Andreas KalipkeAndreas Kalipke

Curriculum Vitae

  • geb. 1978 in Essen
  • 1999-2004: Studium der Geschichte und Katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum
  • 2000-2004: studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Ruhr Universität-Bochum bei Prof. Dr. Rainer Walz
  • WiSe 2001/02: Auslandssemester an der Université François Rabelais in Tours (F)
  • 2003/2004: Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes
  • Nov. 2004: 1. Staatsexamen, Thema der Staatsarbeit: "Die Lehre vom Widerstandsrecht bei Theodor Beza"
  • 2005-2006: wissenschaftliche Hilfskraft an der Historischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum
  • Seit März 2006: Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Leibniz-Projekt "Vormoderne Verfahren" von Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger

 


  

Dissertation:

"Konfessionsgesellschaft im Konflikt. Konfessionskonflikte im Alten Reich und ihre Behandlung durch das Corpus Evangelicorum im 18. Jahrhundert" (Arbeitstitel)

Das Corpus Evangelicorum, der Zusammenschluß der lutherischen und reformierten Reichstände, resultierte bekanntermaßen aus der im Instrumentum Pacis Osnabrugense verankerten itio in partes. Diese war aus dem Bestreben, die aequalitas exacta mutuaque zwischen den Religionsparteien herzustellen, erwachsen und sollte mit der aus ihr resultierenden tractatio de corpore ad corpus und der idealiter sich anschließenden amicabilis compositio den strukturellen Nachteil der Protestanten, sich im Kurfürsten- und Fürstenrat in der Minderheit zu befinden, ausgleichen. Mit der itio in partes wurde ein Verfahren bereitgestellt, welches die Bearbeitung konfessioneller Konflikte innerhalb der Reichsverfassung ermöglichte und ihnen so den systemsprengenden Charakter zu nehmen geeignet war. Der politische Kompromiß fungierte, um mit Martin Heckel zu sprechen, als "juristisches Lösungssurrogat für die mangelnde amicabilis compositio im religiösen Kernbereich".
Die zu Beginn des 18. Jahrhunderts eintretende verstärkte Institutionalisierung des Corpus ist jedoch mit der itio allein nicht zu erklären. Hier war vielmehr ausschlaggebend, daß sich das Corpus zur Aufrechterhaltung des Friedens das ius intercedendi für reichsmittel- und -unmittelbare Stände oder Untertanen zumaß, die sich in ihrer Religionsausübung gegen die die Bestimmungen des Westfälischen Friedens graviert sahen. Mit dem Kaiser und dem katholischen Reichsteil konnte über die Legitimität dieser Interzessionen keine Einigkeit erzielt werden, wie auch die Interpretationen der Reichsreligionsverfassung der Konfessionsparteien generell divergierten und damit Konfliktpotential darstellten.
Die sehr umfängliche Zuständigkeit für jedwede Art evangelischer Religionsgravamina im Reich, die sich das Corpus Evangelicorum zumaß, ist der Ansatzpunkt des Dissertationsprojektes. Im Zentrum steht nicht die Frage nach den normativen Voraussetzungen des corporalen Handelns, die von der Rechts- und Verfassungsgeschichte bereits erforscht sind, sondern die zahlreichen konfessionellen Konflikte, in welche Untertanen mit ihren Obrigkeiten oder territoriale Obrigkeiten untereinander verwickelt waren, und die beim Corpus auf Suppliken der Betroffenen hin behandelt wurden. Hier ist mit dem durch Niklas Luhmann bereitgestellten Instrumentarium der Verfahrenstheorie zu fragen, wie das Verfahren zur Bearbeitung dieser Konflikte beim Corpus Evangelicorum beschaffen war. Dabei sind die vormodernen Spezifika bei der Anwendung der von Luhmann für die moderne, ausdifferenzierte Gesellschaft des Westens formulierten Theorie, wie bspw. das hohe Gewicht, welches Stand und Rang entgegengebracht wurde, in Rechnung zu stellen. Wie ist es etwa um den Zusammenhang von technisch-instrumenteller und symbolisch-expressiver Verfahrensdimension und die Verfahrensautonomie unter diesen Vorzeichen bestellt? Von Interesse ist aber auch das Verhältnis von Religion, Recht und Politik. Als Teil des Reichstages war das Corpus an der Herstellung allgemein verbindlicher Entscheidungen beteiligt und somit der politischen Sphäre zuzuordnen. Als Interzessor für konfessionell Gravierte mußte es sich an der Kategorie Recht/Unrecht auf der Basis des Westfälischen Vertragswerkes orientieren und besaß damit einen - zwischen den Konfessionsparteien freilich umstrittenen - Anteil an Rechtsprechung bzw. -durchsetzung im Reich. Basis aller Bemühungen war gleichwohl die - juristisch eingehegte - Religionsfrage. Hier ist nach Interferenzen zu fragen: Wie stark bedingten konfessionelle Motive die politische Position? Aber auch: Wie stark bedingten politische Rücksichtnahmen das Engagement des Corpus für die bedrückten Stände?
Zudem soll untersucht werden, ob und wie es den Untertanen gelang, auf den Fortgang des Verfahrens Einfluß zu nehmen. Besaßen sie Möglichkeiten das Handeln der evangelischen Reichstagsgesandten in Ihrem Sinne zu beeinflussen? Wie gelang ihnen dies, bzw. wie versuchten sie es? Und zudem: Wie entwickelte sich der Konflikt auf der unteren Ebene, bevor und während er auf Reichsebene verhandelt wurde? An welchen Kategorien orientierte sich der gemeine Mann, die territoriale Elite, die Reichsdiplomatie? Veränderten sich die Konfliktstrukturen und die Argumentationen im Zusammenhang der Aufklärung?
Ziel der Untersuchung ist es somit zum einen, in einer Analyse des Innenverhältnisses des Corpus Aufschluß über das corporale Verfahren vor dem Hintergrund von Verfahrens- und Institutionentheorien zu erlangen. Zum zweiten ist das Handeln des Corpus nach außen als eines eigenständigen Akteurs der Reichspolitik im Verhältnis zu den katholischen Ständen zu beleuchten. Zum dritten sollen konfessionelle Streitigkeiten in Entstehung und Verlauf anhand von Mehrebenenanalysen (gemeiner Mann, territoriale Eliten, Reichsdiplomatie) in Fallstudien untersucht werden. In den genannten Feldern soll auch jeweils das Verhältnis von Recht, Religion und Politik thematisiert werden. Quellengrundlage sind bisher kaum beachtete Bestände zum Corpus Evangelicorum im Hauptstaatsarchiv Dresden, die, im Gegensatz zu zeitgenössischen Editionen der offiziellen Schlüsse und Schreiben, Einblicke in die informale Ebene des Verfahrens bieten; territoriale und kommunale Bestände treten hinzu. Zeitraum der Untersuchung ist das 18. Jahrhundert, in dem das Corpus institutionell verfestigt war.