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Ungewöhnlicher Balkon: Kai Pfundheller genießt den Ausblick auf dem kreisrunden Balkon der alten Sternwarte.

Fotos: Peter Sauer

Das goldschimmernde Hausnummerschild 248 der Sternwarte klebt noch am Eingang. Ein paar Blumenkästen schmücken den eingezäunten Vorplatz. Der weiße Lack der Eingangstür blättert großflächig ab. Mit einem Lächeln öffnet Kai Pfundheller die Eisentür. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Service- und Informationscenter für Bachelorstudierende am Institut für Politikwissenschaft. Der gebürtige Gummersbacher promoviert in Politikwissenschaften und wohnt seit 2008 hier. Immer wieder hat er verlängert. Aktuell bis 2012. "Es ist die schönste Wohnung in meinem Leben", sagt der 31-Jährige. Sie erstreckt sich über drei Etagen, 40 massive Stufen verbinden die einzelnen Zimmer, die ganz gleich ob Küche, Bad oder Arbeitszimmer, allesamt rund sind. Gelbe und weinrote Wände sind dem früheren tristen wissenschaftlichen Weiß gewichen. Neue Teppiche sorgen für Behaglichkeit. Als Reminiszenz an die alte Sternwarte kleben Mondbilder an manchen Fenstern.

"Regentropfen klingen wie Hagelkörner und reißen mich aus dem Schlaf."


Oben unter der mit Holz verkleideten meterhohen Kuppel ist sein Schlafzimmer untergebracht – mit einer Tür zum 360-Grad-Balkon der Sternwarte und einem kleinem Luken-Fenster. Wo früher ein Teleskop spannende Blicke in den Sternenhimmel ermöglichte, garantiert nun ein großzügiges Bett sanfte Träume. In der Mitte dieses Raumes ist Kai Pfundheller dem Himmel so nah.

- 1852: Beginn der Arbeit am neuen astronomischen Institut der Universität Münster
- 1913 bis 1938: Sternwarte an der Johannisstraße
- 1945: Instandsetzung nach dem Krieg
- Folgejahre: Münstersche Astronomen weichen wegen zunehmender Beleuchtungsstärke der nächtlichen Innenstadt nach Buldern aus
- 1968: Fertigstellung der Sternwarte am Horstmarer Landweg
- 1972: Bau der Studentenwohnheime am Horstmarer Landweg
- die dadurch entstehende Verschattung macht die Arbeit in der Sternwarte schwieriger und mit der Zeit unmöglich
- aufgrund dessen ziehen die münsterschen Astronomen in das Außenobservatorium „Hoher List“ der Universität Bonn in der Eifel
- 80er: Keine Nutzung der Sternwarte
- Anfang 90er: Umbau
- seit 1991: Gastwissenschaftler aus aller Welt wohnen in der alten Sternwarte

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Im Winter flüchtet Kai Pfundheller aber eher aus seinem Schlafzimmer. "Man müsste einfach viel zu viel heizen, um das Zimmer zu wärmen. Außerdem zieht es dort oben ganz ordentlich." Wenn es regnet, hat er ein Klangerlebnis der ganz besonderen Art. "Die Regentropfen klingen wie Hagelkörner und reißen mich aus dem Schlaf. Das liegt am runden Blechdach." Dafür besitzt sein Schlafzimmer eine besondere Akustik. Steht man in der Mitte des Raumes, so klingt die eigene Stimme wie durch ein Mikrofon verstärkt und mit starkem Nachhall. "Jedes Echo kommt zurück." Dafür bleibt alles in den eigenen vier Wänden. "Hier kann man auch gut Partys feiern. Die Nachbarn hören durch die dicken Wände rein gar nichts."

Auch der 22-jährige Karl Eckert ist Sternwarten-Fan. Der gebürtige Kalifornier, der einen Bachelorabschluss in Stadtplanung hat, bewohnt die kleine Wohnung im Erdgeschoss. Bis Herbst 2011 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Physikalische Chemie. Seine Aufgaben sind grafisch-gestalterische Tätigkeiten, vorwiegend für die Homepage. Vorher wohnte im Erdgeschoss der Sternwarte eine Rumänin. Während eines Besuchs bei ihr verliebte sich Karl Eckert in die Wohnung mit den vielen Rundungen. In den ersten Nächten stieß er sich noch öfter den Fuß, aber dann hatte er den Bogen raus. An den schmalsten Stellen seiner Wohnung hing er Poster und Spiegel auf – sie lassen die Räume größer erscheinen. Karl Eckert fühlt sich wohl in der Wohnung mit den auffälligen Möbeln, die alle speziell abgerundet wurden, um jeden Winkel gut nutzen zu können. Im Erdgeschoss befindet sich die Küche und das Schlaf-Wohnzimmer mit kleinen Fenstern. Die Kellertreppe führt wie eine 180-Grad-Kurve in die Waschküche und das Badezimmer. Auch die gute thermische Isolierung des Turms spricht Wissenschaftler sehr an. "Im Sommer ist es schön kühl hier drin und im Winter kuschelig-warm." Dafür sorgen die dicken Außenmauern und die runde Bauweise.

Wenn nur die Bauarbeiten rund um die Sternwarte nicht wären. Die alten Studentenwohnheime werden bis zum Herbst abgerissen. Seit 1974 verschatten sie die alte Sternwarte. Jetzt wird alles dem Erdboden gleichgemacht, nur der astronomische Turm bleibt stehen – unerschrocken wie ein bekanntes gallisches Dorf. "Die Abrissarbeiten sind sehr laut und staubig", ärgern sich die Bewohner der alten Sternwarte. Doch wenn die Bauarbeiter Feierabend haben, kehrt die alte Ruhe zurück. "Dann hört man nur die Vögel", freut sich Karl Eckert. Aber er kann der Großbaustelle auch Gutes abgewinnen: "Jetzt, wo die Häuser weg sind, sehe ich wieder die Sonnenuntergänge."

Das soll auch so bleiben. Das Studentenwerk Münster errichtet bis 2013 für rund 20 Millionen Euro die zehn neuen Wohnhäuser für rund 500 Studierende genau so, dass die Bewohner der Sternwarte deutlich mehr Licht haben als zuvor. Norbert Grabolle vom Bau- und Flächenmanagement der Universität Münster verspricht gute Aussichten: "Die Bewohner der alten Sternwarte werden künftig durch zwei Wohnblöcke aufs freie Feld schauen können."

Gerade bei gutem Wetter kommen regelmäßig Touristen an der alten Sternwarte vorbei. Sie wollen dann nur eines: rein in den imposanten astronomischen Turm, um sich umzuschauen. Kai Pfundheller hatte schon überlegt, sie reinzulassen, für ein paar Euro pro Nase, hatte dann aber doch abgewunken. Schließlich will man nicht jeden in sein "Allerheiligstes" lassen. Dann könnte der Kalifornier Karl Eckert auch nicht mehr von seinem größten Vorteil zehren: "Durch meine Wohnung komme ich überall toll ins Gespräch. Denn wer wohnt schon in einer Sternwarte?"

Peter Sauer