In memoriam Bischof em. Dr. Josef Homeyer – homo religiosus et politicus

Das Institut für Christliche Sozialwissenschaften trauert um Bischof em. Dr. Josef Homeyer, dem Direktorin und Mitarbeiter seit vielen Jahren eng verbunden waren. Der emeritierte Bischof von Hildesheim verstarb am 30. März 2010 im Alter von 80 Jahren unerwartet an den Folgen einer Operation.

Als langjähriger Vorsitzender der Kommission VI für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz und als Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (ComECE) hat Homeyer tatkräftig und mit sensiblem Gespür für die Zeichen der Zeit die Entwicklung der Soziallehre der Kirche und der christlichen Sozialethik gefördert, aber auch eingefordert als Kraft und Orientierungsquelle für Gesellschaft und Politik. In den letzten Jahren und bis unmittelbar vor seinem Tod galt sein unermüdlicher Einsatz vor allem der Arbeit für eine versöhnte Zukunft in einem vereinten und solidarischen Europa. Sein Wirken war dem Programm des Konzils für eine „Kirche in der Welt von heute“ unbedingt verpflichtet.

Wir werden Bischof Homeyer ein ehrendes Andenken bewahren und seiner im Gebet gedenken. R.i.p.  

Die Direktorin des ICS erinnert an Bischof Homeyer und sein Lebenswerk mit der Laudatio, die sie am 27. November 2002 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Bischof Homeyer durch die Erziehungswissenschaftliche Fakultät der Universität Hannover gehalten hat.

Laudatio auf Bischof Dr. Josef Homeyer

anlässlich der Verleihung des Dr. phil. h.c.
durch die Erziehungswissenschaftliche Fakultät der Universität Hannover
am 27. November 2002

Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins

(Download des Textes als PDF)

„Für uns sind der Einsatz für die Gerechtigkeit und die Beteiligung an der Umgestaltung der Welt wesentlicher Bestandteil der Verkündigung der Frohen Botschaft, d.i. der Sendung der Kirche zur Erlösung des Menschengeschlechts und zu seiner Befreiung aus jeglichem Zustand der Bedrückung.“ Denn „der Auftrag, das Evangelium zu verkünden, erfordert heute den ungeteilten Einsatz für die volle Befreiung des Menschen, und zwar von Stund an und für die ganze Dauer seines irdischen Daseins. Den Menschen unserer Tage kann die christliche Botschaft von Liebe und Gerechtigkeit nur dann glaubwürdig erscheinen, wenn sie sich als wirksam erweist in ihrem Einsatz für Gerechtigkeit in der Welt.“ (IM 6; 36)

Diese Sätze aus dem Dokument der ersten Weltbischofssynode nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil charakterisieren m.E. sehr genau das Wirken Bischof Homeyers als Ordinarius der Kirche von Hildesheim, als Verantwortlicher für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz und als Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (ComECE). Das Dokument wurde im Jahr 1971 veröffentlicht, also in dem Jahr, in dem Homeyer das Amt des Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz übernahm, das er vor seiner Bischofsweihe im Jahr 1983 zwölf Jahre lang innehatte und in dem er wichtige Erfahrungen für sein bischöfliches Wirken sammelte.


Bischof Homeyer denkt in der Kirche und in der Gesellschaft politisch im ursprünglichen Sinn des Wortes. Sein bischöflicher Wahlspruch „In mundum universum“ ist dafür bezeichnend; er umschreibt den Anspruch des Evangeliums: Der ganzen Welt soll es verkündigt werden — nicht mehr und nicht weniger. Und es soll ganz verkündigt werden — nicht als Jenseitsvertröstung, sondern so, dass die gute Gottesbotschaft von Gerechtigkeit und Liebe jetzt schon erfahren werden kann, besonders von denen, die in Ungerechtigkeit und Unfrieden gefangen sind. Bischof Homeyer ist ein Botschafter der konkret-politischen Seite des Evangeliums.

