Wenn Goldschmiedewerke verloren gehen

Ausstellung „Goldene Pracht“ erzählt bewegte Schicksale mittelalterlicher Schatzkunst

Büstenreliquiar der Heiligen Maria Magdalena

Büstenreliquiar der Heiligen Maria Magdalena aus dem Mindener Domschatz, 13. Jh. © Kath. Dompropstgemeinde St. Gorgonius und Andreas Ap.

Verkauft, verbrannt oder gestohlen: Viele Werke der Mittelalter-Ausstellung „Goldene Pracht“ in Münster haben über die Jahrhunderte ein wechselvolles Schicksal erlebt. „In Krisen- und Kriegszeiten waren wertvolle Goldschmiedearbeiten häufig von Raub und Zerstörung bedroht, und viele gingen unwiederbringlich verloren, da sie eingeschmolzen wurden“, erläutert Kurator und Kunsthistoriker Holger Kempkens. Bis heute habe sich allenfalls ein Prozent des ursprünglichen Bestandes an weltlichen und kirchlichen Goldschmiedewerken des Mittelalters erhalten. „Viele dieser – meist weggeschlossenen – Exponate blieben lange Zeit weitgehend unbeachtet, weil sie oft nur als Kunsthandwerk angesehen wurden. Diese Meinung habe sich erst in den vergangenen Jahrzehnten geändert, und die Forschung hat sich auch dieser Objekte verstärkt zugewandt – nicht zuletzt in dem Ausstellungsprojekt ‚Goldene Pracht’.“

Die Schau präsentiert rund 300 herausragende Werke des 10. bis 16. Jahrhunderts, darunter prachtvolle Schreine und Kelche, edelsteinbesetzte Kreuze und filigrane Schmuckstücke. Sie ist bis zum 28. Mai 2012 in Münster im LWL-Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte und in der Domkammer der Kathedralkirche St. Paulus zu sehen. Veranstalter sind das Bistum Münster, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster.

In der Ausstellung „Goldene Pracht“ erzählt der Raum „Der Schatz in der Kirche“ in der Domkammer die Geschichten verlorener Schatzstücke. „Raub, Beschädigungen, aber auch der Geschmackswandel wirkten sich über die Jahrhunderte stark auf den Bestand der kirchlichen Schatzkunst aus“, erläutert Bistums-Kurator Kempkens. Als Beispiel zeigt die Ausstellung eine Reliquienbüste der Heiligen Maria Magdalena aus dem Mindener Domschatz. „Bei einem Brand infolge der Bombenangriffe im Frühjahr 1945 wurde das Reliquiar durch Hitzeeinwirkung stark beschädigt: Der verkohlte Holzkern schrumpfte und das Gesicht der Büste wurde schwarz, wie man in unserer Ausstellung sehen kann.“ Andere herausragende Arbeiten wie der Soester Patroklusschrein aus dem 14. Jahrhundert, seit dem 19. Jahrhundert in Berlin, wurden im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört. Die Ausstellung präsentiert die wenigen davon erhaltenen Figuren aus Silber auf einem aus dem Material Corian nachgebauten Schrein.

Sakrale Kunst blieb vom Verkauf verschont

Insgesamt haben sich mehr sakrale als weltliche Goldschmiedewerke erhalten, wie Kuratorin Dr. Petra Marx vom LWL-Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte sagt. „Geweihte Stücke blieben eher von Verkauf und Verpfändung verschont und wurden nur in besonderen Notzeiten als Rücklage angegriffen.“ Weltliche Goldschmiedewerke hingegen hätten Erben vielfach genutzt, um Schulden oder Begräbnisse zu bezahlen oder um sie in fromme Stiftungen umzuwandeln. Marx: „Viele vollzogen mit der Stiftung ihres Schmucks oder anderer Wertgegenstände die von der Kirche geforderte Abwendung von weltlichem Prunk- und Standesdenken und die innere Hinwendung zu Gott.“

Auch Schätze der städtischen Obrigkeit wie das Ratssilber waren den Kuratoren zufolge stets einem Wandel unterworfen. „Immer wieder wurden die wertvollen Objekte als diplomatische Geschenke entnommen. In schwierigen Zeiten schmolz man Stücke ein und lieferte sie im Kriegsfall dem Feind aus. Der einzigartige Osnabrücker Ratsschatz mit dem bedeutenden Kaiser-Pokal ist daher ein Höhepunkt der Ausstellung“, so die Kuratorin. Zu umfangreichen Zerstörungen von Goldschmiedearbeiten kam es besonders in Krisenzeiten wie der Reformation mit den Bilderstürmen ab dem Jahr 1517, dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und der Säkularisationen ab 1802/03 infolge der Französischen Revolution. (vvm/ska)