Leprosorien in Deutschland

Das Projekt

Im Rahmen der Forschungsarbeit der Gesellschaft für Leprakunde e.V. (GfL) und insbesondere durch die Publikationen von Jürgen Belker-van den Heuvel im GfL-Organ „Die Klapper“ wurde seit 2013 eine Datenbank der bekannten Leprosorien in Deutschland erstellt. Seit 2017 wird diese Datenbank, die mittlerweile über 1.100 Standorte verzeichnet, von Klaus Henning auf Basis aktueller Forschungen weiter ergänzt. 

  • Lepra und Leprosorien

    Im Zeitraum vom 12. bis 18. Jahrhundert gab es auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland mehr als 1.000 Häuser zur Beherbergung und Versorgung von Leprakranken – sogenannte Leprosorien.

    Lepra ist eine bakterielle Erkrankung, für die es im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit keine Heilungsmöglichkeit gab, die aber auch nur in seltenen Fällen zum Tode führte. Trotzdem blieben die Erkrankten, u.a. durch die mit der Lepra einhergehenden Verstümmelungen, lebenslang unterstützungsbedürftig. Hier lag die Funktion der Leprosorien, in denen die Kranken in sicherer Entfernung zur Stadt unterkommen konnten. Da die Lepra nicht hoch ansteckend war und ist – es erkrankt meist nur 0,1 % der Bevölkerung – hatte eine große Stadt (10.000 Einwohner) maximal etwa zehn, oft aber deutlich weniger Leprakranke zu versorgen.

    Leprosorien sind ein europaweites Phänomen. Erste städtische Leprosorien sind seit dem 12. Jahrhundert belegt. Je nach Region begann die Auflösungen der Leprosorien schon im 15. und 16. Jahrhundert. Abhängig von den Verbreitungswellen und -räumen der Krankheit erfolgten späte Gründungen in Deutschland auch noch nach 1600. Im 17. und 18. Jahrhundert verschwand die Lepra aus Deutschland.

    Die Leprosorien lagen, wie durch das Dritte Laterankonzil von 1179 kirchenrechtlich vorgeschrieben, außerhalb der Städte, fast immer an den meist frequentierten Landstraßen und oft an Straßengabelungen. Die schriftlichen Zeugnisse wie die erhaltenen Gebäude(-teile) dieser Leprosorien – Kapellen und andere bauliche Reste – gehören zum kulturellen geschichtlichen Erbe. Von vielen ehemaligen Leprosorien zeugen Straßen- und Flurnamen.

    Leprosorien – in den meisten Fällen private oder kirchliche Stiftungen – waren geistliche Gemeinschaften mit Gebetsverpflichtung. Die Aufsicht über die Finanzen hatte der Stadtrat, der z.T. auch den Priester der Leprosenkapelle nominierte. Eine medizinische Versorgung war nicht vorgesehen; die Bewohnerinnen und Bewohner der Hausgemeinschaft sollten sich gegenseitig helfen. Die größeren Leprosorien wurden als Wirtschaftshof geführt und verfügten über Magd und Knecht sowie einen Amtmann, der als Geschäftsführer die tägliche Verwaltung verantwortete. Aufnahmeberechtigt waren in der Regel nur Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen Stadt. Auf dem Land waren die Leprakranken hingegen auf Hilfen von Familienangehörigen oder Nachbarn angewiesen. Diese temporären Unterkünfte, die ebenfalls außerhalb der Siedlungen lagen, sind weitgehend unerforscht, da sich hierzu kaum schriftliche Nachrichten erhalten haben. Sie bleiben daher im Folgenden unberücksichtigt.

    Gab es einen Verdacht auf Lepra, sandten die zuständigen Obrigkeiten der Stadt (Bürgermeister oder Rat) die erkrankte Person zur Untersuchung in überörtliche, oft weit entfernte Leprosorien, die die sogenannte Lepraschau durchführten. Dort wurden viele Verdachtsfälle der weiteren Umgebung besehen. Wer als leprakrank erkannt worden war, musste das bürgerliche Leben in der Stadt verlassen und wurde von den gut ausgestatteten Leprosorien umfassend mit Wohnung, Kleidung, Brennholz, Mahlzeiten und Getränken versorgt. 

