(D2-11) Islamische Dschihâd-Konzeptionen in Vergangenheit und Gegenwart

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Titel- und Textseite einer Handschrift über die Vorzüge des Dschihâds

Das Projekt soll die systematische Erfassung, Aufarbeitung und Übersetzung des wichtigsten islamischen Diskursfeldes leisten, das mit der Thematik des „Dschihâds“ in Zusammenhang steht. Es handelt sich dabei um das sehr weitläufige und bisher von der westlichen Wissenschaft nur unzureichend gewürdigte Feld der sogenannten Hadîth-Überlieferung, die tatsächlich oder angeblich historische Nachrichten von Muhammad sowie weiteres Material zur Frühgeschichte des Islams enthält. Weil es sich neben dem Koran um die zweitwichtigste, aufgrund des Umfangs des Materials de facto aber wohl einflussreichste Quelle der islamischen Religions- und Rechtsgelehrsamkeit handelt, wird in diesem Projekt also die „kanonische“ Hauptquelle der islamischen Tradition mit Hinblick auf den Dschihad zum ersten Mal gründlich erschlossen. In dieser Perspektive ergänzt das Projekt auch andere Untersuchungen zu Legitimation und Delegitimation von Gewalt mittels Schrift und Tradition in den anderen monotheistischen Religionen und ermöglicht eine komparatistische Zusammenschau.

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen alle Hadîthe (Überlieferungen), aus welchen entnommen werden kann, (a) was der „Dschihâd“ eigentlich sein und bezwecken soll (militärischer Kampf, gesellschaftliche Aktivität, innere „Seelenanstrengung“ des Einzelnen), (b) in welcher Relation die verschieden Dschihâd-Formen zueinander stehen und (c) auf welche Weise der Einsatz von Gewalt je nach den verschiedenen Konzeptionen legitimiert ist. Es geht hierbei, was hervorhebenswert ist, um verschiedene Formen der Gewalt: physische (beziehungsweise militärische) Gewalt, „moralische“ Gewalt oder auch „innere“, auf das eigene Selbst und die Lebensführung abzielende Gewalt (im Sinn einer Bezwingung negativer Seelenregungen, Instinkte usw.). Als ein Nebenaspekt der physisch-militärischen Dschihâd-Konzeption wird dabei auch der damit verbundene Aspekt des Todes im Kampf beziehungsweise des sogenannten Märtyrertodes in den Blick genommen, wodurch sich zahlreiche Anschlusspunkte an verwandte Projekte im Exzellenzcluster ergeben, die das Themenfeld „Martyrium und Märtyrerkult“ betreffen.

Die Aufarbeitung der verschiedenen, schon seit dem Frühislam umstrittenen Dschihâd-Konzeptionen ist ein offensichtliches Desiderat der Forschung. Zwar liegt zum weiteren Thema „Dschihâd“ bereits eine umfangreiche Sekundärliteratur in westlichen Sprachen vor, doch gibt es bislang keine systematische oder mit einer Übersetzung versehene Aufarbeitung der Grundlagen islamischer Dschihâd-Konzepte auf der Basis der Hadîth-Überlieferung. Das Projekt leistet damit einerseits Grundlagenforschung und ermöglicht andererseits eine Basis für komparatistische Untersuchungen im Vergleich mit anderen Religionen. Außerdem wird die Aufbereitung des Materials in der geplanten Form neue Maßstäbe der Zugänglichmachung der Hadîth-Überlieferung setzen, weil bislang keine vergleichbare Zusammenstellung, Übersetzung, Kommentierung und Einordnung des Materials gemacht worden ist.

Teilprojekt „Hadîth-Anthologien“

Flankiert wird das Projekt von einem Promotionsprojekt, das in engem Zusammengang mit dem Hauptthema steht, aber einen besonderen, auch gattungsgeschichtlich eigenständigen Zweig der Hadîth-Überlieferung erforscht: die sogenannten „Hadîth-Anthologien“. Es handelt sich hierbei um Sammlungen einer relativ begrenzten Anzahl von Hadîthen – wobei die Zahl 40 eine große Rolle spielt –, die einer bestimmten Thematik, zum Beispiel dem Dschihâd, gewidmet sind. Diese Gattung ist bislang, wie auch die Hadîth-Überlieferung in ihren Hauptformen, weitgehend unerforscht. Im beispielhaften Fall von Werken des Typs „Vierzig Dschihâd-Überlieferungen“, die sich über viele Jahrhunderte bis in die Gegenwart erstrecken, stellt sich unter anderem die Frage nach der Darstellung des Phänomens: Vermitteln die älteren Sammlungen ein ähnliches Bild dessen, was aktuell unter Dschihâd verstanden wird? Dient die Auswahl bestimmter, den Dschihâd thematisierender Überlieferungen zeitgenössischer Sammlungen dem Aufruf zum Kampf? Auf welche Weise wird in ihnen Gewalt legitimiert oder delegitimiert? Wie bereits das Hauptprojekt, das auf den großen, thematisch offenen Hadîth-Sammlungen basiert, gestattet dieses Promotionsprojekt eine spezifische diachrone Übersicht der Bewertungen und Formen islamischer Dschihâd-Konzeptionen.