Indirekte Ansprache

Im Folgenden finden Sie unsere Ergebnisse zur indirekten Ansprache gering literalisierter Erwachsener über deren Netzwerke. Im Rahmen des Projekts haben wir auch Interviews mit 29 Vertreter*innen aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Institutionen aus den Netzwerken, in denen gering literalisierte Erwachsene sich bewegen, geführt. Darunter fallen beispielsweise Ämter und Behörden, soziale Einrichtungen und Projekte, Bildungseinrichtungen, Migrant*innenselbstorganisationen und Sportvereine.

In diesem Bereich erhalten Sie Einblicke in das digitale Nutzungsverhalten der Netzwerke gering literalisierter Erwachsener und in die dort geltenden Ansprachebedingungen.

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Das digitale Nutzungsverhalten in den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener

Hier erfahren Sie, welche Apps und Internetseiten die Netzwerke gering literalisierter Personen wofür nutzen und welche Probleme dabei auftreten.

  • Wie nutzen die Netzwerke gering literalisierter Erwachsener das Internet?

    © Projekt DiAnA

    Aus der analogen Welt ist bekannt, dass das Umfeld gering literalisierter Erwachsener eine wichtige Rolle als Brücke zwischen der Zielgruppe und Anbietenden von Alphabetisierungskursen einnehmen kann. Wir haben uns daher auch gefragt, wie diese Netzwerke nicht nur auf analogen, sondern auch auf digitalen Wegen in die Ansprache gering literalisierter Erwachsener einbezogen werden können. Neben dem Nutzungsverhalten gering literalisierter Erwachsener haben wir daher auch das der Netzwerke, in denen sich Betroffene bewegen, untersucht.

    Es zeigt sich, dass Institutionen aus den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener maßgeblich E-Mails und die eigene Internetseite als digitale Kommunikations- und Informationskanäle verwenden. Teilweise werden auch soziale Medien wie Instagram oder Facebook genutzt, Messengerdienste wie z.B. WhatsApp kommen hingegen nur bei wenigen Einrichtungen zum Einsatz. Die Plattform YouTube wird sogar nur von einer Einrichtung zum Verbreiten von Informations- oder Werbevideos verwendet.

    Die Nutzung von E-Mails hat also für fast alle Institutionen eine zentrale Bedeutung in ihrer digitalen Kommunikation. Beim Einsatz von sozialen Medien steht hingegen die Bereitstellung von Informationen im Fokus, nicht aber der Austausch über die integrierten Nachrichtenfunktionen.

    Betrachtet man das Nutzungsverhalten nach Institutionstyp, so zeigen sich deutliche Unterschiede insbesondere zwischen Ämtern und Behörden auf der einen und den übrigen Institutionstypen auf der anderen Seite. Denn: Die befragten Ämter und Behörden nutzen keine Messengerdienste und soziale Medien, sondern vor allem E-Mails, während andere Institutionstypen wie soziale Einrichtungen und Projekte sowie Migrant*innenselbstorganisationen auch auf sozialen Medien aktiv sind.

    Im Hinblick auf eine Passung der genutzten Informations- und Kommunikationskanäle der Netzwerke und der gering literalisierten Erwachsenen zeigen sich also insgesamt einige Schnittstellen, aber durchaus auch einige Unterschiede. Die Unterschiede betreffen insbesondere die Messenger-Nutzung, z.B. WhatsApp, denn diese fällt bei den befragten gering literalisierten Erwachsenen deutlich höher aus als in den befragten Institutionen. Weitere Unterschiede zeigen sich zum Teil auch im Gebrauch von E-Mails, welche zwar von der Mehrheit der befragten gering literalisierten Erwachsenen genutzt werden, jedoch hier nicht den gleichen Stellenwert für die Kommunikation einnehmen. Gleiches gilt für die Verwendung von sozialen Medien, hier insbesondere bei der Bedeutung von YouTube.

