Digitale Nutzungsweisen gering literalisierter Erwachsener

Im Folgenden erfahren Sie, auf welche Art und Weise gering literalisierte Erwachsene das Internet nutzen und was dabei die Besonderheiten innerhalb der Zielgruppe sind.

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  • Digitale Nutzungsaktivitäten
    © Projekt DiAnA

    Wofür nutzen gering literalisierte Erwachsene das Internet?

    Von Onlineshopping über Rechtschreibprüfung und E-Mails bis hin zur Informationssuche durch Spracheingabe – auch Menschen, denen das Lesen und Schreiben schwerfällt, nutzen das Internet auf vielfältige Weise und gehen dabei ganz unterschiedlichen Aktivitäten nach.

    Manche dieser Aktivitäten, wie Onlineshopping und E-Mails, sind üblicherweise auch bei literalisierten Personen weit verbreitet. Anderen Aktivitäten hingegen, wie dem Verwenden von Rechtschreibprüfung oder der Informationssuche durch Spracheingabe, kommt insbesondere in der Zielgruppe der gering literalisierten Erwachsenen eine besondere Bedeutung zu.

    Diese Nutzungsaktivitäten mit Bezug zu geringer Literalität, von denen uns insgesamt 27 gering literalisierte Personen in unseren Interviews berichtet haben, lassen sich den Bereichen Kommunikation, Information, Online-Lernaktivitäten sowie Organisation des Alltags zuordnen.

    Im Bereich der Kommunikation berichtet fast die Hälfte der Befragten, auf Sprachnachrichten zurückzugreifen, um nicht selbst Texte verfassen zu müssen. Ein Teil der Personen gibt außerdem an, zu telefonieren, um Text zu vermeiden und Audio-zu-Text-Nachrichten zu verwenden, d.h. Texte zu diktieren. Auch Rechtschreibprüfungen sowie Übersetzungen aus anderer Sprache und Schrift werden bei der Kommunikation mit anderen genutzt.

    Im Bereich der Information zeigt sich, dass die Fähigkeiten zu einer gezielten digitalen Informationsbeschaffung vor dem Hintergrund der identifizierten digitalen Nutzungstypen stark variieren. Sie reichen von einer gezielten Suche auf ausgewählten Internetseiten bei den „Digital Angeschlossenen“ über eine Nutzung unspezifischer, allgemeiner Suchmaschinen im „Digitalen Mittelfeld“ bis hin zu eingeschränkten Möglichkeiten der Informationsbeschaffung bei den „Digital Abgehängten“.

    Von Online-Lernaktivitäten berichtet ein Drittel der Interviewpartner*innen – hier werden Deutsch lernen und Schreiben üben als Aktivitäten angeführt. Der Bereich der Organisation des Alltags umfasst schließlich vereinzelte Nennungen, beispielsweise die Nutzung von Spracheingabe für alltägliche Zwecke wie das Einstellen eines Handy-Weckers.

    Deutsch lernen sowie das Nutzen von Übersetzungen sind Aktivitäten, die Personen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch betreffen. Bei genauerer Betrachtung dieser Gruppe wird erneut deutlich, dass eine anderssprachige Literalisierung große Vorteile mit sich bringt, die für Internetaktivitäten eingesetzt werden können. So zeigt sich auch im Hinblick auf die Fähigkeiten der digitalen Beschaffung von Informationen unter den befragten Personen ein ähnliches Bild – während anderssprachig Literalisierte in der Lage sind, auf ihrer Erstsprache gezielt nach Informationen zu suchen und sich diese dann mit Übersetzungen zugänglich zu machen, fallen diese Fähigkeiten bei Personen mit anderer Erstsprache ohne anderssprachige Literalisierung deutlich geringer aus. Die Literalisierung in einer anderen Sprache kann also auch hier gewinnbringend eingesetzt werden.

    Insgesamt eröffnen literalitätsspezifische Nutzungsaktivitäten somit Alternativen zum Text, Möglichkeiten für den Umgang mit Text und ermöglichen schließlich auch das Lesen- und Schreibenlernen.

