„Geh, stelle mein Haus wieder her!

Gedanken zur Zukunft der Gemeinde an der Dominikanerkirche [Syst.]

I
Geh, stelle, mein Haus wieder her! Viele von Ihnen werden wissen, woher das Motto der heutigen Predigt stammt. Francesco d’ Assisi ist unterwegs zu sich und ringt um Klarheit über sein Leben. Er probiert dies und jenes aus, spielt in Rom Bettler, fühlt sich zu den Armen und Aussätzigen hingezogen, wird daheim verlacht und kommt eines Tages in das Kirchlein von San Damiano. Dort hängt ein wunderbares, ausdrucksstarkes Kreuz: der Erlöser mit hoheitsvollem Antlitz, offenen Augen, ausgebreiteten Armen. Und dann geschieht es. Thomas von Celano, der erste Biograph des Poverello, erzählt es so:
In diesem Zustand sprach zu ihm alsbald - unerhört ist's seit ewigen Zeiten - das Bild des gekreuzigten Christus, wobei sich die Lippen auf dem Bilde bewegten. Es rief ihn beim Namen und sprach: Franziskus, geh hin und stell mein Haus wieder her, das, wie du siehst, ganz verfallen ist!'" (2 Cel 10)
Die sogenannte Drei-Gefährten-Legende erzählt das Ereignis noch ein bisschen ausführlicher:
[Franziskus] betrat die Kirche und begann innig vor einem Bild des Gekreuzigten zu beten, das ihn liebevoll und gütig auf folgende Weise ansprach: Franziskus, siehst du nicht, dass mein Haus in Verfall gerät? Geh also hin und stelle es mir wieder her!' Zitternd und staunend sprach Franziskus: Gerne, Herr, will ich es tun. Er meinte nämlich, dass sich das Wort auf jene Kirche San Damiano beziehe, die ihres hohen Alters wegen demnächst einzufallen drohte" (3 Gef 13).
In Wahrheit zielte der Ruf des Gekreuzigten nicht auf das baufällige Kirchlein aus Stein, sondern – wir wissen es aus dem, was folgte – auf den inneren, den geistig-geistlichen Zustand der Kirche. Und der kleine junge Mann aus reichem Haus zettelt tatsächlich als armer Bettelmönch eine Kirchenreform an, die bis heute nicht vergessen ist.

II
In der Tat ist das immer das Erste, was uns in den Sinn kommen muss, wenn es um Kirche geht: Wie es denn um ihr geistig-geistliches Gesicht bestellt ist. Gerade in den letzten Monaten und zumal dieser Tage auch kann man dieser Frage gar nicht ausweichen, da der Vatikan ein zuvor nie erlebtes Jammerspiel bietet: Die Machtkämpfe alter eitler Männer, die sich gern fünf Meter lange Purpurschleppen nachtragen lassen, ein Intrigenstadl sondergleichen, in dem es nicht zuletzt um Politik, auch um viel Geld und manchmal ein wenig um Altmännersex geht. Und mitten darin, ein Papst, der bisweilen so hilflos wirkt, dass mittlerweile selbst abgebrüht säkulare Journalisten mit ihm Mitleid haben. – Geh hin und stell mein Haus wieder her! Aber wo ist der Franziskus, den es heute bräuchte?

III
Dieses große Ganze der Kirche kann und darf uns nicht egal sein, weil wir selbst auch diese Kirche sind. Das sage ich nicht zuletzt kritisch an die Adressen so mancher Kollegen in nah und fern, die sich von all diesen Rankünen abwenden und resigniert in ihre wissenschaftlichen Fächer zurückziehen. Das kann nicht die Lösung sein. Gerade als Theologinnen und Theologen haben wir die Pflicht, die kritische Stimme zu erheben, auch wenn das unbequem ist, zu Konflikten führt und man dafür dann von erzkonservativen Klüngeln auf den Medienpranger getrieben wird.

IV
Neben diesem Blick auf die Kirche als ganze gibt es aber auch die Sorge um das Kleine und Konkrete, um die Gemeinde vor Ort. Und davon möchte ich heute aus besonderem Grund sprechen. Von der Sorge um unsere Gemeinde hier an der Dominikanerkirche: Nach dem Krieg einer langen Zeit als notdürftig gesicherte Ruine wurde die Kirche, die dem hl. Joseph geweiht ist, wieder hergerichtet. Und seit 1974 versammelt sich hier eine freie Gemeinde von Menschen ganz verschiedener Herkunft zum Gottesdienst, dem Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät der WWU vorstehen. Dem Dienst der Verkündigung in der Predigt wird dabei besondere Aufmerksamkeit zuteil, freilich nicht minder der würdigen liturgischen Feier. Peter Hünermann, Karl Kertelge und Arnold Angenendt waren meine Vorgänger im Amt des Rector ecclesiae, das ich 1999 übernommen habe – damals nicht wissend, was da auf mich zukommen würde.

