Vom Dienst der Versöhnung

Priesterjubiläum St. Anton 2014: systematisch

I
Vor ziemlich genau 50 Jahren bin ich hier in dieser Kirche Ministrant geworden. Schon damals hat mich die Gestalt des Heiligen Antonius fasziniert: Wie er den Esel des ungläubigen Bauern vor dem Altarsakrament zum Niederknien bringt. Wie er den Fischen predigt, weil die Menschen ihm nicht zuhören wollten. Wie er sich in die Heilige Schrift vertieft und zugleich sich den Armen zuwendet. Hinten im Seitenschiff unserer Kirche ist das alles eindrücklich gemalt. Viel später habe ich gelernt, dass das so viel heißt wie: Mystik und Politik verbinden, Innen und Außen, Welt und Gott untrennbar verweben. Und was täte uns und der Kirche heute mehr not als eben dies! Von unverbrauchter Aktualität ist, wofür unser Pfarrpatron steht. Dafür ehren wir ihn.

II
Heute freilich verbindet sich diesem Patrozinium ein besonderes Moment: Stadtpfarrer Dr. Anton Hierl begeht auf den Tag genau sein 40. Priesterjubiläum, Prof. Dr. Hermann Riedl macht die 30 voll, Pfarrvikar Kronthaler – als Nesthäkchen gleichsam – bringt es auch schon auf 10 Jahre, unser Jubel-Senior Pfarrer Helmut Heiserer steht bei 45 Jahren, ja und ich selber gehöre ebenfalls zu den 30-Endern – Hermann Riedl und ich sind Weihekurskollegen. Also: Heute, hier ein 155-jähriges Priesterjubiläum, das gibt’s nicht alle Tage und nicht überall, mit einem Augenzwinkern gesagt.

III
Doch jetzt im Ernst. Solche Jubiläen werden künftig seltener werden. Die Priester sterben zwar nicht aus, aber in Europa ist es dramatisch. In Deutschland gibt es Bistümer, die hatten schon drei Jahre keine Neupriester mehr. Manche amtlichen Instanzen wollen es nicht wahrhaben. Sie behaupten, heute sei wegen der schwindenden Beteiligung am Gemeindeleben ein Priester für weit weniger Gläubige zuständig als früher, also gebe es gar keinen Priestermangel – als ob man die Seelsorge heute mit der vor 50 Jahren vergleichen könnte! Und überhaupt gehe es ja aufwärts, wie die Zahlen in Afrika bewiesen. Dass die mit dem dortigen explosionsartigen Bevölkerungswachstum und der damit logisch einhergehenden Zunahme von Taufbewerbern zu tun haben, wird nicht dazugesagt. Freilich ist es allemal einfacher, sich in die eigene Tasche zu lügen, als sich der Ursache des Problems zu stellen.

IV
Diese Ursache hat zwei unmissverständliche Namen: miserables Berufsbild und Zölibat. Es ist entsetzlich, wie viel an geistlicher Energie und menschlicher Kraft schon verloren ging, weil Priester in Aufgaben verschlissen werden, die eigentlich gar nicht die ihren sind – in Verwaltung und Organisatorischem. Und weil sie ihrer Berufung nur unter Voraussetzung einer Lebensform folgen können, die offiziell als unabdingbar notwendig behauptet, aber bis heute als solche nicht einsichtig zu machen war – weil sie es halt nicht ist. Mehr als das berühmte „Wer es fassen kann, der fasse“ von Mt 19,12 gibt es zum Zölibat nicht zu sagen. Jedes Wort darüber hinaus ist Blendwerk und Ideologie, nichts sonst.

Ein Doppeltes kommt hinzu: Nicht wenige von den geistlich Lebendigen und Glaubwürdigen sind angeschlagen, weil sie die Kluft zwischen Botschaft und kirchlicher Wirklichkeit manchmal schier zerreißt. Umgekehrt fehlt denen, die so rundum richtig selbstzufrieden als Priester auftreten, häufig die Glaubwürdigkeit, weil sie sich in ihrer Berufung eingerichtet, gleichsam mit beiden Ellbogen aufgestützt haben – und ziemlich ungeniert das Amt benutzen, um auszugleichen, was ihnen an Persönlichkeit fehlt. Wie so etwas konkret aussieht, war in den letzten Monaten gar noch eine Stufe höher, auf bischöflicher Ebene, am Fall Limburg drastisch zu erleben, mit verheerenden Folgen. Wenn es so steht – was Wunder, dass der Priesterberuf nur noch wenige anzieht?

V
Aber seltsam: Zeitgleich zu dieser beispiellosen Krise des Priesterseins erweist sich die Gestalt des Priesters in unserer angeblich so gottlosen und nachchristlichen Gesellschaft immer wieder als irritierend präsent. In der Literatur, bei Peter Handke, Thomas Hürlimann und Petra Morsbach etwa. Oder auch im Kino, da besonders: Allein in den letzten 15 Jahren kamen gut zehn Filme auf die Leinwand, in denen es um die Gestalt des Priesters geht.

Einer hat besonders Aufsehen erregt: Die Regisseurin Antonia Bird bekam in Berlin Standing Ovations nach der Premiere ihres Films „Der Priester“ – den Bildern der Doppelstory eines geerdeten Arbeiterpfarrers, der mit seiner rassigen Haushälterin lebt, als ob er noch nie etwas vom Zölibat gehört hätte. Dem dann ein neuer Kaplan zugeteilt wird, der mit seiner Homosexualität kämpft; der Anstoß nimmt am Gebaren des Pfarrers und dann seinerseits, als seine Neigung publik wird und ihn die meisten fallenlassen, von seinem ehemaligen Chef als erstem Solidarität erfährt. Was fasziniert so viele an diesem Film? Keine Schlüsselloch-Szenen, keine Demaskierung eines scheinheiligen Standes, sondern: dass zwei Sünder zu sehen sind, die dem Gott, vor dem sie Sünder sind, treu zu bleiben suchen, und deren Gottestreue sich spiegelt in der Art, wie sie mit denen umgehen, zu denen sie gesandt sind.