    Es bestehen somit zwar einige mögliche Kontakt-Schnittstellen zwischen gering literalisierten Erwachsenen und ihren Netzwerken, teilweise fehlen diese jedoch und es zeigen sich Diskrepanzen. Für letzteren Fall gewinnt eine hybride Ansprache, also eine Kombination aus digitalen und analogen Elementen, an Bedeutung. Das bedeutet, dass Informationen über Alphabetisierungsangebote von Weiterbildungseinrichtungen digital an Netzwerke herangetragen werden können, diese aber an gering literalisierte Erwachsene auch auf analogen Wegen weitergegeben werden. Solche kombinierten Formate machen Ansprache trotz der Unterschiede im Nutzungsverhalten möglich!

  • Welche digitalen Nutzungsprobleme gibt es in den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener?

    © Projekt DiAnA

    Institutionen aus den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener berichten von verschiedenen Problemen in der Nutzung digitaler Medien, die eine Unterstützung der digitalen Ansprache der Zielgruppe erschweren können.

    Dabei wurden in unseren Interviews als größte Herausforderungen der Datenschutz, eine fehlende technische Ausstattung, fehlende personelle Ressourcen, fehlende Nutzungskenntnisse sowie institutionelle Abläufe und Vorgaben genannt.

    Probleme beim Datenschutz treten am häufigsten bei der Informationsweitergabe per E-Mail oder in Zusammenhang mit Messengerdiensten wie WhatsApp auf, deren Nutzung teilweise nicht gestattet ist, auch wenn es sich um einen beliebten Kommunikationskanal der Klient*innen bzw. Kund*innen handelt. Des Weiteren berichten die Befragten, dass auch Videogespräche und der Einsatz von sozialen Medien datenschutzrechtliche Probleme in ihren Institutionen aufwerfen.

    Darüber hinaus wird auch eine mangelnde technische Ausstattung in den Institutionen als Problematik benannt. Dabei fehlen vor allem Geräte für eine mobile Kommunikation und die Nutzung von Apps, wie beispielsweise Diensthandys. Hinzu kommt, dass einige Institutionen nicht über ein flächendeckendes WLAN verfügen.

    Mehrere Befragte berichten darüber hinaus ebenfalls von fehlenden personellen Ressourcen, die benötigt würden, um neue Informations- und Kommunikationskanäle einzurichten und anschließend auch entsprechend zu pflegen.

    Hinzu kommt in einigen Fällen erschwerend, dass Mitarbeitende der Einrichtungen nicht immer über die benötigten Kompetenzen und Kenntnisse im Umgang mit digitalen Medien verfügen, sodass hier zunächst Schulungen und Hilfeleistungen benötigt würden.

    Eine weitere Hürde, der einige Institutionen begegnen, sind institutionelle Abläufe und Vorgaben, beispielsweise in Bezug auf die Nutzung sozialer Medien. In diesem Zusammenhang werden fehlende Freigaben von übergeordneten Instanzen oder langwierige Genehmigungsprozesse von den Befragten als Nutzungsproblematik herausgestellt. Auch die Frage, wie die Verwendung einiger Apps und Seiten im Hinblick auf das Image der Institutionen nach außen wirkt, wird in diesem Zuge vereinzelt diskutiert.

    Bei einem vergleichenden Blick auf die unterschiedlichen Institutionstypen, die in unseren Interviews vertreten waren, wird deutlich, dass die häufig genannten digitalen Nutzungsprobleme Datenschutz und institutionelle Vorgaben insbesondere Ämter und Behörden betreffen. Dagegen wird dies in Institutionen, die informellere Kommunikationswege beschreiben, wie beispielsweise Migrant*innenselbstorganisationen, seltener angegeben. Die anderen hier genannten Nutzungsprobleme betreffen jedoch durchweg mehrere Institutionstypen, unabhängig von ihrem Tätigkeitsfeld.

