Die Entwicklung kooperativen Verhaltens und Moralentwicklung

Moralentwicklung

Kontakt: Nils Schuhmacher, Niklas Dworazik, Eva-Maria Schiller, Joscha Kärtner

Auch wenn Kinder schon sehr früh Hilfeverhalten zeigen, so ist davon auszugehen, dass dieses frühe Verhalten noch nicht durch verinnerlichte moralische Konventionen motiviert ist. Neben der Untersuchung frühen kooperativen und prosozialen Verhaltens bei 1-3 Jahre alten Kindern untersuchen wir darüber hinaus auch die moralische Entwicklung von Kindern im Vorschul- und Schulalter (4 bis 14 Jahre). In unterschiedlichen Projekten gehen wir dabei mehreren Forschungsfragen nach:

  1. Ab wann sind moralische Normen bei Kindern verinnerlicht und werden somit handlungswirksam (Vorschulalter: 4-6 Jahre)?
  2. Welche Rolle spielt der sozio-kulturelle Hintergrund der Kinder für die frühe moralische Entwicklung (Vorschulalter: 4-6 Jahre)?
  3. Beurteilen Vorschulkinder moralische Verfehlungen anderes, wenn sie von einem Mitglied der eigenen Gruppe (ingroup member) oder einer fremden Gruppe (outgroup member) begangen werden?
  4. Von welchen Faktoren ist es abhängig, wie Kinder in moralischen Dilemma-Situationen entscheiden? Sind die moralischen Intuitionen von Kindern in Dilemma-Situationen bereits denen von Erwachsenen ähnlich? Bestehen Zusammenhänge zwischen den moralischen Präferenzen von Müttern und ihren Kindern (Vorschulalter: 3-6)?
  5. Wie ist der Zusammenhang zwischen moralischen Emotionen und Mobbing (bullying) unter Jugendlichen im Schulkontext zu sehen (Altersbereich: 12-14 Jahre)?

Um die moralische Entwicklung der Kinder altersgerecht zu erfassen, gehen wir methodisch sehr vielfältig vor: Wir erfassen die moralische/n Emotionen/Motivation der Kinder mit Bildvignetten, die moralische Verstöße darstellen (sog. happy victimizer Paradigma: Wie fühlt sich der Täter? Wie würdest du dich in einer solchen Situation fühlen? Warum fühlt X sich so?), wir befragen die Kinder zu moralischen Übertretungen Anderer. Zudem befragen wir Kinder und Mütter dazu, wie sie selbst bei moralischen Konflikten reagieren würden und warum (z.B. mit einer adaptierten Version der sogenannten Trolley Dilemmata, die auf kindgerechte Weise animiert dargestellt wird) oder was sie erwarten, wie andere in solchen Situationen reagieren würden. So werden klassische Gedankenexperimente aus der Moralphilosophie mit Hilfe ansprechender und altersgerechter Visualisierung auf das Vorschulalter übertragen und helfen dabei, die Einflussfaktoren zu bestimmen, die die moralische Urteilsfindung bei Kindern beeinflussen.

In einer aktuellen Studie haben wir die Entwicklung von und die Zusammenhänge zwischen moralischer Motivation, prosozialem Verhalten und den Erwartungen der Kinder an das moralische Verhalten Anderer untersucht (vgl. Forschungsfrage 1; N = 51; 4-6 Jahre). Dabei fanden wir einen signifikanten Alterseffekt für die moralische Motivation der Kinder und deren Erwartungen an das moralische Verhalten Anderer. Zudem ergab sich ein kohärentes Korrelationsmuster: Die moralische Motivation der Kinder hing sowohl mit dem eigenen prosozialen Verhalten als auch mit der Verhaltensvorhersage zusammen, was darauf hindeutet, dass sich im Laufe des Vorschulalters bei den Kindern ein integriertes moralisches System entwickelt.

In einer weiteren Studie (vgl. Forschungsfrage 2; siehe auch Alltagspsychologie) haben wir einen Stadt-Land Vergleich durchgeführt mit dem Ergebnis, dass Kinder aus dem ländlichen Kontext (n = 46) das Verhalten Anderer (Protagonisten in verschiedenen duty-desire conflict stories) eher auf Grundlage von duties (soziale Regeln & moralischen Normen) als von desires (persönlichen Wünsche der Protagonisten) vorhersagten. Im Vergleich dazu verwendeten die Stadt-Kinder (n= 55) verstärkt die persönlichen Wünschen der Protagonisten zur Verhaltensvorhersage. Zudem zeigte sich ein differenziertes Entwicklungsmuster: Kinder im städtischen Kontext berücksichtigten mit dem Alter zunehmed desires, wohingegen die ländlichen Kinder im Alter häufiger duties bei der Verhaltensvorhersage berücksichtigten. Diese Unterschiede lassen sich auf unterschiedliche Erfahrungen der Kinder in den jeweiligen sozio-kulturellen Milieus erklären und sinnvoll auf Grundlage des ökokulturellen Entwicklungsmodells interpretieren (Keller & Kärtner, 2013; Kärtner & Schuhmacher, 2014).

Die Befunde zum Thema moral impartiality (vgl. Forschungsfrage 3) weisen auf ein differenziertes Ergebnismuster hin: Beim moralischen Urteil (Wie schlimm findest du das Verhalten? Wie sehr sollte X dafür bestraft werden?) zeigten sich bei den Vorschulkindern keine Unterschiede für Ingroup und Outgroup Mitglieder. Bei der Frage nach sozialer Präferenz und Teilen (Wie sehr magst du XY? Wieviel würdest du mit ihm teilen?) zeigen die Kinder jedoch eine stabile Bevorzugung der Ingroup Mitglieder (sog. ingroup favoritism).

Ausgewählte Publikationen:

  • Dworazik, N., & Rusch, H. (2014). A brief history of experimental ethics. Experimental ethics (pp. 38-56) Springer.
  • Kärtner, J. & Schuhmacher, N. (2014). Folk models of human behavior and sociocognitive development. ISSBD Bulletin, 66, 6-8.