Ernst gemeint

20 So B: Joh 6,51-58

I
Friedrich der Große, König von Preußen, war bekannt dafür, dass er nicht allzu viel hielt von Religion und Kirche. Gern spöttelte er auch über Dinge des Glaubens. Seinen Leibarzt fragte er einmal, um ihn in Verlegenheit zu bringen: Doktor, nenn’ er mir einen Gottesbeweis, wenn er kann. – Der darauf wie aus der Pistole geschossen: Die Juden, Majestät!

II
Diese Antwort war frech, aber gut. Die Juden ein Gottesbeweis – das will sagen: dass ein so kleines, gefährdetes, ungebildetes Nomadenvolk aus der – weltpolitisch damals – hintersten Provinz zum Ansprechpartner Gottes für die ganze Welt wird; dass es dieses Ereignis über Jahrtausende hin weitergegeben und lebendig erhalten hat; dass es zahllose Verfolgungen und Ausrottungsversuche durch andere Völker überlebt hat; dass noch immer nicht wenige bis heute den uralten biblischen Verheißungen Gott trauen, das vermag dieses Volk nicht aus eigener Kraft. Darum: die Juden sind so etwas wie ein Gottesbeweis: dass es sie überhaupt gibt und dass es sie immer noch gibt, verrät, dass da einer hinter ihnen steht. Und ich denke auch, es ist keine leere Spekulation, wenn man vermutet: die Verfolgungen, der Hass, der dieses Volk der Juden auf sich zog und zieht – gerade auch im 20. Jahrhundert –, das hat nicht zuletzt auch, sondern zutiefst mit der anstößigen, ja skandalösen Konkretheit zu tun, mit der sich an den Juden Jenseitiges – nein: einfach Gott – durch Menschen und im Menschlichen mitten in der Welt kundtut.

III
Dass Gott uns Menschen konkret, ja geradezu greifbar in der Welt begegnet, ohne dass wir ihn darum so einfach begreifen könnten, davon ist auch unser christlicher Glaube überzeugt, und wer sich auch nur ein wenig klar macht, wie ungeheuerlich so etwas doch im Grunde ist, der versteht von selbst, dass sich alle Auseinandersetzungen von Christen untereinander und ebenso zwischen Christen und Nichtchristen – und auch die zwischen Christen und Juden übrigens – einzig um diese Konkretheit von Gott und Glaube drehen und drehen können. Schon im Evangelium ist davon die Rede – heute haben wir es gehört. Und so ist es über die Jahrhunderte geblieben. Immer wieder neu mussten die Christgläubigen darum ringen, dass die Botschaft von der Menschwerdung, dass Gott selbst in einem wirklichen Menschen aus Fleisch und Blut begegnet – dass die nicht verfälscht und verdünnt wurde. Dass ein Gott sich auf Erden zeigt, das war nie ein Problem, die Mythen vieler Kulturen erzählen davon. Dass aber Gott nicht einen halben Meter über dem Boden schwebend und vergeistigt, sondern als wirklicher Mensch begegnet, als einer, dem Leid und Angst und Not und nicht einmal Tod fremd bleiben; und dass er gerade dadurch, wie er als Mensch ist, das unsichtbare Geheimnis sichtbar macht für uns – das war der Skandal. Gott hat nicht Mensch gespielt. Er ist Mensch geworden, damit wir aus dem, wie dieser Jesus war, erahnen, wie Gott ist.

IV
Genau diese Konkretheit fasst Jesus in den Satz, mit dem das heutige Evangelium beginnt: Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Brot ist nichts Extravagantes, im Gegenteil: Es ist alltäglich – aber notwendig. Woraus besteht dieses für das Leben, das Überleben Notwendige, das Jesus in bildhafter Sprache „Brot“ nennt? Es ist sein Fleisch, sagt er. Fleisch heißt in der Bibel immer das irdische, sichtbare Dasein eines Menschen, alles, was er tut, sagt und lebt.

Er lebt, wie er lebt, weil er gewiss ist, dass seine Weise zu sein anderen gut tun und nicht nur gut tut, sondern nottut, damit sie leben können – nottut wie das tägliche Brot. Von außen gesehen muss das anmaßend klingen und zu Empörung führen. Von innen, der Mitte der Existenz Jesu her, nimmt sich das gänzlich anders aus: Das Gottvertrauen, das ihn prägt, die Güte, die er schenkt, die Vorurteilslosigkeit, mit der er Menschen, gerade schief angeschauten, begegnet – wer auch nur einmal in die Nähe von jemandem gekommen ist, der ein wenig von all dem verkörpert und ausstrahlt, weiß, dass da Dinge sind, nach denen man sich mehr sehnt als nach allem anderen; Dinge, von denen man leben und zehren kann. Und das ist das Einmalige an Jesus, sein Fleisch eben.

V
Darum hat sich den frühen Christen, wenn sie davon hörten, dass sich Jesus im Sinnbild als das lebendige Brot bezeichnet hat, wie von selber die andere Szene aufdrängt, in der auch Brot und Jesus miteinander zu tun haben: das Abendmahl. Und weil das sein Abschied war, der dadurch zustande kam, dass er ganz und ohne Vorbehalt dem Leben der Seinen dienen wollte, also für sie Lebensbrot sein wollte, darum konnten sie und sie durften eigentlich auch gar nicht das gesprochene sinnbildliche Brot und das Brot zum Essen auseinanderhalten. Beides war eins.

Deswegen auch kann das Zeichen, das diese Botschaft verkörpert – Brot und Wein der Eucharistie –, nicht bloß Hinweis auf etwas anderes, Geistiges, Übertragenes sein, wenn es diese Botschaft wahrheitsgemäß weitergibt. Sondern Brot und Wein sind wirklich das, wofür sie der erklärt, in dem Gott wirklich begegnet: Jesu Fleisch und Blut, er in Person, damit wir nicht übertragen, sondern wirklich leben von ihm. Und das ist das Anstößige der Eucharistie immer schon gewesen bis heute. Dennoch macht Jesus gerade so Gottes Für-uns-Sein greifbar im Brot, das er seinen Leib nennt. Dass dieses Zeichen nicht lügt und trügt, dass es also eben die Liebe, das Für-uns-Sein wirklich gibt, für die es steht, dafür bürgt Jesus mit allem und mit dem Letzten, was er hat, mit dem eigenen nackten Leben am Kreuz. Das ist – wie alles wirklich Menschliche – Vertrauenssache. Jedes Begreifen dieses Greifbaren greift zu kurz, aber: größere Wahrhaftigkeit als eine mit dem eigenen Leben besiegelte kann es nicht geben.

VI
Das Essen vom Brot bei der Feier der Messe bedeutet so viel wie bekennen: Ich lebe von diesem Jesus. Alle Sätze unseres Evangeliums, die so rätselhaft, im Grund so anstößig klingen wie – wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben –, alle diese Sätze buchstabieren nur dieses „von Jesus leben“ durch, buchstabieren es durch in der Sprache der Vertrautheit – so ähnlich wie zwei Menschen in der Sprache der Liebe zueinander sagen: Ohne dich kann ich nicht mehr sein. Von außen gehört oder gelesen bleibt solche Rede Unfug. Von innen genommen ist sie wahr. Sonntag für Sonntag machen wir uns diese Innenseite des Glaubens vertraut, damit sie uns trägt. Auch jetzt.