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Entscheidungen im 15. und 16. Jahrhundert

Start eines neuen DFG-Projekts zu Entscheidensszenen im frühneuhochdeutschen Prosaroman
Projektplakat
Szene Übergabe Geldsäckel, Druck "Fortunatus", nach 1600, HAB Wolfenbüttel
© Germanistisches Institut

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert seit diesem April bis zum März 2024 das Projekt "Entscheiden im Prosaroman des 15. und 16. Jahrhunderts". Unter Leitung von Prof. Dr. Bruno Quast (Germanistisches Institut) untersuchen Dr. Susanne Spreckelmeier und Tim Meyer in drei Unterprojekten Entscheidensdiskurse in frühneuhochdeutschen Prosaromanen des 15. und 16. Jahrhunderts. Sie analysieren Sinndimensionen erzählten Entscheidens und arbeiten an der Bestimmung der Rolle des Entscheidens als Vermittlungsverfahren zwischen Individuum, Gesellschaft und transzendenten Mächten. Das DFG-Projekt betrachtet Entscheidensszenen aus historisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive und erörtet die literarische Darstellung von Entscheiden in narratologischer und diskursgeschichtlicher Hinsicht.

Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass das Entscheiden in Abgrenzung von den sozial- und wirtschaftswissenschaftlich geprägten decision sciences nicht mentaler, rationalistischer und routinehafter Akt ist, sondern ein soziales, durch kulturelle Semantiken und Narrative geprägtes Handeln darstellt. In der Konsequenz ist Entscheiden zwischen sich ausschließenden Alternativen keineswegs die Regel, sondern die Ausnahme. Entscheiden markiert vielfach biographische Wendepunkte und stellt epochenübergreifend einen attraktiven Erzählgegenstand dar. Im vormodernen volkssprachlichen Roman geraten aus der Perspektive des Entscheidens Lebenswegentscheidungen, monologisch verhandelte Gewissenskonflikte, Gerichtsprozesse und -urteile sowie göttliches und schicksalhaftes Entscheiden in den Blick. Literatur tradiert spezifische Entscheidensnarrative, diskutiert Handlungsspielräume des Individuums gegenüber transzendenten Mächten und reflektiert gesellschaftlich präferierte Formen kollektiver und individueller Konfliktlösung.

Das neue DFG-Projekt am Germanistischen Institut der WWU nimmt zum einen die in ihrer Zeit erfolgreichsten Werke der Erzählliteratur in den Blick, wie zum Beispiel Thürings von Ringoltingen "Melusine" (1456), den anonymen "Fortunatus" (Erstdruck 1509) und das "Faustbuch" (Erstdruck 1587), und setzt zum anderen einen Schwerpunkt auf die Werke Jörg Wickrams. Es sieht zudem Vergleiche mit Entscheidensszenen des mittelalterlichen höfischen Romans vor. Das Projekt möchte so einen Beitrag zur historischen Dimensionierung des Themas ‚Entscheiden‘ sowie zur Bestimmung der Rolle von Literatur in der frühneuzeitlichen Gesellschaft leisten.

Germanistisches Institut