    Es zeigt sich also insgesamt, dass es vielfältige digitale Nutzungsprobleme in den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener gibt, die eine indirekte digitale Ansprache über das Umfeld einschränken können und daher bei der Entwicklung einer digitalen Ansprachestrategie mitgedacht werden sollten.

Ansprachebedingungen

Hier erfahren Sie, unter welchen Bedingungen Netzwerke bei der Ansprache gering literalisierter Erwachsener unterstützen und Informationen zu Alphabetisierungsangeboten weitergeben sowie welches Vorwissen zu geringer Literalität bereits vorhanden ist.

  • Unter welchen Bedingungen unterstützen die Netzwerke gering literalisierter Erwachsener bei deren Ansprache?

    Für eine gelingende Ansprache gering literalisierter Erwachsener über deren Netzwerke ist es bedeutsam, dass Schlüsselpersonen Betroffene auf Alphabetisierungsangebote aufmerksam machen. In unseren Interviews mit Personen aus den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener haben wir daher auch danach gefragt, unter welchen Bedingungen dies möglich ist. Die Bedingungen lassen sich den Bereichen organisatorisch-strukturell, individuell-sozial, beruflich-tätigkeitsbezogen und informativ-unterstützend zuordnen.

    Auf organisatorisch-struktureller Ebene muss zunächst überhaupt ein direkter Klient*innen- und Kund*innenkontakt innerhalb der Institution vorliegen, damit eine gezielte Ansprache erfolgen kann. Zusätzlich müssen ausreichende zeitliche und personelle Kapazitäten vorhanden sein, um Betroffene anzusprechen und sich überhaupt mit der Thematik der geringen Literalität befassen zu können.

    Im Bereich der individuell-sozialen Bedingungen wird deutlich, dass sich Personen aus den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener ausreichend fachlich befähigt fühlen müssen, das Thema geringe Literalität bei möglichen Betroffenen anzusprechen. In diesem Zusammenhang ist es auch von Bedeutung, dass sie das Ansprechen nicht als Grenzüberschreitung wahrnehmen.

    Im Bereich der beruflich-tätigkeitsbezogenen Bedingungen geben die Befragten an, dass das Ansprechen einer möglichen geringen Literalität aufgrund der Sensibilität der Thematik ein vorhandenes Vertrauensverhältnis zu den Betroffenen voraussetzt. Darüber hinaus ist entscheidend, dass Schlüsselpersonen aus den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener die Ansprache von geringer Literalität als Teil ihrer beruflichen Zuständigkeit wahrnehmen, damit diese als für den Kontext angemessen gesehen wird. Zusätzlich müssen die von Weiterbildungseinrichtungen zur Verfügung gestellten Informationsmaterialien auch als passend zu den jeweiligen Klient*innen bzw. Kund*innen eingeschätzt werden, damit eine Informationsweitergabe sinnvoll erscheint.

    Auf informativ-unterstützender Ebene äußern die Befragten, dass sie ein ausreichendes Hintergrundwissen über geringe Literalität sowie deren Merkmale benötigen, um Betroffene erkennen zu können und aktiv zu werden. Hier braucht es passendes Informationsmaterial und Schulungen, die mit der Thematik vertraut machen sowie eine Vernetzung mit Anbietenden der Alphabetisierung und Grundbildung. Insbesondere herausgestellt wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung von klaren Kommunikationswegen und klaren Ansprechpartner*innen, an die Betroffene weitervermittelt werden können.

    Es lässt sich also festhalten, dass vielfältige Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sich die Wahrscheinlichkeit für eine gelingende Ansprache gering literalisierter Erwachsener über deren Netzwerke erhöht. Einige dieser Bedingungen lassen sich aus der Perspektive von Weiterbildungseinrichtungen jedoch nicht beeinflussen, beispielsweise enge zeitliche Kapazitäten in den Netzwerken. Sie können aber bei der Ansprache mitgedacht und berücksichtigt werden. Eine Einflussnahme ist vor allem im informativ-unterstützenden Bereich möglich, denn hier kann der Informationsbedarf der Netzwerke aufgegriffen werden, indem Sensibilisierungsangebote, Informationsmaterial sowie klare Ansprechpartner*innen bereitgestellt werden.

