Wirtschaft und Sozialethik

‚Wirtschaft‘ bezeichnet im weitesten Sinne jenen Gesellschaftsbereich, der das Zusammenleben der Menschen und ihren Umgang mit der Welt in entscheidendem Maße prägt. Denn unter welchen Bedingungen Menschen arbeiten, welche Güter wann, wie, wo und in welchen Mengen produziert, welche Dienstleistungen erbracht und wie Einkommen und Vermögen verteilt werden, und schließlich wie dabei mit der Welt umgegangen wird – all diese Fragen werden durch die Wirtschaft erheblich mitbestimmt.

So ist es nicht verwunderlich, dass sich auch die Sozialethik seit jeher in ethischer Hinsicht mit der Wirtschaft beschäftigt. Den Hintergrund bildet dabei der im geschichtlichen Kontext der neuzeitlichen Entwicklung und der ‚Sozialen Frage‘ erkannte Zusammenhang, dass auf gesellschaftliche Fragen, die sich im Zuge ökonomischer Entwicklung zwangsläufig neu stellen, soziale Antworten gefunden werden müssen. Eine Christliche Sozialethik, so ließe sich festhalten, die von der Verkündigung der Botschaft von Heil, Erlösung und Befreiung durch Gott ausgeht und deren je neue Verlebendigung in der Perspektive der christlichen Welt- und Gestaltungsverantwortung denkt, kann nicht auf eine Disziplin verzichten, die die Wirtschaft, ihre Strukturen, Prozesse und Institutionen auf deren ethische Relevanz und Qualität hin analysiert und begleitet, kurz: „Zur Wirtschaftsethik gibt es keine Alternative“ (Hengsbach 1991).

  • Religion und Wirtschaftsethik

    Religion beeinflusst das Denken und Handeln der meisten Menschen auf diesem Planeten – über 80 Prozent der Weltbevölkerung fühlen sich einer Religion zugehörig, in vielen Teilen der Welt liegt dieser Anteil noch höher. Dabei beschränkt sich die Bedeutung von Religion nicht auf einen privat-spirituellen Raum. Vielmehr besitzt Religion gesellschaftliche Gestaltungskraft – zum Guten wie zum Schlechten. Damit erscheint Religion aber nicht nur als Ressource für das persönliche leib-seelische Wohlergehen, sondern auch als soziale und motivationale Werte-Ressource für das Aushandeln sozialer Konflikte und die Bewältigung globaler Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund fragen wir am ICS danach, wie der ‚Faktor‘ Religion in einem globalen Wirtschaftszusammenhang berücksichtigt und das positive Potential von Religionsgemeinschaften und religiösen Akteuren einbezogen werden kann.

    Bachmann, Claudius (2016): „Neue Leitbilder für den Fortschritt“ (LS 194). Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung praktischer Weisheit als neues Leitbild in der Marktwirtschaft. In: AUC THEOLOGICA 6 (1), 49–68. https://doi.org/10.14712/23363398.2016.3.

    Bachmann, Claudius u. a. (2016a): Empowering practical wisdom from religious traditions. A ricoeurian approach. In: International Journal of Corporate Social Responsibility 1 (1), 1–9. https://doi.org/10.1186/s40991-016-0011-7.

    Verantwortlich:

    Dr. Dr. Claudius Bachmann

    Finanzierung: Eigenmittel

  • Christliche Wirtschafts- und Unternehmensethik

    Eine weitere Facette des Forschungsfelds richtet sich auf die Vermittlung von Wirtschaftsethik und Christlicher Sozialethik. Religion kommt hier nicht primär als soziale Ressource, sondern als eine ethische Wissenschaftspraxis in den Blick, die sich in den Traditionszusammenhang der christlichen Religionen stellt. Ein wichtiger Fluchtpunkt sind dabei systematisch-ethische Überlegungen zu Selbstverständnis, Funktion und Potenzial einer christlichen Wirtschaftsethik sowie das Ausloten und Diskutieren der Grenzen eines solchen Ansatzes.

    Zu beachten ist dabei, dass die Bezeichnung ‚christliche Wirtschaftsethik‘ möglicherweise suggeriert, es gäbe eine konsistente, homogene Disziplin, die Wirtschaftsethik in christlicher Form und Inhaltlichkeit betreiben würde. Tatsächlich verbirgt sich dahinter aber eine überaus heterogene Sammlung christlich perspektivierter Verständigungen darüber, wie Wirtschaft ethisch zu fassen ist, die nicht selten auch unterschiedliche wirtschaftsethische Antworten und Positionen beinhaltet.

    Begründungstheoretisch beschäftigt uns dabei sowohl eine Begründungsperspektive ad intra, die eine disziplinäre Selbstvergewisserung zum Ziel hat (‚Warum‘-Frage) als auch die korrespondierende Perspektive ad extra, die die Funktion eines solchen Vermittlungsvorhabens plausibilisieren soll (‚Wozu‘-Frage).

    Anwendungsethisch kommen jene sozial- und wirtschaftsethischen Herausforderungen in den Blick, die in christlich-sozialethischer Perspektive in besonderer Weise zur Bearbeitung aufgegeben sind und für die eine christliche CSE eine besondere Sensibilität mitbringt. Das gilt zu allererst im Hinblick auf den notwendigen Strukturwandel hin zu neuen gemeinwohl- und umweltverträglichen Formen des Wirtschaftens und betrifft die damit verbundenen Fragen nach fairer Verteilung von Chancen, Bildung und sozialer Teilhabe. Das gilt aber ebenso hinsichtlich vielfältiger ethisch relevanter Einzelfragen, die sich im Zuge Ökonomie-induzierter Transformationen zwangsläufig neu stellen.

