„Aspekte der napatanischen Gesellschaft“

Archäologin Angelika Lohwasser über den Friedhof von Sanam im Nordsudan

Buchcover
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© Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Der kuschitische Friedhof von Sanam steht im Mittelpunkt einer Monographie der Ägyptologin Prof. Dr. Angelika Lohwasser vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“.  Das Buch ist unter dem Titel „Aspekte der napatanischen Gesellschaft. Archäologisches Inventar und funeräre Praxis im Friedhof von Sanam – Perspektiven einer kulturhistorischen Interpretation“ im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erschienen.

Der Friedhof von Sanam im Nordsudan wurde 1912/13 von Francis Ll. Griffith ausgegraben und 1923 in einem Vorbericht veröffentlicht. Die Dokumentation der Grabung befindet sich heute im Griffith-Institute in Oxford und konnte von der Autorin größtenteils aufgenommen werden. Darüber hinaus sind Originalobjekte der Grabung, die heute im Ägyptischen Museum und Papyrussammlung, Berlin, im Rijksmuseum van Oudheden, Leiden, und im Musées Royaux d’Art et d’Histoire, Brüssel, lagern, in die Untersuchung einbezogen worden. Viele dieser Objekte sind damit erstmalig publiziert.

Die Ägyptologin arbeitet das archäologische Material des Friedhofes von Sanam (ca. 800-600 v. Chr.) auf. Da bisher keine zusammenfassende Bearbeitung des funerären Materials der napatanischen Periode vorliegt, soll dies als Referenz zur funerären Kultur dieser Zeit dienen können. Gräber, Bestattungen sowie einzelne Objektkategorien mit deren Typologien sowie die systematische Analyse hinsichtlich ihrer inneren Zusammenhänge bieten eine Basis für Ver¬gleiche mit anderen Friedhöfen dieser Zeit. Dieses Material untersucht die Wissenschaftlerin mittels verschiedener Methoden und nach unterschiedlichen Blickpunkten hin. Diese Blickpunkte gehen als einzelne Kompo-nenten in das Gesamtbild des Friedhofes ein, die unter den Schlagwörtern Chronologie, Regionalität, Hierarchie, Kultur und Individualität zusammengefasst werden können. Diese Interpretation soll als Querschnitt durch eine „funeräre Sozietät“ gelesen werden können.

Soziale Unterschiede

Aufgrund der räumlichen Nähe zum Königsfriedhof von Nuri und den Werkstätten der Stadt Sanam kann darauf geschlossen werden, dass der Friedhof von Sanam von den Bewohnern dieser Stadt genutzt wurde, die der Autorin zufolge für die Verwaltung und Ausstattung der königlichen Begräbnisse verantwortlich waren und eine gesellschaftliche Mittelklasse darstellten. Auch soziale Unterschiede innerhalb dieser Mittelklasse können durch die Quantität und Qualität der Grabausstattung und Ausarbeitung der Gräber erkannt werden. Die ethnische Zugehörigkeit kann nicht festgestellt werden. Frühere Forscher versuchten, zwischen nubischen und ägyptischen Begräbnissen zu unterscheiden. Die Studie von Angelika Lohwasser zeigt jedoch, dass wir von einer napatanischen funerären Kultur sprechen müssen, die durch drei Elemente gekennzeichnet ist: erstens traditionell nubisch, zweitens ägyptischer Herkunft, jedoch bereits schon im Neuen Reich eingeführt, und drittens zeitgenössisch ägyptisch.

Die Ägyptologin versucht schließlich, die Bestattungsgemeinschaft von Sanam in ihrer Komplexität darzustellen. Über das strukturelle Bild hinaus wird mit der konkreten Diskussion von Bestattungen das Bild der funerären Praxis in Sanam vermittelt. Den Abschluss bildet eine Narrative zum Begräbnis, wie es durch die Befunde von Sanam zu fassen ist. Es handelt sich bei der Publikation um die 2008 an der Freien Universität Berlin eingereichte Habilitationsschrift Prof. Lohwassers, die im Jahr 2009 mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgezeichnet worden ist. (exc/ill)


Hinweis: Angelika Lohwasser, Aspekte der napatanischen Gesellschaft. Archäologisches Inventar und funeräre Praxis im Friedhof von Sanam – Perspektiven einer kulturhistorischen Interpretation (Contributions to the Archaeology of Egypt, Nubia and the Levant, Bd. 1). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2012, 521 Seiten, 978-3-7001-7003-7, 180,00 Euro.