Warum wir über Petrus froh sein können

Hochfest Peter und Paul B: Mt 16, 13-19

I.

Vermutlich kennen Sie die Anekdote: Ein frommer Jude trägt sich schon lange mit dem Gedanken, katholisch zu werden. Kurz bevor er getauft werden soll, reist er noch nach Rom, um dort die Kirche ganz aus der Nähe zu erleben. Bitter enttäuscht kehrt er zurück, schockiert von dem ungeistlichen, lärmenden Treiben in der ewigen Stadt. Dennoch wird er ein paar Wochen später katholisch. Seine Freunde machen ihm heftige Vorwürfe deswegen. Als sie damit fertig sind, entgegnet er: Glaubt mir, eine Religion, die das aushält, die muss wahr sein!

II.

Sie wissen ja: in guten Anekdoten geht es immer um ernste Dinge. Unsere da vom jüdischen Konvertiten taucht häufig dort auf, wo Christen ihr Unbehagen ausdrücken möchten an dem, was ihnen einfällt, wenn sie von Rom und vom Vatikan hören, vom Papst und von der Kurie. Dennoch lässt sich oft genug nicht der Eindruck vermeiden, dass vieles am Papsttum und um es herum ja doch von vorgestern ist. Die gestelzte Sprache der offiziellen Botschaften, die schwülstige Attitüde des Immer-schon-recht-gehabt-habens, die triumphalen Aufmärsche auf dem Petersplatz, die seltsamen Audienzen, wo doch nur einer redet und keiner wirklich hinhört, das Gebaren katzbuckelnder Höflinge, die sich um den Papst drängen. Das alles mag in gar nicht wenigen – auch Katholiken – die Frage aufkommen lassen: Was hat denn das noch mit Christus, mit dem Evangelium zu tun? Ist das ganze Papsttum mit seinem Glanz und seinem Glimmer nicht bloß der letzte Nachzügler vergangener Epochen. Etwas, was nie und nimmer wesentlich zur Kirche gehört.

III.

Ich denke, es ist wichtig, solche Einwände ernst zu nehmen. Dennoch muss ich Sie enttäuschen, wenn Sie erwarten, ich würde jetzt ansetzen, jene kritischen Vorwürfe zu bestätigen. Wie ich Sie auch enttäuschen muss, wenn Sie meinten, ich würde sie widerlegen. Denn beides ist belanglos in Anbetracht dessen, was das Evangelium selbst uns darüber zu sagen hat. Vor allem zwischen den Zeilen möchte uns Matthäus heute Wichtiges ans Herz legen.

Das Erste: sein ganzes Evangelium hindurch wird Matthäus nicht müde zu betonen, dass der Kreis der Jünger um Jesus nicht ein einmaliger Sonderzirkel, sondern das Urbild ist, das richtungsweise Modell für jede Gemeinschaft von Glaubenden, also die Gemeinden. Was den Jüngern mit Jesus widerfährt, das wird auch den Gemeinden verheißen. Genauso wie sich auch die Schwächen und Nöte der Jünger teilen. Denken Sie etwa nur an die Geschichte vom Seewandel, wo der Herr der verängstigten Schar im Schiff – also auch im Schiff der Kirche – zu Hilfe kommt. Aber derselbe Matthäus, der so sehr das Jüngersein aller Getauften – unser Jüngersein – betont, der übrigens auch Herrschaftsausübung und den Gebrauch von Machtmitteln innerhalb der Gemeinde schärfstens ablehnt, - ausgerechnet dieser Matthäus spricht so ausführlich wie kein anderer davon, dass es in der Kirche auch den besonderen Dienst des Petrus gibt. Petrus gilt ihm nicht nur als der erste der Apostel, ihr Wortführer. Petrus wird von Jesus selbst auch mit einem Dienst betraut, den die anderen Apostel so nicht übernehmen. Das Evangelium kennt also unbestreitbar eine Gliederung innerhalb der Kirche, die einen besonderen Dienst des Petrus vorsieht.

Das ist das Erste, was uns Matthäus sagen will. Das Zweite hat zu tun mit der Wesensart dieses Petrus. Der nämlich, dem der Herr jenen speziellen Dienst auferlegt‚ ist in keiner Hinsicht besonders vorbildlich: keine Intelligenzbestie, kein glänzender Redner, auch nicht überdurchschnittlich fromm – ja, nicht einmal in seinem Verhältnis zu Jesus sticht er besonders hervor. Genauso, vielleicht mehr noch, als die anderen befällt ihn Kleinglaube. Genauso wie die anderen begegnet er den Hinweisen Jesu auf sein kommendes Leiden voller Unverstand – so sehr, dass Jesus ihn anherrscht: Weg von mir, Satan! Und auch verleugnen wird dieser Petrus seinen Herrn, als es ernst wird. All das verschweigt Matthäus nicht, obwohl ihm so sehr an der Gestalt des Petrus liegt. Einen ganz normalen, durchschnittlichen Menschen mit Schwächen und Fehlern beauftragt Jesus mit einem besonderen Dienst. Und auch durch diese Beauftragung wird Petrus kein Supermann. Er bleibt der Alte. Dennoch: gerade diesen begrenzten Menschen aus Fleisch und Blut nennt Jesus "Fels". Gerade ihn braucht er.

Doch, wozu braucht er ihn überhaupt? Den besonderen Ruf an Petrus spricht Jesus in unmittelbarem Zusammenhang einer Frage, der sich die ersten Christen genauso stellen mussten wie wir heute und alle Christen nach uns: Für wen haltet ihr mich? Wer bin ich euch? Und Petrus antwortet: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes. Du bist der von uns ersehnte letzte Bote Gottes, der in Gottes Vollmacht spricht und handelt; der uns Gottes Heil bringt, wenn wir ihm vertrauen. Das sagt Petrus. Und Jesus preist ihn selig dafür – wie keinen anderen der Apostel. Selig, weil er durch dieses Bekenntnis bereits Gottes Heil empfangen hat. Jesus fügt aber gleich hinzu: Nicht Fleisch und Blut haben dir das geoffenbart, sondern mein Vater im Himmel, also: dieses Glaubensbekenntnis ist keine Eigen- und Sonderleistung des Petrus. Dieses Bekenntnis selbst ist stattdessen ein Geschenk der Gnade Gottes – dessen, dem es um das Heil der Menschen geht, allein jedes einzelnen. Und das heißt: Petrus hat dieses Geschenk nicht für sich bekommen, sondern er hat es bekommen für die anderen.

Alles, was das Besondere des Petrus ausmacht – dass er "Fels" heißt, dass er die Schlüssel des Himmelreiches erhält, dass er bindet und löst, das alles ist streng bezogen auf dieses von Gott geschenkte Christuszeugnis des Petrus. Mit allem, was er ist und tut, soll Petrus diesem Zeugnis dienen. Und deshalb ist Petrus für sich gar nichts, obwohl, - nein, weil er Fels ist, d. h. Fundament und ausschlaggebende Norm jedes anderen Zeugnisses für Christus. Darin besteht der Petrusdienst. Dass Jesus der Sohn ist, der Mensch, der untrennbar in die innerste Mitte des Geheimnisses Gottes hineingehört, und dass er uns Heil bringt – dieses Bekenntnis soll Petrus mit seinem Dienst lebendig halten und schützen. Die Schlüssel des Himmelreichs verwaltet er; das meint: sein Bekenntnis soll Maßstab sein nach außen, wer zu Christus gehört und wer nicht – jedenfalls solange Menschen unterwegs sind zum Ziel der Geschichte. Was dann am Ende einmal sein wird, liegt ohnehin allein in Gottes Hand. – Und binden und lösen soll er, das bedeutet: er soll das Zeugnis für Christus auch im Innern der Gemeinschaft des Glaubens, in der Kirche, zur Geltung bringen, es schützen vor aller Verzerrung.

Dieser Dienst ist gewiss groß - mit Gebärden der Macht aber wird er nie zu tun haben können, weil er immer Dienst bleibt. Mehr noch: ein Dienst im Zeichen der Demut wird er sein müssen – das ist Petrus seiner Vergangenheit schuldig. Und auch ein Dienst beseelt vom Lebensatem Christi, von der Liebe, denn nur so kann dieser Dienst dem Heil der Menschen dienen, d. h. dem Evangelium entsprechen – und das muss er.

Der Petrusdienst besteht also darin, das Bekenntnis zu Christus unverrückbar hochzuhalten und alle die zusammenzuhalten, die miteinander diesen Christus bezeugen. Solange in der Kirche der Petrusdienst so ausgeübt, und so, wie Jesus ihn gemeint hat, solange wird die Kirche deshalb auch dem Christuszeugnis mit Sicherheit treu bleiben. Und deshalb – nur deshalb – hängt am Petrusdienst diese große Verheißung Jesu an seine Kirche: Die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Er will damit sagen: Solange in der Kirche mit Hilfe des Petrusdienstes das Bekenntnis zu mir gesprochen wird, solange wird diese Kirche nie total ins Leere laufen. Die Mächte der Unterwelt, des Todes also, des ärgsten Feindes des Lebens, dieses Totsein wird die Gemeinden nie erledigen – diese vielen Tode der Anpassung und der Bequemlichkeit, die Tode der Egoismen und der Herzenshärte werden die Gemeinden nicht in die Knie zwingen. Gott hat vor, durch seine Kirche die Welt wieder so zu machen, wie er sie ursprünglich gemeint hat. Und dieser Plan wird – trotz aller Versagen – ins Ziel kommen, solange sich die Kirche zu ihrem gekreuzigten und auferstandenen Herrn bekennt.