In seinem Denken und Handeln trägt er dem Charakter der Kirche als ältestem „global player“ Rechnung. Er setzt um, was es bedeutet, in einer Welt-Kirche Verantwortung zu tragen:

Welt-Kirche ist zum einen eine Kirche, die selbst welthaft — eine Gestalt von Welt — ist, die nicht neben oder über, sondern in der Welt, in einer je konkreten Gesellschaft sich entfaltet und hineinverwoben ist in deren Entwicklungen, Fortschritte, Nöte. Sie tritt deshalb nicht nur als Gebende auf, sondern versteht sich ebenso als Lernende: Immer wieder habe ich von Bischof Homeyer die Frage an Gesprächspartner aus Politik und Wirtschaft gehört: Was erwarten Sie von der Kirche? Was wünschen Sie sich von der Kirche?“ — z.B. im Prozess der europäischen Einigung... — Gerade wer überzeugt ist, dass die Kirche eine Botschaft anzubieten hat, die außer ihr keine andere Institution der Gesellschaft geben kann, besinnt sich immer wieder auch auf die Rolle der Kirche als Teilnehmende, als Suchende und Lernende. Die Frucht einer solchen Haltung, die ich an Bischof Homeyer kennen und schätzen gelernt habe, ist das beständige Bemühen um einen echten Dialog mit der Gesellschaft: nicht um des Redens willen, sondern weil Verkündigung des Evangeliums und Einsatz für Gerechtigkeit die beiden notwendigen Momente der einen christlichen Weltverantwortung sind. In diesen Zusammenhang gehört die von Bischof Homeyer wiederholt betonte Überzeugung, die Kirche habe nicht nur eine Sozialethik, sondern sie sei eine Sozialethik — ein Gedanke, den er von dem bekannten methodistischen US-Theologen Stanley Hauerwas rezipiert hat. Darin liegt, so vermute ich, die Wurzel seines unermüdlichen gesellschaftlich-politischen Engagements, die Wurzel auch seines unnachgiebigen, oft provozierenden Fragens nach einer für Gesellschaft und Kirche relevanten wissenschaftlichen Theologie und Sozialethik.

Welt-Kirche ist zum anderen eine Kirche, die in ihrem jeweiligen lokalen Selbstvollzug vernetzt ist mit anderen lokalen Kirchen, die gemeinsam mit der gesamtkirchlichen Leitung die Einheit der „Catholica“ bilden. Dieser globalen Dimension der Weltkirche Ausdruck im Lokalen zu geben, ist ein Anliegen, für das sich Bischof Homeyer auf vielfältige Weise eingesetzt hat: Im Bistum Hildesheim und weit darüber hinaus steht dafür exemplarisch die Partnerschaft mit Bolivien. Es trifft sich wunderbar, dass Bischof Homeyer jüngst für seine Verdienste um diese Partnerschaft zum „Ehrenhäuptling der bolivianischen Hoch- und Tieflande“ ernannt worden ist.

Verantwortung für die Welt-Kirche in diesem doppelten Sinn zu tragen, bedeutet für Bischof Homeyer auch, Brücken zu bauen zu den anderen christlichen Kirchen — seien dies die Nachbarn in den Kirchen der Reformation vor Ort oder seien es die Kirchen der Orthodoxie, zu denen Bischof Homeyer als Präsident der ComECE seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Machtblocks wichtige Kontakte aufgebaut hat. Im vergangenen Jahrzehnt hat er viel Zeit und Kraft in Verständigungsbemühungen zwischen Serbisch-orthodoxer Kirche und katholischer Kirche in Kroatien, aber auch in die Kontakte mit den Orthodoxen in der Ukraine und Weißrußland investiert. Angesichts der Arbeit des Konventes für eine Europäische Verfassung ist es ihm ein besonderes Anliegen, dass auch in einem nach Osten hin wachsenden und integrierten Europa die christliche Dimension im politischen und rechtlichen Regelwerk erkennbar und das Recht der Kirchen als Institutionen gesichert wird. Dabei geht es nicht um eine Politik der Besitzstandswahrung, sondern vielmehr um die Identität eines größeren, westliche und östliche Kultur integrierenden Europas, die weder einfach unter Berufung auf das „christliche Abendland“ behauptet noch unter Verzicht auf alle religiösen Bezüge, sei es als reine Wirtschaftsunion, sei es als eine „neutrale“ politische und gesellschaftliche Größe neu geschaffen werden kann.

