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Workshop: Zeiten des Mangels – frühneuzeitliche Literatur unter den Eindrücken der 'Kleinen Eiszeit'

Die umwelthistorischen Forschungen der vergangenen Jahrzehnte haben die frühe Neuzeit als eine Epoche gezeichnet, die unter den klimatischen Bedingungen der ‚Kleinen Eiszeit‘ zu leiden hatte. Lange Winter, Frühjahrsfröste, Hagel und Niederschläge zur Erntezeit sowie grundsätzlich eine verkürzte Vegetationsphase führten nicht allein in 'Jahren ohne Sommer' zu massiven Ernteeinbußen. Unter diesen litten insbesondere die ärmeren Teile der Bevölkerung, wobei sich hier ein Unterschied zwischen Stadt- und Landbevölkerung konstatieren lässt. Mögliche Begleiterscheinungen sind Teuerung, allgemeine Pauperisierung und eine damit einhergehende Verschlechterung der gesundheitlichen Situation und eine erhöhte Anfälligkeit für Seuchen, aber auch Veränderungen in Speiseplan und Handelswegen. Dominik Collet hat am Beispiel der Hungerkrise 1770–72 gezeigt, dass es sich bei Hungersnöten um sozio-naturale Krisen handelt, die nicht allein auf einen Faktor zurückgeführt werden können, sondern soziale und ökonomische Bedingungen mit klimatischen verknüpfen. Diese sozio-naturalen Krisen werden gegenwärtig in den Umweltwissenschaften unter den Schlagworten 'Vulnerabilität' und 'Resilienz' verhandelt. Fraglich ist, wie sich dieser sozioökonomische und körperliche Mangel in der Literatur niedergeschlagen hat und ob mit den beschriebenen Krisen auch eine spezifische ‚Ästhetik des Mangels‘ einhergeht. Im Anschluss an den Sammelband von Wesche, Amslinger und Fromholzer zu ‚Losen Leuten‘ in der frühneuzeitlichen Literatur sowie Roman Widders Monographie zur 'Arbeitenden Armut' wollen wir uns im Rahmen der Tagung mit Darstellungen des Mangels in der frühneuzeitlichen Literatur befassen, die die historischen Umweltbedingungen mit reflektieren. 

Mögliche Fragestellungen sind: Welchen Platz nehmen Darstellungen des Mangels im literarischen System der frühen Neuzeit ein? In welchen Gattungen und Schreibweisen werden sie darstellbar? Wie reagieren pragmatische Texte wie bspw. Hungerkochbücher, Ökonomiken und botanisches Schrifttum auf die angespannte Versorgungslage? Gibt es jenseits von positiven Darstellungen des Landlebens wie sie etwa Martin Opitz im Anschluss an Horaz entwickelt auch negative Repräsentationen? Welches mimetische Potential wohnt der Mangelliteratur inne und welches Potential bieten populäre Gattungen wie das Flugschrifttum, die auch niederen Ständen zugänglich waren, für eine Erforschung der Versorgungslage in der frühen Neuzeit? Welches Potential bieten Phantasien über Geld- und Gütervermehrung unter den Eindrücken allseits leerer Staatskassen? Wie werden innerhalb einer Sündenökonomie insbesondere ökonomische Überschreitungen wie Geiz, Habsucht und Völlerei geschildert? Welche anderen nicht ökonomisch bedingten Formen des Mangels, etwa in der geistigen Praxis, existieren zeitgleich und treten möglicherweise in ein produktives Austauschverhältnis mit diesen?

Im Rahmen des Workshops der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe "Die Spuren der 'Kleinen Eiszeit' in der Literatur der frühen Neuzeit (1570–1780)" wollen wir zum einen unsere bisherigen Projektergebnisse zur Diskussion stellen und zum anderen das Thema durch weitere literatur- und kulturwissenschaftliche Beispiele flankieren. Vorträge können sich mit Phänomen aus der Zeit vom späten 15. bis zum frühen 19. Jahrhundert auseinandersetzen, ein besonderer Fokus liegt aber auf Texten des 16. und 17. Jahrhunderts. Zu diesem Zweck bitten wir um Vortragsvorschläge im Umfang von max. 200 Wörtern für 20–30-minütige Vorträge. Eine Publikation der Workshopergebnisse ist geplant. Bitte senden Sie Ihre Abstracts bis zum 13. Februar 2026 an anne.ramin@uni-muenster.de und marvin.asmussen@uni-muenster.de.

Literatur (in Auswahl):

  • Dominik Collet, Maximilian Schuh: Famines During the ‚Little Ice Age‘ (1300-1800). Socionatural Entanglements in Premodern Societies. Cham 2017.
  • Franz Fromholzer, Jörg Wesche und Julia Amslinger (Hrsg.): Lose Leute. Figuren, Schauplätze und Künste des Vaganten in der Frühen Neuzeit. Paderborn 2019.
  • Daniel Krämer: „Menschen grasten nun mit dem Vieh“. Die letzte grosse Hungerkrise der Schweiz 1816/17. Mit einer theoretischen und methodischen Einführung in die historische Hungerforschung. Basel 2015 (Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte 4).
  • Roman Widder: Pöbel, Poet und Publikum. Figuren arbeitender Armut in der Frühen Neuzeit. Konstanz 2020. 
  • Amy Hessl, Dagomar Degroot, J. R. McNeill: The Oxford Handbook of Resilience in Climate History (im Erscheinen).