„Patienten haben faktisch keinen Rechtsschutz“

Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Gutmann über die Verteilung gespendeter Organe

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Prof. Dr. Thomas Gutmann

© Julia Holtkötter

Über die Verteilung gespendeter Organe in Deutschland und die Rechtslage betroffener Patienten hat Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Gutmann dem Westdeutschen Rundfunk ein Interview gegeben.

Viele Krankenhäuser entscheiden immer öfter im beschleunigten Verfahren darüber, wer Organempfänger für Herz, Leber, Lunge oder Bauchspeicheldrüse wird. Wie ist das möglich?

Die Zahlen sind für mich überraschend und kommen mir sehr hoch vor. Es handelt sich um Organe, die von mehreren Kliniken abgelehnt wurden, weil der Spender beispielsweise eine Vorerkrankung hatte. Wenn man sie nicht verwendet, werden die Organe unbrauchbar. Es ist deshalb ein vernünftiger Gedanke, sie schnell zu verteilen. Die hohen Zahlen könnten damit zusammenhängen, dass wir wegen des Organmangels gezwungen sind, viele Spender zu akzeptieren, die Vorerkrankungen haben. Einen Skandal würde ich hinter diesen Zahlen nicht vermuten. Aufklärung tut aber Not.

Läuft die Organverteilung gerecht ab?

Technisch funktioniert sie. Die Vergabe hat zwar, gerade bei Lebern, ein gewisses Missbrauchspotenzial, schon weil hier die ärztliche Einschätzung nicht ganz verzichtbar ist. Spielräume werden dabei unterschiedlich genutzt. Ein systematischer Missbrauch wird aber nicht betrieben. Der derzeitige Skandal von Regensburg und Göttingen gibt ein falsches Bild ab. Es handelt sich wohl um mutmaßliches Fehlverhalten Einzelner.

Die wirklichen Probleme sind struktureller Natur und liegen im rechtlichen Bereich. Das Transplantationsgesetz trifft zu den Kriterien und zum Verfahren der Organverteilung kaum Regelungen. Es gibt in Deutschland keine angemessene Diskussion über die moralische und rechtliche - und nicht medizinische - Frage, wer leben darf und wer sterben soll, wenn nicht alle gerettet werden können. Die Verteilung läuft in einem Geflecht ab, an dem unter anderem die Bundesärztekammer, Krankenkassenfunktionäre und eine privatrechtliche Stiftung in Holland beteiligt sind. Dieses Geflecht wurde bisher nicht von außen beaufsichtigt, es gibt keine effektiven Kontrollinstanzen und faktisch keinen Rechtsschutz für die Patienten. Das ist der eigentliche Skandal und nicht der Missstand in Göttingen und Regensburg, wenngleich dieser nicht beschönigt werden soll. 

Können sich Patienten also nicht wehren?

Ich könnte als Jurist keinen rechtlich fundierten Ratschlag geben. Es ist unklar, wer nach dem Transplantationsgesetz die Verantwortung für die Verteilung trägt.

Das ganze Interview: „Patienten haben faktisch keinen Rechtsschutz“ (Prof. Dr. Thomas Gutmann, in: WDR.de vom 7. August 2012)


Auch der ZDF-Sendung „Frontal 21“ gab Prof. Gutmann zu dem Thema ein Interview, dass sich hier in voller Länge anschauen lässt:

TV-Interview: „Die Patienten sind bloße Objekte“ (Prof. Dr. Thomas Gutmann , in: ZDF „Frontal 21“ vom 14. August 2012)

Weitere Interviews gab Prof. Gutmann etwa den Radiosendern WDR 2 und Nordwestradio: