„Was Religion mit Sexualität zu tun hat“

Exzellenzcluster untersucht im Wintersemester das Thema „Religion und Geschlecht“

dienstags 18.15 bis 19.45 Uhr, Hörsaal F2 Fürstenberghaus am Domplatz 20-22

Plakat der Ringvorlesung

Plakat der Ringvorlesung

Die drei monotheistischen Weltreligionen vertreten aus Historikersicht traditionell eine institutionelle Unterordnung der Frau unter den Mann. „Das hat mit den patriarchalischen Gesellschaften zu tun, denen die Religionen entstammen und die sich in Torah, Bibel und Koran niedergeschlagen haben“, sagte Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster. „Bis heute dürfen Frauen bekanntlich nicht Priester oder Imam werden. Katholische Kirche und Islam konservieren insofern eine vormoderne, patriarchalische Gesellschaftsstruktur.“ Die Historikerin kündigte eine öffentliche Ringvorlesung des Clusters zum Thema „Religion und Geschlecht“ an. Der erste Vortrag ist am 18. Oktober.

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Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger

Die Reihe mit dem Titel „Als Mann und Frau schuf er sie“ wird aktuelle Themen wie Frauen in der Kirche, Zölibat, Kopftuch, Homosexualität im Islam und feministische Aufbrüche im Judentum ansprechen, wie die Forscherin erläuterte. „Die Stichworte zeigen schon, dass Religionen sehr viel mit dem Verhältnis der Geschlechter zu tun haben.“ Die Reihe untersucht das Thema von der Antike bis heute. Es sprechen neben der Frankfurter Rabbinerin Elisa Klapheck Frauen und Männer verschiedener Fächer: aus Geschichts- und Literaturwissenschaft, Soziologie, Theologie, Jura und Ethnologie. Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr in Hörsaal F2, Domplatz 20-22, zu hören.

Dass die evangelische Kirche und das Judentum Frauen heute nicht mehr von geistlichen Ämtern ausschließen, zeigt nach Aussage der Historikerin, „dass religiöse Institutionen sich auf den historischen Wandel der Geschlechterordnung einstellen können. Heilige Texte sind auslegungsfähig.“ Den Islam von heute pauschal als „frauenfeindlich“ zu bezeichnen, lehnte die Wissenschaftlerin ab. Viele Muslime seien nicht patriarchalischer gesonnen als manch konservativer Christ. Derlei Allgemeinplätze dienten wohl dazu, sich im Westen der eigenen Fortschrittlichkeit und moralischen Überlegenheit zu versichern. „Es fragt sich aber, ob damit nicht auch von fortbestehenden Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern hierzulande abgelenkt wird.“

Geschlechternormen „gottgewollt und natürlich“?

Auf die Frage, ob Mann und Frau nicht in den meisten Religionen vor Gott gleich seien, antwortete Prof. Stollberg-Rilinger: „Im Jenseits vielleicht, aber nicht auf Erden.“ Wohl alle Religionen enthielten Aussagen zu Mann und Frau, etwa in Form von Normen, die bestimmten, in welcher Form sie zusammenleben dürfen, inwiefern Sexualität erlaubt ist und was ein Mann als Mann, eine Frau als Frau zu tun hat. „Noch elementarer sind die Mythen, religiöse Ursprungserzählungen, die verschlüsselte Vorstellungen über das Verhältnis von Mann und Frau enthalten. Denken Sie nur an die Erschaffung Evas aus Adams Rippe und die Verführung Adams durch Eva.“