  • Digitale Bewältigungsstrategien

    Wie bewältigen gering literalisierte Erwachsene Lese- und Schreibanforderungen mithilfe technischer Funktionen?

    Um das Internet trotz ihrer geringen Literalität nutzen und analogen wie digitalen Lese- und Schreibanforderungen besser begegnen zu können, greift der Großteil der befragten gering literalisierten Erwachsenen auf digitale Bewältigungsstrategien zurück.

    Auf Grundlage unserer Interviews mit gering literalisierten Erwachsenen können sechs unterschiedliche technische Funktionen bestimmt werden, die innerhalb unterschiedlichster Apps und Internetseiten als Bewältigungsstrategien im Alltag genutzt werden. Dabei handelt es sich um Diktierfunktionen, Vorlesefunktionen, Audio- und Videofunktionen, Prüf- und Korrekturfunktionen, Übersetzungsfunktionen sowie Suchfunktionen.

    Diktierfunktionen kommen bei Aktivitäten wie dem Versenden von Sprachnachrichten statt Text, dem Nutzen von Audio-zu-Text-Nachrichten sowie dem Durchführen von Aktivitäten per Spracheingabe zum Einsatz. Somit ermöglichen die Diktierfunktionen, Lesen und Schreiben unter Zuhilfenahme des (Ein-)Sprechens zu umgehen. Die Vorlesefunktion nutzen gering literalisierte Erwachsene beispielsweise bei dem Navigationsdienst Google Maps – so können Informationen und Instruktionen vorgelesen werden, sodass eine Navigation auch ohne Leseanforderungen möglich wird. Um die Notwendigkeit des Lesens zu umgehen, greifen viele der Befragten außerdem auf Audio- und Videofunktionen zurück, indem sie unter anderem Sprachnachrichten empfangen und anhören, anstatt schriftliche Nachrichten zu lesen, telefonieren, anstatt Text einzugeben oder sich Videos für unterschiedliche Anlässe, wie das Deutschlernen, ansehen. Prüf- und Korrekturfunktionen können das Schreiben unterstützen, da so die Rechtschreibung geprüft, Schreiben geübt oder die Autovervollständigung genutzt werden kann. Somit können diese Funktionen das Schreiben vereinfachen und alltägliche Schreibanforderungen erleichtern. Während Übersetzungsfunktionen Deutsch in andere Sprachen und Schriften überführen können und Inhalte so zugänglich machen, erlauben Suchfunktionen das Recherchieren unbekannter Begriffe sowie das Auffinden von Dokumenten auf dem Smartphone.

    Mit Blick auf die unterschiedlichen Bewältigungsstrategien werden die Potenziale des Digitalen für gering literalisierte Erwachsene deutlich, da digitale Strategien dabei helfen, Lese- und Schreibanforderungen zu bewältigen und somit die Teilhabemöglichkeiten sowie Zugänge zu Schriftsprache deutlich verbessern können. Dabei zeigt sich insgesamt, dass die digitalen Bewältigungsstrategien einerseits helfen können, Lesen und Schreiben zu vermeiden, indem Schrift durch andere Medien ersetzt wird. Andererseits unterstützen die digitalen Bewältigungsstrategien aber auch das Lesen und Schreiben in konkreten Situationen und bieten Möglichkeiten für Lernaktivitäten.

  • Nutzungsprobleme
    © Projekt DiAnA

    Welche Probleme haben gering literalisierte Erwachsene bei der Internetnutzung?

    Aufgrund ihrer Lese- und Schreibschwierigkeiten stoßen gering literalisierte Erwachsene häufig auf digitale Nutzungsprobleme, die die Nutzung des Internets erschweren können.

    Die gering literalisierten Erwachsenen, mit denen wir Interviews geführt haben, haben von ganz unterschiedlichen Problemen berichtet. Insgesamt lässt sich zwischen Problemen, die auf ein geringes Deutschsprachverständnis zurückzuführen sind, und Problemen, die durch geringe Literalität entstehen, unterscheiden.