. . . die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Dieser Satz gibt uns beileibe keinen Anlass aufzutrumpfen und die Kirche selber für die bestmögliche oder gar das Reich Gottes zu halten – obwohl das oft genug geschah und geschieht. Nein, diese Verheißung Jesu schenkt uns vielmehr ein tröstliches Wort der Hoffnung: dass wir als Glaubende nicht scheitern, auch wenn wir noch so viel falsch machen, solange wir uns zu Christus bekennen, demütig und um Vergebung bittend für unser Versagen. So wie er den schwachen, schwankenden Petrus immer wieder gerettet hat, weil der sich doch immer wieder an seinen Herrn klammert, wie damals auf dem See. Dazu also – zur Hoffnung – hat Gott uns in der Kirche den Dienst des Petrus geschenkt.

IV.

Vielleicht fragen Sie mich jetzt: Angenommen, das alles stimmt – wie steht es aber dann mit dem Papsttum, wie es uns in der Geschichte der Kirche und auch heute begegnet? Dass das konkrete Papsttum oft so wenig dem Dienst des Petrus ähnelt, wie ihn das Evangelium sieht, das ist wohl selbst Folge davon, dass dieser Petrus von Anfang an und in allen, die ihm nachfolgten, ein schwacher, begrenzter Mensch ist. Solches Versagen hat nicht selten der Kirche und ihrer Glaubwürdigkeit schweren Schaden zugefügt – wie es etwa die bösen Entgleisungen in Handel und Urteil zu Zeiten Bonifaz VIII. oder Pius IX. taten. Und selbst in jüngerer und jüngster Vergangenheit hat Rom manchmal Menschen behandelt in einer Art und Weise, die nichts mehr mit Dienst und Liebe zu tun hat, sondern mit Machtrausch und Herzenshärte.

Aber gerade auch in dieser jüngeren Vergangenheit leuchtete in mancher Papstgestalt der Petrusdienst auch so auf, wie ihn der Herr uns zugedacht hat. Die Liebenswürdigkeit und Güte eines Johannes XXIII. gehören wohl zu diesen lichten Zeichen der Kirchengeschichte. Und wohl auch die Weise, wie Papst Paul VI. in den späten Jahren seines Pontifikates den Petrusdienst wahrgenommen hat. Dieser Papst hat radikale Demut geübt – weil er um die Nöte der Kirche und um seine Schwächen gleichzeitig wusste. Selbst das Äußere dieses Mannes war davon geprägt. Ich habe das einmal mit eigenen Augen ganz nahe erleben können.

Als 1977 Kardinal Bayenda in Uganda erschossen wurde, feierte eine große Zahl von Kardinälen das Requiem im Petersdom. Ich war damals als Student in Rom. Paul der VI. nahm auch daran Teil. Er, der damals schon schwer krank war und kaum gehen konnte, bestand darauf, bei diesem Gottesdienst nicht – wie üblich – hereingetragen zu werden. Stattdessen schleppte er sich mit kleinen Schritten auf den Kreuzesstab gestützt zum Altar. Dieser kleine zitternde Mann mit dem gebeugten Haupt, dem nur noch das Kreuz Halt gab – das war für mich das eindringlichste der wenigen Christuszeugnisse, die ich in Rom erlebt habe. Es hat mir mehr von der Nähe Gottes gesagt als der ganze Petersdom, wo oben ringsum in erschlagend großen Goldlettern prangt: . . . du bist Petrus der Fels . . .

Gerade im schwachen Petrus hat Gott seine Kraft erwiesen, die uns retten will. So wird es auch mit der Kirche sein, bis der Herr wiederkommt. Gerade dort, wo sie menschlich gesehen schwach ist und machtlos bleibt, gerade dort wird sie die Gegenwart Gottes besonders deutlich spüren, sofern sie am Zeugnis für Christus festhält. Der Dienst des Petrus hilft uns dabei. Deshalb dürfen wir sogar froh sein um ihn.