Durch religiöse Mythen, Glaubenslehren und Kultpraktiken erscheinen die Geschlechternormen den Menschen als „gottgewollt und natürlich“, wie die Wissenschaftlerin sagte. „Das macht die Beharrungskraft der Geschlechterordnung so groß.“ Umgekehrt können Glaubensvorstellungen laut der Historikerin dazu beitragen, eine herrschende Geschlechterordnung in Frage zu stellen, „indem man sich etwa auf die spirituelle Gleichheit vor Gott oder auf individuelle prophetische Inspiration beruft.“
Fundamentalisten von heute sei allerdings die Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen ein zentrales Anliegen, so Prof. Stollberg-Rilinger. Sie sähen in der Gleichberechtigung der Frauen „all das, was sie an der Moderne beunruhigt.“ So definierten solche frommen Auserwählten in Christentum, Judentum und Islam sich oft über besonders strenge Geschlechternormen. „Sie gründen die Identität ihrer Gruppe auf die besondere sexuelle Reinheit und Keuschheit vor allem der Frauen, um sich von der sündhaften Umwelt abzugrenzen. Religiöse Reinheit wird mit sexueller Reinheit, der Glaube der Anderen mit sexueller Zügellosigkeit gleichgesetzt.“

Auch die katholische Kirche halte überkommene sexuelle Normen hoch, sei damit aber in die Defensive geraten, sagte die Wissenschaftlerin. „Man denke an das Keuschheitsgebot für Kleriker, das Verbot der Empfängnisverhütung oder die Verurteilung von Homosexualität.“ Gesellschaftlich könne die Kirche diese Forderungen nicht durchsetzen und habe es vermutlich noch nie gekonnt. „Dennoch werden die Normen aufrechterhalten. Wie stichhaltig die theologischen Argumente dafür sind, mögen die Theologinnen und Theologen beurteilen. Zweifellos dient, was da als religiöse Forderung verteidigt wird, auch der Zementierung von Machtverhältnissen.“ (vvm)

Programm

18.10.2011 Jochen Martin, Freiburg Männerwelten – Frauenwelten – Zwischenwelten in der römischen Republik
25.10.2011 Khola Maryam Hübsch, Frankfurt am Main Zwischen Gewaltopfer und Haremsphantasie: Zum Selbst- und Fremdbild der muslimischen Frau
08.11.2011 Eva Schlotheuber, Düsseldorf Neue Grenzen und neue Möglichkeiten – Religiöse Lebensentwürfe geistlicher Frauen in der Umbruchszeit des 12. und 13. Jahrhunderts
15.11.2011 Thomas Bauer, Münster Männerliebe in vormodernen und modernen islamischen Kulturen
22.11.2011 Sita Steckel, Münster Perversion als Argument. Wissensordnungen und Geschlechterordnung in religiösen Kontroversen des Hoch- und Spätmittelalters
29.11.2011 Werner Freitag, Münster Trösterin der Betrübten, Jungfrau, Mutter und Möhne. Pastorale Konzepte und weibliche Frömmigkeit im Bistum Münster um 1900
06.12.2011 Elisa Klapheck, Frankfurt am Main Frauen im Rabbinat – Feministische Aufbrüche im Judentum von der ersten Rabbinerin Regina Jonas bis heute
13.12.2011 Titia Loenen, Utrecht Women, law and religion: dealing with (potential) conflicts between freedom of religion and gender equality from a human rights perspective
20.12.2011 Bruce Dorsey, Swarthmore Religion, Gender and the Politics of Conspiracy in Nineteenth-Century America
10.01.2012 Jürgen Martschukat, Erfurt „Every thing that can be shaken will be shaken”. Die „Oneida Community” und die Familien- und Geschlechterordnung in den USA des 19. Jahrhunderts
17.01.2012 Christina von Braun, Berlin Die Funktion von Geschlecht in den fundamentalistischen Bewegungen
24.01.2012 Marianne Heimbach-Steins, Münster „...nicht mehr Mann und Frau“ (Gal 3,28). Geschlecht und Geschlechterverhältnisse – Provokation für Kirche und Theologie
31.01.2012 Manuel Borutta, Bochum Kulturkampf als Geschlechterkampf? Grenzen der Säkularisierung im 19. Jahrhundert
07.02.2012 Bijan Fateh-Moghadam, Münster Religiöse Neutralität und Geschlechterordnung – Europäische „Burka-Verbote“ zwischen Gender Mainstreaming und Rechtspaternalismus

Wintersemester 2011/2012
Dienstag 18.15 bis 19.45 Uhr
Hörsaal F2 im Fürstenberghaus
Domplatz 20-22
48143 Münster