Zum Tod von Prof. Dr. Günther Schulz: Nachruf der Evangelisch-Theologischen Fakultät der WWU Münster
Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster trauert um den Universitätsprofessor i.R. Prof. Dr. Günther Schulz, der am 30. Oktober 2022 im Alter von 86 Jahren verstorben ist.
Geboren 01.03.1936 in Lonke, Kreis Mogilno (Polen, Kirchenprovinz Posen der Evangelischen Kirche der Union) besuchte er nach Vertreibung und Flucht seiner Familie die Landesheimoberschule Schulpforta. Nach dem Abitur 1953 studierte er bis 1957 Slawistik (Russistik und Polonistik) an der Universität Halle und legte hier das Staatsexamen ab.
Nach einer kurzen Tätigkeit an der Leibniz-Oberschule in Leipzig stellte er fest, dass er als Christ keine Möglichkeit sah, auf Dauer im sozialistischen System der DDR als Lehrer im Schuldienst zu arbeiten. So studierte er von 1958 bis 1963 Theologie am Katechetischen Oberseminar der Kirchlichen Hochschule Naumburg. Hier legte er im Jahre 1963 das 1. Theologisches Examen ab, dem im Jahre 1966 das 2. Theologische Examen und die Ordination zum Pfarrer der Kirchenprovinz Sachsen folgten. Von 1964 bis 1970 wirkte er als Assistent am Katechetischen Oberseminar bei Fairy von Lilienfeld und Wolfgang Ullmann. Nach der im Jahre 1970 erfolgten Promotion an der Universität Greifswald zum Dr. theol. mit einer nach ihrer Veröffentlichung im Jahre 1980 viel beachteten Studie zur „theologiegeschichtlichen Stellung des Starzen Artemji innerhalb der Bewegung der Besitzlosen im Rußland der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts“ war er bis 1992 zunächst als Dozent, dann als Professor für allgemeine, speziell für osteuropäische Kirchengeschichte in Naumburg tätig.
In dieser Zeit begründete Günther Schulz seinen Ruf als anregender akademischer Lehrer und als einer der besten Kenner der Russisch-Orthodoxen Kirche. So nahm er in den Jahren 1974-1990 maßgeblich an den sieben Sagorsker Gesprächen zwischen dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und der Russischen Orthodoxen Kirchen teil und wirkte intensiv als Mittler zwischen den Kirchen des Westens und des Ostens.
Seit seiner Berufung zum Professor für Kirchengeschichte und Leiter des Ostkirchen-Instituts der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster 1992 entfaltete er auch an unserer Fakultät eine reiche und fruchtbare Lehr- und Forschungstätigkeit.
Einer seiner Forschungsschwerpunkte blieb die Orthodoxe Russische Kirche (ORK), und hier besonders die Untersuchung des nahezu unerforschten russisch-orthodoxen Reformkonzils von 1917/18, zu dem er neun Studienaufenthalte in den russischen Staatsarchiven, RGIA in St. Petersburg und GARF in Moskau, sowie in Zentralen Bibliotheken, vor allem der Leninbibliothek in Moskau, unternahm.
Für seine Forschungen über die bolschewistische Kirchenpolitik der Jahre 1922-1925 und das Landeskonzil der Orthodoxen Kirche in Russland 1917/18 konnte er auf erhebliche Drittmittel zurückgreifen, die er bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Volkswagenstiftung eingeworben hatte. Seine wissenschaftliche Arbeit setzte er auch nach seiner Pensionierung im Jahre 2001 unermüdlich fort.
Durch sein Buch „Das Landeskonzil der Orthodoxen Kirche in Russland 1917/18“ aus dem Jahr 1995, die Edition der russischen „Übersichten der Konzilssitzungen“ unter seiner Leitung in drei Bänden, Moskau 2000-2002, und einen deutschen Band mit „ausgewählten Dokumenten“ und historischen Untersuchungen zum Landeskonzil 1917/18 leitete Günther Schulz die kirchen- und forschungsgeschichtliche Renaissance dieser lange vernachlässigten und dennoch für die russisch-orthodoxe Kirche epochale Synode ein. Daneben waren es die Wüstenväter und -mütter des 3./4.Jh., um deren geistliches Erbe er sich zusammen mit Jürgen Ziemer intensiv bemühte.
Neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit war Günther Schulz Zeit seines Lebens vielfältig ehrenamtlich im kirchlichen Kontext tätig. So war er Mitglied des Orthodoxen Ausschusses der EKU (1966-1990), den er auch von 1976-1990 zusammen mit Hans-Dieter Döpmann leitete, sowie Mitglied des Orthodoxen Ausschusses der EKD (1990-2005), der Societas Oecumenica (1990-2001), der er von1992-1994 vorstand, sowie der Evangelischen Forschungsakademie Hannover (2005-2011). Außerdem leitete er den um die Theologie der ORK bemühten Melanchthonarbeitskreis (1966-1986) und nahm an den Arnoldshainer Gesprächen zwischen der EKD und der OKR (1992-1996) teil.
Günther Schulz war ein „Ökumeniker aus Passion“ und verstand sich als Brückenbauer zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens. Er war ein liebenswerter und immer höflicher, korrekt und bescheiden auftretender Kollege, ein Mann der Kirche und der Wissenschaft, der allen, die ihn kannten, tiefen Respekt abnötigte. Die älteren Mitglieder der Fakultät, die ihn noch persönlich kannten, erinnern sich dankbar an ihn. Die gesamte Fakultät wird ihm ein ehrendes Gedenken bewahren.
Münster (Westf.) im November 2022
Prof. Dr. Arnulf von Scheliha
Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät
Prof. Dr. Holger Strutwolf
Direktor des Seminars für Kirchengeschichte