(A2-7) Pluralismus und Normbegründung in der Moderne

Das Projekt zielt auf eine Monografie zur „Normativität der Moderne“. Es handelt sich im Kern um ein normativ argumentierendes Unternehmen, das sein Ziel mit den spezifischen Mitteln der Rechtsphilosophie (sowie der Moral- und Sozialphilosophie) verfolgt. Hierzu soll zunächst (im Anschluss an Rawls und Habermas, aber über diese hinausgehend) die voraussetzungsvolle These expliziert werden, dass zur Begründung von Normen unter pluralistischen Bedingungen nur mehr Gründe herangezogen werden können, die im Prinzip jedermann diskursiv einsichtig gemacht werden können. In einem zweiten Schritt soll diese These der public justification in ein Gesamtkonzept normativer Moderne eingebettet werden, das um die Begriffe ‚Postkonventionalität’ bzw. ‚Reflexivität’, ‚Kontingenzbewusstsein’, ‚normativer und methodischer Individualismus’ sowie ‚subjektive Rechte’ kreist und diese zugleich als seine wesentlichen Elemente ausweist. Untersuchungsobjekt sind hier nicht zuletzt die Institutionalisierungsprozesse subjektiver Grund- und Menschenrechte. Drittens soll das Konzept der Normativen Moderne erklären, wie der seit etwa 1650 verstärkt einsetzende und noch anhaltende Prozess der systematischen Säkularisierung normativer Konzepte zu verstehen ist, die − wie etwa die Vorstellungen des moralischen Universalismus, der Person, der Zurechnung individueller Verantwortung, des freiwilligen Handelns oder der „Gerechtigkeit“ − zunächst im christlich-theologischen Kontext ausgebildet (oder doch entscheidend weitergebildet) wurden, in veränderter Gestalt jedoch auch zentrale Bestandteile „modernen“ Rechts und „moderner“, von der Religion geschiedener Moral sind.

Die Untersuchung zielt insoweit auf eine Rekonstruktion der immanenten Entwicklungsdynamik dessen, was als normative Begründung gelten kann, kurz: auf eine Theorie der Normenentwicklung. Thematisiert werden Konstitutionali-sierungsprozesse auf der Ebene normativer Leitprinzipien, die als Legitimitätskriterien für Normengenese und Normensetzung sowohl in inhaltlicher als auch in prozeduraler Hinsicht dienen. Im Zentrum steht eine Rekonstruktion der rechtlichen Institutionalisierung eines egalitären normativen Individualismus. Von hier ausgehend soll schließlich die Frage beantwortet werden, auf welche Ressourcen substantieller und prozeduraler Art der liberale, pluralistische Staat im Prozess der Normenbegründung heute zurückgreifen kann; nicht zuletzt an dieser Stelle schließt das im Rahmen des Projekts entstehende Habilitationsprojekt Dr. Fateh-Moghadams an. Dieses normative Unternehmen will sich schließlich viertens zum Begriff der Moderne in den – beschreibenden bzw. verstehenden – Sozialwissenschaften in ein Verhältnis setzen und unter expliziter Reflektion der methodischen Probleme eines solchen Unternehmens der Frage nachgehen, wie sich Normative Moderne zu den theoretischen Konzeptionen der Moderne in soziologischen Makrotheorien, namentlich der Differenzierungstheorie, verhält.


Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattform E Differenzierung und Entdifferenzierung und der Koordinierten Projektgruppe Verflüssigung und Verfestigung normativer Diskurse.

Teilprojekt: Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Strafrechts – Zur strafrechtlichen Beobachtung religiöser Pluralisierung (PD Dr. Bijan Fateh-Moghadam)

Das Habilitationsprojekt zielt auf die systematische Entfaltung, Begründung und Verteidigung der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Strafrechts unter den Bedingungen gesteigerter Pluralisierung. Hierzu sollen die rechtsordnungsspezifischen Anschlussbedingungen für die strafrechtliche Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte mit Religionsbezug aus einer gegenwartsorientierten Perspektive rechtsvergleichend untersucht werden. Der allgemeine Teil des Projektes entwickelt zunächst die soziologischen, rechtsphilosophischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Verhältnisses von Religion und Strafrecht. Das dabei frei gelegte Leitprinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität bildet sodann die gemeinsame Referenz für die Rekonstruktion des materiellen Verbrechensbegriffs (Rechtsgutstheorie), der Strafzwecktheorien, des Verhältnisses staatlichen Strafrechts zu religiösen Rechtsvorstellungen (Rechtspluralismus), der Diskussion um religiöse Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe (Cultural Defense) sowie der Legitimation der Delikte, welche sich auf Religion und Weltanschauung (Religionsdelikte) beziehen.

Im Zentrum des besonderen Teils des Projektes stehen religionsbezogene Konflikte mit hoher rechtspolitischer Aktualität: Der strafrechtliche Schutz vor Religionsbeschimpfung (Beispiel: Koranverbrennung); die Legitimität strafrechtlicher Verschleierungsverbote im öffentlichen Raum (Beispiel: franz. Burka-Verbot); die Strafbarkeit religiös-ritueller Praktiken wie der Beschneidung von Knaben; die strafrechtliche Relevanz religiöser Motive (Gewissenstaten versus Hate Crimes); die Bedeutung der Religion als normative Ressource des Biostrafrechts (Heiligkeit des Lebens); religiöse Gehalte des Tabuschutzes im Strafverfahren (Folterverbot) und die Zeugnisverweigerungsrechte Geistlicher. Die Arbeit zielt dabei nicht auf eine erschöpfende Darstellung aller denkbaren Berührungspunkte von Strafrecht und Religion. Vielmehr soll anhand ausgewählter Anwendungsfelder exemplarisch untersucht werden, wie sich die im allgemeinen Teil entwickelten theoretischen Grundlagen bei der strafrechtsdogmatischen Bewältigung konkreter Folgeprobleme religiöser Pluralität bewähren.