für die Falangisten jedoch erst infolge des Militärputschs vom Juli 1936 gerückt. „Der darauf folgende fast dreijährige Bürgerkrieg machte mit Hilfe des faschistischen Italiens und NS-Deutschlands die Republik zunichte und gipfelte 1939 in der endgültigen Machtergreifung Francisco Francos, der das Land bis zu seinem Tod 1975 diktatorisch regierte.“

„Im Gegensatz zur zeitgenössischen Einschätzung vieler katholischer Reaktionäre, betrachteten die Falangisten den Bürgerkrieg nicht als Wiederherstellung eines vergangenen, katholischen Zustands, sondern als Anfang für eine ‚nationalsyndikalistische‘, also im spanischen Sinne faschistische Revolution“, so der Wissenschaftler. Im zweiten Teil des Vortrags zeigte er, wie dieser „Neue Staat“ aus faschistischer Sicht aussehen sollte. „Ab 1939 erwarteten die Falangisten ein ‚neues Europa‘, in der sie eine führende Rolle hätten spielen sollen. Die Neuordnung sollte auf einen nationalsozialistischen ‚Endsieg‘ folgen.“ Das Zitat „Die großen Tage kommen“, den der Vortragstitel nennt, spiegele diese Zukunftsvorstellung der Faschistinnen wider. Der Satz stammt von Pilar Primo de Rivera (1907-1991), Schwester des Parteigründers und Nationaldelegierte der Sección Femenina (der „Weiblichen Abteilung“) der Spanischen Falange. Sie schrieb ihn Ende Juni 1941 in einem Rundbrief an andere faschistische Führungskräfte kurz nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion.

„Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie“

Plakat der Ringvorlesung „Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie“

Plakat

In der Ringvorlesung, die das Habilitandenkolleg des Forschungsverbunds organisiert, kommen Vertreter verschiedener Fächer zu Wort: Geschichts-, Rechts- und Politikwissenschaft, Germanistik, Philosophie, Archäologie, Ägyptologie und Kulturwissenschaft. Die Reihe widmet sich der Geschichte apokalyptischen und utopischen Denkens von der Antike bis heute und untersucht, wie religiöse und politische Elemente in Zukunftsvisionen verwoben sind. Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 13. Januar hält der Philosoph Prof. Dr. Josef Früchtl aus Amsterdam unter dem Titel „Neue große Erzählungen: Das Kino von ,Avatar‘ und ,Cloud Atlas‘“. (bhe/vvm)