Ein interdisziplinärer Blick auf Verantwortung und Gerechtigkeit in der Wirtschaft

Blockseminar mit langer Tradition im Franz Hitze Haus

Gesellschaftliche, politische, kulturelle und kirchliche Handlungsfelder erscheinen immer häufiger nicht angemessen bearbeitbar zu sein, ohne die jeweiligen wirtschaftsethischen Implikationen inhaltlich und methodisch mit im Blick zu haben. Daher ist es zu einer langjährigen Tradition geworden, dass alle zwei Jahre in Kooperation zwischen der Katholischen Theologie und den Wirtschaftswissenschaften ein interdisziplinäres Blockseminar stattfindet, um diese Querschnittsfragen zu fokussieren. Die theologisch-ethische Perspektive wird dabei vertreten durch das ICS, die der Wirtschaftswissenschaften durch das Institut für Ökonomische Bildung.

In diesem Jahr stand die Veranstaltung unter dem Motto „Verantwortung und Gerechtigkeit in der Wirtschaft“. 16 Studierende, sieben aus der Theologie und neun aus den Wirtschaftswissenschaften, konnten während der zwei Tage des workshopartigen Blockseminars im vergangenen Juni in der Akademie Franz Hitze Haus erste Erfahrungen in diesem disziplinenübergreifenden Setting sammeln. Als Anwendungsbeispiele sowie als konkrete aktuelle Problemlagen angewandter Wirtschaftsethik dienten drei Fallbeispiele:

Unter dem Titel „Lohn(un)gerechtigkeit“ griff der erste inhaltliche Teil den aktuellen Tarifkonflikt im Bahnsektor auf. Nach einer christlich-sozialethischen wie wirtschaftswissenschaftlichen Annäherung durch die Expert*innengruppe waren die Studierenden selbst gefragt. So mussten die Positionen der unterschiedlichen Akteur*innen auf Verbraucher*innen-, Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innen-Seite vorbereitet und anschließend in einer Talkshow vertreten werden. Als Kommentator für die christlich-sozialethische Sicht wurde zudem Franz Hitze, vertreten durch die Vorbereitungsgruppe, hinzugezogen. So wenig wie der Tarifkonflikt im Realen gelöst werden konnte, so wenig wurde er in der Talkshow gelöst. Zugleich zeigten die Studierenden jedoch die unterschiedlichen Zugänge zum Gerechtigkeitsdiskurs auf, und unterschiedliche Gerechtigkeitsansätze wurden kontrastiert.

Der zweite Schwerpunkt konzentrierte sich auf das Thema „Lieferketten“. Nach einer fachlichen Einführung zum Verantwortungsbegriff, dem Stufenmodell der Corporate Social Responsibility und der Darstellung der unterschiedlichen Akteur*innen einer Lieferkette, waren die Studierenden in einer Gruppenarbeit gefragt, sich zu der Frage der Verantwortungszuschreibung zu verhalten. Trägt der Staat, das Unternehmen oder doch der*die Einzelne Verantwortung? Hierbei entwickelte sich eine spannende Diskussion, die einerseits die Verantwortung der*des Einzelnen in den Blick nahm, aber ebenfalls – ganz in ordoliberaler Tradition – den Staat als Verantwortlichen für die wirtschaftliche Rahmenordnung in die Pflicht nahm. Abgerundet wurde der Themenblock durch ein Fachgespräch mit dem Menschenrechtsbeauftragten eines großen und globalagierenden deutschen Unternehmens, der auch Bezug zum Lieferkettengesetz nahm. Dies zeigte auch die praktische Relevanz der Ethik in der Wirtschaft.

Den Tagesabschluss bildete der „Alumnitalk“ mit einem Absolventen des CSW-Diploms, der als Theologe und promovierter Ökonom im Finanzsektor spannende Berufserfahrungen gesammelt hat. Für die Studierenden war dies sicherlich ein interessanter beruflicher Ausblick und auch eine Ermutigung zu Praktika. Vor allem zeigte dieses Beispiel auch die Verzahnung der Disziplinen von Theologie und Wirtschaftswissenschaften, sowie den Mehrwert des Diploms für Christliche Sozialwissenschaften.

Am zweiten Tag fand der letzte inhaltliche Block unter dem sehr aktuellen Vorzeichen der „Energiekrise“ statt, mit besonderem Hinweis auf die Abwägungsprozesse beim Bezug von Ressourcen. Es wurden zwei unterschiedliche Transformationsszenarien skizziert: Transformation by Design und Transformation by Desaster. Während ersteres Szenario intentional herbeigeführt wird, kann zweiteres konkret am Beispiel des Ukrainekrieges und des Wechsels in der deutschen Energiepolitik erkannt werden. Aus dem aktuellen politischen Kontext heraus waren schließlich erneut die Studierenden gefragt, den Bezug von Fracking-Gas und die Erschließung dieser Ressource in Deutschland zu diskutieren. Ist der Bezug dieser Ressource mit Blick auf die Energiesicherheit legitim oder aus umweltpolitischen Gründen doch eher zu hinterfragen? Exemplarisch wurde hier eine politische Abwägung simuliert.

Nach diesem intensiven Programm und zwei Tagen voller ethischer Themen wurde deutlich: Ethik bleibt gefragt und der Dialog zwischen Theologie und Wirtschaftswissenschaften gewünscht. Das nächste interdisziplinäre Blockseminar findet in zwei Jahren statt – dann unter den politischen Vorzeichen seiner Zeit. Wer nicht nur Interesse an dieser Veranstaltung hat, sondern darüber hinaus den interdisziplinären Dialog vertiefen will, ist bei dem Diplom für „Christliche Sozialwissenschaften“ an der richtigen Stelle. Interessierte Studierende können sich ab sofort für das Zusatzdiplom mit Start zum kommenden Wintersemester bewerben. Alle Informationen dazu gibt es hier.