VI
All diese literarischen Werke, die Filme, was tun sie eigentlich? Sie zeugen auf je ihre Weise von einer Utopie. Ihretwegen interessieren sich die Menschen für die Gestalt des Priesters. Immer noch. Utopie hat von Wesen mit Sehnsucht zu tun. Was ersehnen die Menschen vom Priester? Wer näher zusieht, merkt schnell: Ersehnt wird von ihm, dass er versöhne: Versöhne mit den Brüchen und den Ungleichungen, die ein Leben zeichnen; versöhne, wer miteinander zerstritten ist; dass er den Menschen mit dem Leben und auch noch dem Tod versöhne; und am Ende schließlich die Welt mit ihrem Gott. Freilich vermag er das nur, wenn über ihm selbst wenigstens ein Hauch der Versöhnung liegt – von Versöhnung zwischen der eigenen Fehlbarkeit und dem, was ihm aufgetragen ist. Das macht Antonia Birds Film-Priester beide so glaubwürdig, und ebenso gar nicht wenige, die als Priester im wahren Leben leben. Ob es aber dieses Versöhnte und das Versöhnende an einem geben kann, ohne dass er auf diese oder jene oder noch andere Weise irgendwie eine Wunde mit sich trägt und auch zeigt – wo doch das ihm Zugetraute und von ihm Erhoffte unvergleichlich weiterreicht als alles, was einer halt so aus sich bewerkstelligen kann? Nur Wunden, die man zeigt, kann man auch heilen, sagte der Künstler Joseph Beuys einmal.

VII
Ich denke, wer Priester geworden ist, hat diesen Schritt um eben dieses unvergleichlich Anderen wegen getan, für das mit allem Vorbehalt das Wort „Versöhnung“ stehen mag. Je weniger einer dabei um sich hermacht, desto transparenter kann er für das werden, was ihm anvertraut ist. Und menschliche Schwächen wird man einem dann auch nachsehen.

Was aber heute selbst viele Fromme unter den Gläubigen nicht mehr durchgehen lassen, ist – Intransparenz. Das geschieht aus dem geistlichen Gespür, dass durch diese der Kern der Botschaft und des kirchlichen Amtes vernebelt und verdreht wird. Das ist ja auch die Tragödie am Fall Limburg: dass da ein Bischof nicht Gott und den Glauben mehr feiert, sondern sich selbst in kaum mehr zu ertragender Überhöhung und Überheblichkeit zelebriert, ohne dann nach der Amtsenthebung auch nur einen Hauch von Schuldeinsicht zu zeigen. Jetzt kommt er – wie Sie wissen – nach Regensburg. Das Bistum hat ihm mitbrüderliche Aufnahme und Gastfreundschaft zugesichert. Wer dahinter steckt, ist klar: Gerhard Kardinal Müller, der die Scharte auswetzen muss, die er sich zugezogen hat, als er vor Monaten – in der ihm üblichen Dogmatikerpose – dekretierte: „Tebartz bleibt“ und wenige Wochen später Papst Franziskus den Limburger Bischof aus dem Verkehr zog. Dumm gelaufen. Denn jetzt weiß man, dass der oberste Glaubenshüter irren kann.

Es geht mir nicht darum und ich habe auch keinerlei Recht, über Tebartz-van Elst den Stab zu brechen. Aber zumindest ein symbolisches Schuldbekenntnis und nicht das Abschieben der Verantwortung auf andere. Und ein echtes Umkehrhandeln und nicht ein komfortables Aussitzen, das darf man erwarten. Würde er dagegen – sagen wir – sieben Jahre irgendwo als Gefängnispfarrer arbeiten und das durchhalten und sich entsprechend verändern lassen, weil einem die Arbeit dort bis zum Grunde verändert, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, könnte er meinetwegen gern wieder die Position eines Oberhirten einnehmen. Das ist ja das Schöne am Katholischen, dass man ordentlich sündigen kann – und trotzdem wieder neu anfangen darf, wenn man es denn demütig tut. Aber so wie jetzt, so geht’s nicht.

Als ich am 10. Juni in den Abendnachrichten hörte „Tebartz wird Regensburger“, da dachte ich, mich küsst ein Krokodil. Im Klartext gesagt: Ich fragte mich: Was mutet mir meine Kirche eigentlich noch alles zu. Sollte ich nicht vielleicht altkatholisch werden? Dann hätte ich nicht nur diese Limburger Schandgeschichte vom Hals, sondern auch gleich noch den Unfug mit dem überdrehten Verständnis des Unfehlbarkeitsdogmas, den Zölibat könnte ich als historische Sackgasse abbuchen und die kirchliche Frauenfrage wäre auch gelöst.

Aber wie Sie sehen: Ich bin nicht altkatholisch geworden. Zwei Gründe habe ich dafür, ganz einfache: Erstens, weil ich Leute wie Pfarrer Hierl nicht im Stich lassen will. Und zweitens, weil ich St. Anton, weil ich Sie mag. Sie, diese Pfarrei, sind mir seit 50 Jahren geistliche Heimat. Das soll so sein und bleiben. Auf Hebräisch heißt das: Amen.