    Ein Teil der Befragten hat von Problemen durch ein zu geringes Deutschsprachverständnis berichtet. Diese treten insbesondere bei der Nutzung von E-Mails, Onlineshopping und WhatsApp-Gruppen auf.

    Von digitalen Nutzungsproblemen, die spezifisch für geringe Literalität sind, haben 20 Interviewpartner*innen berichtet. Sie können wiederum in zwei Bereichen verortet werden – sie betreffen einerseits das online Lesen und Schreiben und andererseits die allgemeine Anwendung und die konkreten Funktionsweisen von Apps und Internetseiten.

    Probleme beim online Lesen und Schreiben beziehen sich beispielsweise auf Probleme beim korrekten Schreiben und Tippen – davon berichtet die Hälfte der Befragten. Des Weiteren werden Probleme bei der Nutzung von E-Mails sowie dem Lesen von Nachrichten von einigen Interviewpartner*innen benannt. Probleme bei der allgemeinen Anwendung sowie bei konkreten Funktionsweisen von Apps und Internetseiten betreffen auf Basis unserer Interviews ebenfalls einen Teil der Befragten. Insbesondere unbekannte Apps und Funktionen sorgen hier aufgrund der in der Regel schriftlichen Bedienungshinweise für Probleme und stellen die Anwender*innen vor Herausforderungen, sich unbekannte Inhalte und Funktionsweisen erschließen zu können. Gleichermaßen wird die Angst vor Fehlbedienung aufgrund der eingeschränkten Lese- und Schreibfähigkeiten als Problem benannt.

    Probleme aufgrund geringer Literalität beziehen sich insgesamt somit am häufigsten auf das (korrekte) Schreiben und das Leseverständnis sowie auf unerwartete und neue Anforderungen. Interessanterweise führen Probleme mit dem Lesen und Schreiben nicht unbedingt dazu, dass das Internet nicht genutzt wird – sondern es wird, wie die digitalen Bewältigungsstrategien zeigen, bei ausreichender Internetkompetenz zugleich für die Lösung dieser Probleme eingesetzt.

  • Hilfe bei der Internetnutzung

    Inwiefern werden gering literalisierte Erwachsene bei der Internetnutzung durch andere Personen unterstützt?

    Eine Strategie gering literalisierter Erwachsener, trotz Problemen beim Lesen und Schreiben das Internet nutzen zu können, ist das Zurückgreifen auf Hilfe durch andere Personen.

    Auf Basis unserer Interviews mit gering literalisierten Erwachsenen lässt sich das Zurückgreifen auf Hilfe bei der Bewältigung schriftlicher und technischer Anforderungen sowie beim Onlineshopping beobachten. Insgesamt berichten 19 der 31 befragten Personen davon, bei der Internetnutzung die Unterstützung anderer in Anspruch zu nehmen, was die Hilfe anderer als bedeutsame Strategie der Internetnutzung verdeutlicht.

    Bei schriftlichen Anforderungen im Internet unterstützen andere Personen vor allem beim Vorlesen, Übersetzen oder Erklären des Schriftlichen sowie beim Reagieren auf schriftliche Anlässe wie E-Mails oder digitale Terminvereinbarungen. Die Hilfe bei technischen Anforderungen wiederum bezieht sich insbesondere auf das Bedienen von Geräten sowie das Erlernen oder Nutzen von technischen Funktionen, die Installation von Software oder das Einrichten von Geräten, die daraufhin eigenständig genutzt werden können. Um erfolgreich online einkaufen zu können, nehmen einige Befragte außerdem Hilfe beim Onlineshopping in Anspruch.

    Somit lässt sich feststellen, dass manche der Befragten auf Hilfe bei der tatsächlichen Durchführung von Internetaktivitäten zurückgreifen, während andere auf Hilfe in der Vorbereitung angewiesen sind und daraufhin eigenständig handeln können.

Das zugrunde liegende Forschungsprojekt wurde im Rahmen der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen W1477FO gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor*innen.

© AlphaDekade, BMBF