„Die Kirche hat enorm an Einfluss verloren“

Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack über Kirchenaustritte im Deutschlandfunk

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Prof. Dr. Detlef Pollack

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Über Kirchenaustritte und das Verhältnis der Deutschen zur Kirche hat Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack mit dem Deutschlandfunk gesprochen.

Hat die Kirche heute – verglichen mit früheren Jahren – an gesellschaftlicher Prägekraft verloren?

Also ich denke, wenn man die Situation der Kirchen in den 90er-Jahren und auch jetzt nach 2000 mit der Situation in den 50er- oder 60er-Jahren vergleicht, dann ist das überhaupt keine Frage. Die Kirche hat enorm an Einfluss verloren, an Prägekraft verloren. Also bei den evangelischen Kirchentagen in den 50er-Jahren – 1954, 55, 56 –, da saßen Hunderte, Tausende von jungen Menschen zu Füßen der Bischöfe und haben gelauscht, wenn die eine Bibelauslegung gemacht haben, haben mitgeschrieben. Das ist heutzutage geradezu unvorstellbar, dass man also das Wort der Kirche so ernst nimmt, dass man meint, davon Wegweisung zu bekommen. Für viele ist das natürlich nach wie vor von Bedeutung, aber ich glaube, für die Mehrheit ist das sehr stark in den Hintergrund getreten.

Professor Pollack, müssen wir nicht viel mehr zwischen so was wie Amtskirche oder anders gesagt Kirchlichkeit auf der einen Seite und Religiosität auf der anderen unterscheiden?

Unbedingt. Ich würde auch sagen, man muss unterscheiden zwischen Kirchlichkeit und Religiosität. Viele Menschen sagen von sich selbst, dass sie glauben können ohne die Kirche, dass sie religiös sind, ohne in den Gottesdienst zu gehen. Man muss aber auch die andere Seite sehen, nämlich dies, dass das nur zum Teil richtig ist. Also wenn man versucht, danach zu fragen, ob diejenigen, die nicht zur Kirche gehen, auch an Gott glauben, dann gibt es davon sehr viele, aber die Wahrscheinlichkeit, dass man an Gott glaubt, ist weitaus höher, wenn man zur Kirche geht. Es gibt eine statistisch auch nachweisbare Korrelation zwischen Kirchenbindung auf der einen Seite und Religiosität, Glaube an Gott und anderen religiösen Orientierungen auf der anderen Seite.

Also Kirchenaustritte sind nicht zwingend auch ein Zeichen von Areligiosität?

Nicht in jedem Falle, aber sie sind im Wesentlichen vor allen Dingen dies: nämlich ein Zeichen dafür, dass man sowohl mit der Kirche als auch mit dem Glauben nichts zu tun haben will. Die Menschen sagen zwar von sich, sie könnten ohne Kirche religiös sein, aber nur die wenigsten sind es auch.

Das ganze Interview: „Die Kirche hat enorm an Einfluss verloren“ (Prof. Dr. Detlef Pollack, in: Deutschlandfunk „Interview“ vom 17. Mai 2012)