Denn: Völlig überraschend hat das Rektorat der Universität vor acht Jahren den Mietvertrag mit der Stadt Münster als der Eigentümerin der Kirche gekündigt – und natürlich war das damals auch ein Nadelstich gegen die Kirche und die Katholisch-Theologische Fakultät. Langwierige Verhandlungen, um zu einem anderen Vertragsmodell zu kommen, sind immer wieder an Detailproblemen gescheitert. Zeitweise stand die Idee im Raum, die Kirche zu profanieren. Käufer und Mieter stand schon parat. Unter anderem hörte ich reden, ein Rechtsanwalt hätte gern die Kuppel als Arbeitszimmer gehabt. Heraus gekommen ist im Lauf der Jahre ein ganz eigenwilliges, fast möchte ich sagen, franziskanisch-einfaches Modell: Ich bin gleichsam unter der Hand als Rector zum ehrenamtlichen Kustos der Kirche für die Stadt geworden, der dafür Sorge trägt, dass die vielen Veranstaltungen, die in der Kirche stattfinden, dem Raum und seiner Würde entsprechen. Für lau, versteht sich. Und dafür dürfen wir uns umgekehrt hier zum Gottesdienst versammeln.

Ein wichtiges Bindeglied sind dabei die beiden Küsterstellen im Umfang von acht und neun wöchentlichen Arbeitsstunden studentischer Hilfskräfte. Denn die Inhaber dieser Stellen bereiten nicht nur die Gottesdienste vor oder sorgen für den Festtagsschmuck, sondern betreuen auch die kulturellen Veranstaltungen in der Kirche: Konzerte, Ausstellungen, Vorträge – was übrigens nur funktioniert, weil die Küster und Küsterinnen seit je bereit sind, sich nach Bedarf auch über ihr Zeitbudget hinaus zu engagieren.

Genau dieses wichtige Bindeglied gerät jetzt in Gefahr, denn das Kulturbüro der Universität, aus dessen Haushalt die beiden Stellen finanziert werden, wurde angesichts der Finanzmisere der Hochschule zusammengestrichen – unter anderem mit der Folge, dass voraussichtlich ab 01. 01. 2013 die beiden Stellen nicht mehr finanziert werden. Das Budget der Fakultät ist seinerseits so angespannt, dass die beiden Stellen nicht übernommen werden können – es geht um eine Jahressumme von etwa 9.400€. Seitens des Bistums besteht an der Dominikanerkirche seit je nicht das geringste Interesse, weil man ohnehin in der Stadt zu viele Kirchen habe, wie es heißt. Dabei entspricht unsere Gemeinde ziemlich genau dem, worauf man im Rahmen der Pastoralplanung mit den Fusionierungen vieler Pfarreien ja hofft: dass Personalgemeinden entstehen, die zu geistlich-liturgischen Kristallisationspunkten werden. Genau dies geschieht hier ja. Und wenn ich mich nicht täusche, tauchen in letzter Zeit vermehrt immer wieder neue Gesichter auf, vermutlich von Menschen, die eine neue gottesdienstliche Heimat suchen. Ganz zu schweigen von dem Magnet, zu dem unsere Kirche etwa in den Wochen vor Weihnachten durch den City-Advent oder während großer Stadtfeste wird. Es wäre ein herber Verlust für das religiös-geistlich-kirchliche Gepräge der Stadt, wenn es die Dominikanerkirche als Gemeinde nicht mehr gäbe. Diese Kirche sind wir alle zusammen. Das heißt nicht zuletzt: Wir selber sind verantwortlich, dass es uns weiterhin gibt.

V
Natürlich werde ich weiterhin sondieren, welche Möglichkeiten sich für die Stabilisierung der Küsterstellen auftun könnten. Aber ich möchte doch auch einen Vorschlag unterbreiten, der sich direkt an Sie als Gemeindeglieder richtet: Wäre nicht denkbar, dass einige von Ihnen, denen das möglich ist, sich zusammentun, um den Jahresbetrag für die Küsterstellen für ein Jahr verbindlich zuzusagen. Eine Spendenbescheinigung für den gestifteten Betrag wäre möglich. Und natürlich würde ich Jahr um Jahr neu fragen, wer sich denn beteiligen möchte, so dass niemand von vorneherein eine langfristige Verpflichtung eingehen müsste. Ich bitte Sie herzlich, sich einmal diesen Gedanken durch den Kopf gehen zu lassen und dann auf mich zuzukommen. Ich lasse mich auch – weltenthobener Kathederphilosoph, der ich nun einmal bin – gerne von denen unter Ihnen beraten, die mit solchen Dingen mehr Erfahrung haben.

VI
Mein eigener Beitrag wird darin bestehen, dass ich im Boot bleibe. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich im vergangenen Winter während einer ärztlich verordneten Zwangpause eigentlich entschlossen war, das Rektorenamt mit Ende dieses Sommersemesters nach 13 Jahren in jüngere Hände zu übergeben. Aber da sind leider keine jüngeren Hände. Und von Bord gehen bei etwas stürmischem Wetter, nein, das tu ich nicht! Dafür ist mir die Dominkanerkirche – und sind mir Sie als Gemeinde – viel zu sehr ans Herz gewachsen, obwohl ich ja eigentlich Münsteraner mit Migrationshintergrund bin.
 
V
Als damals Francesco nach einer Weile kapiert hatte, was sein wirklicher Auftrag war, hat er ein Gebet gesprochen, das wir uns heute in unserer Situation auf Punkt und Komma zueigen machen können:
Höchster, glorreicher Gott,
erleuchte die Finsternis
meines Herzens
und schenke mir rechten Glauben,
gefestigte Hoffnung, vollendete Liebe
und tiefgründende Demut.
Gib mir, Herr,
das rechte Empfinden und Erkennen,
damit ich deinen heiligen und wahrhaften Auftrag erfülle,
den du mir in Wahrheit gegeben hast. Amen.