Bischof Homeyer ist ein homo politicus. Aber er ist politisch als homo religiosus. Darin verkörpert er sehr dezidiert jenes Verständnis von Kirche, das erst mit dem vor 40 Jahren eröffneten Zweiten Vatikanischen Konzil in der katholischen Kirche wieder gewonnen wurde. Heute mehr denn je kommt es auf Prophetinnen und Propheten an, die angesichts einer pluralen und weltanschaulich zersplitterten Gesellschaft nicht einfach „Unheil!“ rufen und den Untergang predigen, sondern den Weg der Kirche in und mit der Gesellschaft mit kritischer Wachheit und tiefer Sympathie begleiten und darin das reale Unheil von sozialer Zerklüftung, religiöser und ethnischer Intoleranz und vielfältiger Ungerechtigkeit als gemeinsamen Feind von Christen und Nichtchristen anprangern und bekämpfen.

Bischof Homeyers Interesse und sein Engagement für die Förderung von Wissenschaft und Bildung wurzelt, soweit ich sehe, sehr tief in eben diesem Impetus! Bewegt von einem starken Willen zu Gestaltung und Veränderung, findet sein breites gesellschaftsethisches und europapolitisches Engagement eine Entsprechung in seinem Einsatz für die theologische, philosophische und allgemeine Bildung im Bistum Hildesheim.


Das Leitwort der Hildesheimer Diözesansynode 1989/90 - „Auf neue Art Kirche sein“ -, das meines Wissens auf den derzeitigen Dekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Universität Hannover zurückgeht, spiegelt die Grundhaltung, mit der Bischof Homeyer auch in der Region Impulse gesetzt, Orte der Kommunikation geschaffen und Prozesse in Gang gebracht hat.

Zu erinnern ist an die Etablierung der Stiftungsprofessur für Katholische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Hannover 1997. Dieser Schritt, der für die Möglichkeiten der Ausbildung von Theologinnen und Theologen in Niedersachsen strukturell höchst bedeutsam gewesen ist, steht im Zusammenhang mit weiteren Bemühungen um die Förderung der Einrichtung des Teilstudiengangs Katholische Theologie im Studiengang Lehramt an Gymnasien an dieser Universität. Das besondere Interesse und der Einsatz Homeyers für diesen Ausbildungsgang ist auch im Kontext der Konzeption des kooperativen Religionsunterrichts in Niedersachsen zu sehen, für den der Diözesanbischof von Hildesheim eine nicht unerhebliche Mitverantwortung trägt.

Das gleiche Interesse an der Förderung wissenschaftlicher Strukturen für Theologie und Philosophie in Niedersachsen und insbesondere in der Landeshauptstadt Hannover prägt die Gründung des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. Es war Bischof Homeyer ein wichtiges Anliegen, in Hannover eine hochkarätige wissenschaftliche Einrichtung fair philosophische und theologische Forschung zu schaffen, die in die gesellschaftliche Öffentlichkeit hineinwirkt, einen Ort der Reflexion, des Gesprächs und der vorausschauenden Begleitung wichtiger philosophischer, gesellschaftspolitischer und theologischer Fragen und Probleme bildet.

Bischof Homeyer gehört zu den Verantwortungsträgern in der katholischen Kirche in Deutschland, die sich auch für innovative Projekte begeistern lassen. Ein großes Projekt, das ganz wesentlich von seiner Handschrift mitgeprägt wurde, war der Konsultationsprozess zur Vorbereitung des Wortes der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland (1994-1996) und das daraus hervorgegangene Wort der beiden großen Kirchen „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ (1997). Ein ausgewiesener Kenner der Materie sagte von diesem Projekt, es sei ein Abenteuer gewesen, das zur Erfolgsstory wurde (H. Barth). Zunächst die katholische Kirche, dann recht bald beide große Kirchen in Deutschland gemeinsam, sind mit dem Vorhaben in die breite gesellschaftliche Öffentlichkeit gegangen und haben in einem bis dato beispiellosen Lernprozess partizipative politische Bewusstseins- und Meinungsbildung eingeübt und manche veränderte Perspektive auf die gesellschaftliche Wirklichkeit in Deutschland gewonnen!