 


 

Hinweise zur Karte 


Farbliche Signaturen für die Zeitschichten der Ersterwähnungen

  • Blau: Nach allerersten Anfängen im ausgehenden 11. Jahrhundert wurden frühe Leprosorien in Deutschland im 12. und im 13. Jahrhundert gegründet. Einige von ihnen lagen sehr nah vor der ältesten Kernstadt und wurden bei Stadterweiterungen zugunsten eines neuen, vor der erweiterten Stadtbefestigung liegenden Standorts aufgegeben.
  • Orange: Die meisten Leprosorien in Deutschland entstanden im 14. und 15. Jahrhundert. In dieser Zeit erhielt nahezu jede Stadt ein Leprosenhospital.
  • Grün: Weitere Leprosorien entstanden im 16. und 17. Jahrhundert und somit in Zeiten, als andere Anlagen schon wieder geschlossen und aufgegeben worden waren. Viele kleine Leprosenhäuser der ländlichen Kleinstädte (Wigbolde, Flecken), die nur für eine Person vorgesehen waren, fallen in diese Phase.    

  Symbolische Markierungen

  • [Kreuz]: Das Grundstück ist genau bekannt. Beispiele sind Münster-Kinderhaus, Aachen oder Klein-Grönau (Lübeck).
  • [Raute]: Die Lage ist nicht genau bekannt. Es gibt aber verortende Hinweise, zum Beispiel ein benachbartes Stadttor, die Himmelsrichtung, eine Flussquerung, einen Fluss-, Straßen- oder Flurnamen. 
  • [Kreis]: Es ist lediglich der Ort bekannt. In diesem Fall befindet sich die Markierung im historischen Zentrum des Ortes (Marktplatz, altes Rathaus, Hauptkirche). 

Ort
Es werden die heutigen Ortsnamen verwendet und das jeweilige Bundesland genannt, bei Kreisangehörigkeit auch der Landkreis. Ist der Name einer Stadt gleichzeitig der Name des Landkreises, gilt für diese Stadt auch die Kreiszugehörigkeit zur Abgrenzung zu den kreisfreien Städten. Beispiel: Gifhorn (Landkreis Gifhorn, Niedersachsen). Bei Orten mit dem Zusatz römischer Ziffern liegen mehrere Standorte von Leprosorien vor, die zu unterschiedlichen Zeiten oder gleichzeitig bei diesem Ort existierten. Beispiel: Hamm I bis Hamm III.

Ersterwähnung
Das Jahr der ersten Erwähnung vor 1650. Ist ein Gründungsdatum bekannt, wird das vor der Jahreszahl vermerkt. Ersterwähnungen nach 1650 erscheinen unter „Weiteres“.

Lage
Die Entfernungen zwischen dem Ort und dem Leprosorium werden mit einer nur ungefähren Genauigkeit von ca. 50–100 m angegeben. Messpunkt an der Stadt ist die ehemalige Stadtgrenze (das Stadttor), nicht die Stadtmitte. 

Patrozinium
Es sind jeweils die bekannten Patrozinien aufgeführt. Meist sind es die Patrozinien der zugehörigen Kapellen. Selten kommt ein besonderes Patrozinium des Leprosoriums vor.

Weitere Informationen
Wichtige chronologische Daten der Entwicklung von Leprosorium und Kapelle nach dem Gründungs- oder Ersterwähnungsjahr.