    Bachmann, Claudius (2025): Narrativität in der Sozialethik. Eine paradigmatische Erkundung im Hinblick auf die Management Studies (Gesellschaft - Ethik - Religion, 25). Paderborn: Brill | Schöningh.

    Bachmann, Claudius (2020): "Eine oszillierende Einheit" (W. Korff) - Sozialethische Erkundungen einer wirtschaftsethischen Topologie. In: Bachmann, Claudius u. a. (Hg.): Wirtschaftsethik. Sozialethische Beiträge, 17–60.

    Bachmann, Claudius; Kaiser-Duliba, Alexandra; Sturm, Cornelius (Hg.) (2020): Wirtschaftsethik. Sozialethische Beiträge (Forum Sozialethik, 21). Münster: Aschendorff Verlag.

    Kroll, Christian (2022): Mehr Ethik durch Multirationales Management. Sozial- und unternehmensethische Potenziale einer neuen ökonomischen Denkschule. Freiburg: Lambertus Verlag.

    Kroll, Christian (2020): Sozialökonomische Rationalität in Unternehmensberatungen? Eine qualitativ-empirische Spurensuche. In: C. Bachmann, A. Kaiser-Duliba und C. Sturm Hrsg. Forum Sozialethik, Band 21: Wirtschaftsethik. Sozialethische Beiträge. Münster: Aschendorff Verlag. S. 223–247.

    Kroll, Christian und Rühle, Rebecca C. (tbd; laufendes Project): The Ethical Principle of Subsidiarity as a Benchmark and orientation for structuring organizations in a just way.

    Verantwortlich:

    Dr. Dr. Claudius Bachmann

    Dr. Christian Kroll

    Finanzierung: Eigenmittel

  • Wirtschaftsethische Ressourcen in der christlich-sozialen Tradition

    Seit Beginn der päpstlichen Sozialverkündigung mit dem Erscheinen der ersten Sozialenzyklika Rerum novarum (1891) von Papst Leo XIII. äußern sich christliche Stimmen immer wieder zu ethischen Fragen und Belangen (in) der Wirtschaft. In besonderer Weise kommt es zu Äußerungen und Stellungnahmen der verschiedenen christlichen Akteure immer dann, wenn ein Unbehagen gegen eine ‚Wirtschaft ohne Moral‘ zum Ausdruck gebracht und auf Ungerechtigkeiten und Unmenschlichkeiten des Wirtschaftssystems aufmerksam gemacht werden soll. Christliche Laieninitiativen, Ortsgemeinden und kirchliche Sozialverbände, die aus unmittelbarer Nähe prekäre Arbeitsverhältnisse, die Bedrohung ganzer Belegschaften durch Betriebsstilllegungen oder den zerstörerischen Umgang mit der Natur erleben, fragen nach dem Sinn wirtschaftlicher Entscheidungen und technologischer Entwicklungen. Die lehramtliche Sozialverkündigung bezieht in ihrem Bemühen um gesellschaftliche und soziale Orientierung Stellung gegen wirtschaftliche Fehlentwicklungen und Entmenschlichungen.

    Vor allem im Hinblick auf konkrete Sachfragen angewandter Wirtschaftsethik interessieren wir uns für eine Relektüre jener Ressourcen oder Anknüpfungspunkte aus der jüngeren christlich-sozialen Tradition (in der kirchlichen Sozialverkündigung, den Beiträgen der Sozialverbände und anderer Akteure christlicher Praxis sowie der wissenschaftlichen Sozialethik), die – zeitgemäß reformuliert und aktualisiert – möglicherweise auch in aktuellen sozialpolitisch-wirtschaftsethischen Debatten als substantiell bereichernd oder inspirierend wahrgenommen werden können.

    Bachmann, Claudius (2021): Lohn(un)gerechtigkeit – wirtschafts- und sozialethische Überlegungen (Sozialethische Arbeitspapiere des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften, 15). Münster: Universität Münster. https://doi.org/10.17879/74089678317.

    Bachmann, Claudius (2021): Drei FAQs zur Wirtschaftsethik in Fratelli tutti. Wie wollen wir warum wirtschaften? Wer soll wo handeln? Hat Franziskus Recht? In: Journal for Markets and Ethics 9 (2), 49–59. https://doi.org/10.2478/jome-2021-0004.

    Bachmann, Claudius; Heimbach-Steins, Marianne (2022): Alterssicherung – Lebensqualität – Teilhabe. Eine sozialethische Arbeitsskizze in programmatischer Absicht (Sozialethische Arbeitspapiere des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften, 18). Münster: Universität Münster. https://doi.org/10.17879/93049461161.

    Das Themenfeld weist zudem Überschneidungen zur Arbeit des Jahrbuchs für Christliche Sozialwissenschaften der letzten Jahre auf:

    Bachmann, Claudius; Heimbach-Steins, Marianne (2024): Ganzheitliche Ökologie und globales Gemeinwohl – 10 Jahre Laudato Si'. Konzept des Jahrbuchs für Christliche Sozialwissenschaften, Band 66/2025.

    Bachmann, Claudius; Heimbach-Steins, Marianne (2025): Krise des Multilateralismus – geo-sozialethische Perspektiven. Konzept des Jahrbuchs für Christliche Sozialwissenschaften, Band 67/2026.

    Verantwortlich:

    Dr. Dr. Claudius Bachmann

    Finanzierung: Eigenmittel