    Einblicke in die Interviews

  • Welches Vorwissen über geringe Literalität gibt es in den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener?

    © Projekt DiAnA

    Damit Personen aus den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener in der Lage sind, Betroffene an Angebote der Alphabetisierung und Grundbildung weiterzuvermitteln, hat uns auch interessiert, welches Vorwissen dort zum Thema geringe Literalität besteht.

    Hierzu haben wir zunächst einmal gefragt, ob überhaupt schon einmal wissentlich Kontakt zur Zielgruppe bestanden hat. In unseren Interviews zeigt sich, dass rund zwei Drittel der befragten Institutionen schon einmal bewusst Kontakt zu gering literalisierten Erwachsenen hatten. Besonders häufig lässt sich dies in sozialen Einrichtungen oder Projekten beobachten, hier hatte die deutliche Mehrheit bereits Kontakt. In Ämtern und Behörden zeigt sich hingegen ein geteiltes Bild. Allerdings berichtet hier die Mehrheit der Befragten, die tatsächlich auch in Positionen mit direktem Klient*innen- bzw. Kund*innenkontakt arbeiten, dass sie schon einmal gering literalisierten Personen begegnet sind. Auch im Hinblick auf andere Institutionstypen in den Netzwerken lässt sich festhalten, dass Kontakte zu gering literalisierten Erwachsenen überall vorkommen.

    Darüber hinaus haben wir auch gefragt, inwiefern Werbung und Kampagnen zum Thema geringe Literalität und Alphabetisierung bereits zu einem Vorwissen in den Netzwerken beigetragen haben. Werbung und Kampagnen zu Alphabetisierungsangeboten dienen nicht nur einer direkten Ansprache von gering literalisierten Erwachsenen selbst, sie können auch das Umfeld für die Thematik sensibilisieren. In unserer Stichprobe aus den Netzwerken berichtet etwas weniger als die Hälfte der Befragten, entsprechende Werbung und Kampagnen auch tatsächlich wahrgenommen zu haben. Diese Wahrnehmung betrifft vor allem Fernsehspots. Zugleich erzählen mehrere Personen, dass wahrgenommene Werbung und Kampagnen schon viele Jahre zurückliegen und ihnen aktuell keine neuen Veröffentlichungen bekannt sind.

    Die knappe Mehrheit unserer befragten Netzwerkakteur*innen konnte hingegen noch nicht mit Werbung und Kampagnen zur Alphabetisierung und Grundbildung erreicht werden. Rund ein Drittel der Befragten gibt jedoch an, zu wissen, dass Volkshochschulen eine gute Anlauf- und Beratungsstelle sein können, sollten Probleme beim Lesen und Schreiben unter Kund*innen bzw. Klient*innen bemerkt werden.

    Es kann also festgehalten werden, dass für unsere Stichprobe davon auszugehen ist, dass in den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener Kontakte zu Betroffenen bereits in allen Institutionstypen bestehen können und geringe Literalität auch vielfach erkannt wird. Im Hinblick auf die Wahrnehmung von Werbung und Kampagnen zeigt sich jedoch, dass weiterhin ein großer Informationsbedarf zu geringer Literalität besteht, auch wenn vorhandene Anlaufstellen teilweise bekannt sind. Auf dieser Grundlage wird erneut die Bedeutung einer verstärkten Vernetzung und Kommunikation zwischen Weiterbildungsanbietenden und den Netzwerken gering literalisierter Erwachsener deutlich.

Das zugrunde liegende Forschungsprojekt wurde im Rahmen der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen W1477FO gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor*innen.

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