Die Gesellschaft für Leprakunde e.V. (GfL) 


Die Gesellschaft für Leprakunde e.V. in Münster, gegründet 1984, ist Trägerin des Lepramuseums in Münster-Kinderhaus. Vereinszweck sind Erforschung und Darstellung der Leprageschichte. Zu den Aufgaben, die sich die Gesellschaft für Leprakunde e.V. gestellt hat, gehören Erfassung und Präsentation von Informationen zu Leprosorien in Deutschland, also zu Häusern und Anlagen, in denen wie in Kinderhaus Leprakranke lebten und versorgt wurden. 

Verwendete Literatur

Für die Erstellung der Texte wurden an ortsgeschichtlicher Literatur insbesondere solche Veröffentlichungen berücksichtigt, die regional die Leprosenstandorte zusammenfassen und dokumentieren. Genutzt wurden Regionalstudien mit folgenden Schwerpunkten:

Bundesrepublik Deutschland
Jürgen Belker-Van den Heuvel, Dokumentation Mittelalterlicher Leprosorien, in: Die Klapper – Mitteilungen der Gesellschaft für Leprakunde e.V., Münster 1986 bis 2006.

Deutschland
Erich Keyser, Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte. Vier Bände erschienen in elf regionalen Teilbänden, 1939 bis 1974.

Südwestdeutschland
Dieter Staerk, Gutleuthäuser und Kotten im südwestdeutschen Raum. Ein Beitrag zur Erforschung der städtischen Wohlfahrtspflege in Mittelalter und Frühneuzeit, in: Die Stadt in der europäischen Geschichte, Festschrift Edith Ennen, Bonn 1972, S. 529–553.

Aachen - Ehemaliger Regerungsbezirk
Hans Otto Brans, Hospitäler, Siechen- und Krankenhäuser im früheren Regierungsbezirk Aachen von den Anfängen bis 1971. Hospitäler und Siechenhäuser bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: Studien zur Geschichte des Krankenhauswesens, Band 37, Herzogenrath 1995.

Brandenburg
Elif Cavus, Leprosorien der Mark Brandenburg im Spiegel des Novus Codex diplomaticus Brandenburgensis (Riedel). Hausarbeit zur Erlangung des BA-Grades, Münster 2022.

Hessen
Walburga Beck, Untersuchungen über die frühere Verbreitung des Aussatzes im heutigen Hessen. Eine erste Bestandsaufnahme, Bochum 1993.

Mecklenburg
Anke Huschner, Adlige Memorialkultur im Mecklenburg des 15. Jahrhunderts. Die Stiftungen des Ritters Mathias Axekow, in: Mecklenburgische Jahrbücher 135 (2020).

Johanna Patricia Menting, Die Leprosorien im spätmittelalterlichen Mecklenburg im Spiegel des Mecklenburgischen Urkundenbuchs. Masterarbeit, Münster 2021/2022.

Niederrhein
Fritz Meyers, Lepra am Niederrhein. Kulturgeschichtliches Erbe als aktuelle Aufgabe, Würzburg 1985.

Pommern
Leandra Celia Petersson, Ersterwähnung von Leprosorien des mittelalterlichen Pommerns im Spiegel des Pommerschen Urkundenbuchs, Bachelorarbeit Münster 2021.

Rheinischer Raum
Martin Uhrmacher, Lepra und Leprosorien im rheinischen Raum vom 12. bis zum 18. Jahrhundert, in: Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte, Band 8, Trier 2011.

Rheinland
Wilhelm Frohn, Der Aussatz im Rheinland, Sein Vorkommen und seine Bekämpfung, in: Paul Krause (Hg.), Arbeiten zur Kenntnis der Geschichte der Medizin im Rheinland und in Westfalen, Heft 11, Jena 1933.

Schleswig-Holstein
Wilhelm Schulze, St.-Jürgen. Lepra in Schleswig-Holstein und Hamburg, Hamburg 1993.

Westfalen und Lippe
Ute Weyand, Neue Untersuchungen über Lepra- und Pesthäuser in Westfalen und Lippe. Versuch eines Katasters, Wiesbaden 1983.

Württemberg
August Englisch, Über Leprosorien in Württemberg. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde in der Zahnmedizin, Johann Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt 1951.