Ohne das persönliche Engagement Bischof Homeyers wäre dieses Unternehmen weder begonnen worden noch ans Ziel gekommen. Was dort ermöglicht wurde — ein über zwei Jahre hinweg geführtes, vielstimmiges Gespräch zwischen Menschen und Gruppen unterschiedlicher politischer und religiöser Auffassung in unserer Gesellschaft —, stellt eine immense Integrationsleistung dar, für die zunächst sowohl in den kirchlichen Institutionen als auch in Gemeinden, Verbänden und bei den nicht kirchlich gebundenen gesellschaftlichen Interessengruppen Aufmerksamkeit, Bereitschaft zur Mitwirkung und dann ein hohes Maß an Kontinuität und Durchhaltevermögen mobilisiert werden musste. So sehr dies den Einsatz vieler Kräfte erforderte, so unerlässlich war die treibende Kraft einiger Überzeugter. Bischof Homeyer hat dieses Projekt von Anfang an zu seiner ureigenen Sache gemacht, er hat — wie Hermann Barth, der auf evangelischer Seite Hauptverantwortliche für den Prozess, in der Festschrift zu Homeyers 70. Geburtstag schrieb — mit einer „an Dickköpfigkeit grenzenden Beharrlichkeit“ dessen „ökumenische Logik“ verfolgt und er hat damit einem Prozess zum Gelingen verholfen, der ebenso als ein modernes Bildungsprojekt wie als kirchlicher Selbstversuch, als Integrationsplattform für Wissenschaft, Politik und Kirchen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Wer zu später Stunde über den Domhof in Hildesheim geht, sieht die Fenster des bischöflichen Arbeitszimmers oft hell erleuchtet — immer dann, wenn der Bischof zu Hause ist. Sitzt man selbst noch spät am Schreibtisch, kann es leicht sein, dass das Telefon klingelt und es meldet sich — „Homeyer“. „Ich weiß ja, es ist eine Zumutung, aber ...“ Der Bischof erläutert: Er hat — sehr bald — ein Referat zu halten über ein wichtiges sozialethisches oder gesellschaftspolitisches Thema und benötigt eine kurze Skizze, die das wichtigste Material, die derzeit zentralen wissenschaftlichen Positionen zur Sache darstellt. „Könnten Sie mir vielleicht bis morgen abend...?“

Der Bischof ist ein Unruhestifter! Wer in sein Umfeld gerät, muss immer damit rechnen, gestört zu werden. Wer sich darauf einlässt, hat die Chance, mit einem Mann zusammenzuarbeiten, der sich gerne beraten lässt, der aufgeschlossen ist für neue Sichtweisen und Erkenntnisse und der selbst bereit ist, sich stören zu lassen, wann immer es dafür einen guten und wichtigen Grund gibt, ob dieser Grund politischer, wissenschaftlicher oder persönlicher Natur ist. — Die Beschreibung eines Problems, die Analyse einer Situation nimmt Homeyer nicht einfach zur Kenntnis, sondern auf die Lektüre, auf das Gespräch folgt so sicher wie das Amen in der Kirche die Frage: Und was folgt jetzt daraus? Wie kann man das ändern? Was soll ich tun? Sein Denken ist handlungsorientiert und konstruktiv, es ist ungeduldig und zugleich beharrlich. Neues schreckt ihn nicht, sondern provoziert seinen Gestaltungswillen und sein politisches Gespür.

Wenn die Erziehungswissenschaftliche Fakultät der Universität Hannover Bischof Dr. Josef Homeyer heute den Titel eines Doktors der Philosophie ehrenhalber verleiht, so ist dies ein schönes Zeichen, das den außergewöhnlichen Einsatz des Bischofs für Wissenschaft und Bildung sowie für die Förderung höchst bedeutsamer Verständigungsprozesse in seinem Bistum, in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland und in verschiedenen Konstellationen des zusammenwachsenden Europa würdigt. Indem die Universität Hannover Bischof Dr. Josef Homeyer in die Reihe ihrer Ehrendoktoren aufnimmt, gewinnt sie ein prominentes, in Gesellschaft und Kirche hoch angesehenes Mitglied hinzu.
So gilt mein herzlicher Glückwunsch, Ihnen, sehr geehrter, lieber Herr Bischof, - ebenso wie Ihnen, sehr geehrte Frau Landesbischöfin -, für die Ihnen zuteil werdende Ehrung, zugleich aber auch dem Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät — stellvertretend für das gesamte Fakultätskollegium — und dem Rektor der Universität Hannover, zu dieser Promotion!