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Rhetorik-Analyse von Olaf Scholz im ZDF-Sommerinterview

Dr. Ortwin Lämke (Centrum für Rhetorik, Kommunikation und Theaterpraxis) beurteilt das Gespräch des SPD-Kanzlerkandidaten
Portrait Ortwin Lämke
Rhetorik-Experte an der WWU: Dr. Ortwin Lämke
© privat

Ende September entscheiden die deutschen Wählerinnen und Wähler über den 20. Deutschen Bundestag und damit auch über die Frage, wer die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel antritt. Das Centrum für Rhetorik, Kommunikation und Theaterpraxis (CfR) der WWU Münster nimmt diese Wahlkampfphase zum Anlass, Interviews und Reden im Vorfeld der Wahl wissenschaftlich zu untersuchen. Dr. Ortwin Lämke, Leiter des CfR, hat das ZDF-Sommerinterview von Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD, vom 22. August analysiert:

"Ohne Vorgeplänkel steigt ZDF-Journalistin Shakuntala Banerjee mit der Frage ein, wer im Wahlkreis Potsdam das Direktmandat holt: Annnalena Baerbock oder Olaf Scholz? Der SPD-Kanzlerkandidat reagiert lächelnd und selbstsicher, er werde das Mandat erhalten. Viel mehr an Emotionen erkenne ich in diesem ZDF-Sommerinterview nicht. Seine Mimik verrät wenig, seine Stimme ist ruhig, das Sprechtempo nicht übereilt, die Melodieführung passt zu diesem Bild und meidet Höhen wie Tiefen.

Dennoch spricht hier nicht der gefürchtete monotone 'Scholzomat'. Der SPD-Kanzlerkandidat wirkt auf mich hoch konzentriert, blickt Shakuntala Banerjee, die ihn kritisch befragt, während des gesamten Gesprächs in die Augen – bei Fragen wie Antworten. Seine Hände liegen verschränkt auf dem Tisch, er sitzt kerzengerade auf seinem Stuhl, thront fast schon. Von der relativen körperlichen Lockerheit, die er noch im ARD-Sommerinterview mit Tina Hassel vor einer Woche an den Tag legte, ist hier nichts mehr zu spüren und zu sehen. Der Umfragetrend hat sich verfestigt, es ist nicht aus der Luft gegriffen, dass Olaf Scholz der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden könnte. Man könnte meinen, das Amt hätte ihn schon im Griff – und er das Amt.

Im ZDF-Sommerinterview fehlt jedoch die ausgeprägte, strukturierende und unterstreichende Gestik, die er in der ARD noch gezeigt hatte und die ihm gut anstand. Denn sie erschien aus meiner Sicht nicht aufgesetzt, sondern begleitete das Sprechdenken spontan. Im jüngsten Interview taucht sie nur selten auf: Zum einen, als Olaf Scholz sich gegen Kritik an den Anti-Corona-Maßnahmen der Bundesregierung wehrt. Die Kamera zeigt seine Gestik nicht, man hört aber den Ehering rhythmisch auf den Tisch klacken. Zum anderen, als er die Bürgerinnen und Bürger auffordert, sich impfen zu lassen. Das unterstreicht die Wichtigkeit dieses Appells und wirkt angesichts der sonstigen Ruhe fast schon ausdrucksstark.

Meiner Meinung nach kehrt Olaf Scholz im ZDF-Sommerinterview auch bei den politischen Themen den Gestus des Staatsmannes hervor: Klar und hart auftreten, der AfD Wind aus den Segeln nehmen. Olaf Scholz rechtfertigt die Abschiebepolitik der Bundesregierung im Falle Afghanistans und will flüchtende Afghanen in der Region versorgt wissen. Kritik tropft an ihm ab, er antwortet mit positiven Zahlen (Corona-Hilfen), demonstriert Sachkenntnis, und richtet den Blick auf die Zukunft.

Anders als vor einer Woche, als er Angela Merkel in der ARD süffisant lächelnd und recht spitz die 'gute Fähigkeit, Sachen sehr lange auszuhandeln' attestierte, erfolgt dieses Mal kein Angriff gegen den Koalitionspartner. Es kommt auch keine Distanzierung zu Heiko Maas wegen dessen Afghanistan-Politik. Es fehlt aber auch jede demonstrative Unterstützung des SPD-Ministers, sodass man den Eindruck gewinnen kann, Olaf Scholz habe andere Pläne mit dem Außenministerium und berücksichtige womöglich bereits die Interessen eines künftigen Koalitionspartners.

Ein solch feines Spiel mit Andeutungen signalisiert aus meiner Sicht im Verbund mit dem vorherrschenden Gestus der konzentrierten Sachlichkeit, Ruhe und Entschlossenheit vor allem Machtbewusstsein. Der SPD-Kanzlerkandidat lässt sich nicht unterbrechen, sondern spricht einfach weiter, wenn die Journalistin ihm in die Parade fahren will; auch wehrt er sich beim Thema Corona-Nothilfen ganz unaufgeregt gegen ihre Kritik ('Ich glaube, Ihre Analyse ist falsch').

Mein Fazit zur Rhetorik des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz im ZDF-Sommerinterview: Hier spricht Ihr Bundeskanzler."

Centrum für Rhetorik, Kommunikation und Theaterpraxis