
Dr. Katy Teubener
Ehrenamtliche Organisationen und Initiativen beklagen fehlendes Engagement, Studenten dagegen Zeitmangel – aktuelle Entwicklungen zeigen, dass beide Parteien immer schlechter zueinander finden. Pjer Biederstädt sprach mit WWU-Soziologin Dr. Katy Teubener über Strukturwandel, Nachwuchsprobleme und die heutigen Motive von Freiwilligen.
Viele Fachschaften, hochschulpolitische Organe und studentische Initiativen beklagen den Schwund an freiwilligem Engagement unter Studierenden. Ist das studentische Ehrenamt tatsächlich in der Krise?
Nein. Wie der Freiwilligensurvey des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt, besteht unter jungen Menschen ein stabiles Engagement. 36 Prozent der 14 bis 29-Jährigen engagieren sich freiwillig, weitere 43 Prozent der Nicht-Engagierten zeigen Interesse für ein Ehrenamt.
Wie ist dann der Nachwuchsmangel zu erklären?
Der Mangel herrscht nicht überall. Das Freiwilligenengagement unterliegt besonders bei Studenten einem Strukturwandel. Die Initiativen erfahren eine stark den Kommunikationsmöglichkeiten des Internet geschuldete Diversifizierung und Professionalisierung. Starre traditionelle Organisationsformen wie zum Beispiel die Kirche oder auch politische Hochschulgruppen haben Nachwuchsprobleme, weil ihre Strukturen nicht flexibel genug sind und die Mitarbeit eher auf Langfristigkeit ausgelegt ist.
Wie kann man diesem Problem entgegenwirken?
In Zukunft wird verstärkt projektbezogen gearbeitet werden, weil es weniger Planungssicherheit in der Freizeitgestaltung gibt. Die Arbeitsbelastung der Studierenden ist gerade in der Vorlesungszeit sehr hoch. Viele von ihnen sind darüber hinaus auf einen Nebenjob zur Finanzierung ihres Studiums angewiesen. Kontinuierliches Freiwilligen-Engagement fällt unter diesen Bedingungen schwer. Deshalb erfahren die selbst organisierten Initiativen, die punktuelle Einsatzmöglichkeiten bieten und noch dazu einen stärkeren Bezug zu den Fachinteressen der Studierenden haben, enormen Zuspruch.
Der Bericht des Bundesministeriums zur Freiwilligenarbeit legt offen, dass die Freiwilligenarbeit unter den 20- bis 24-Jährigen rückläufig ist. Häufigster Grund dafür ist Zeitmangel. Ist auch die Umstrukturierung der Studiengänge zum Bachelor-Master-System ein Grund dafür?
Nein, das System ist kein K.O.-Kriterium für Freiwilligenarbeit. Die Rahmenbedingungen dieser Studiengänge bringen zwar eine Verdichtung der Stundenpläne und damit eine höhere, zeitliche Inanspruchnahme mit sich. Dennoch gibt es Gestaltungsspielraum. Und diesen in Form von Freiwilligenarbeit zu nutzen, halte ich für wichtig. Ich unterstütze jeden, der sich engagieren will, deshalb ein Semester dranhängt und sich den zeitlichen Richtlinien zugunsten der Persönlichkeitsbildung widersetzt.
Halten Sie eine Verlängerung der Regelstudienzeit für eine sinnvolle Maßnahme, um Studierenden mehr Zeit für ehrenamtliche Arbeit zu geben?
Ja, das wäre wünschenswert. Es würde mehr Zeit für freiwilliges Engagement bleiben, den Druck des Arbeitsmarktes, der schnelle Studienabschlüsse fordert, für Studierende reduzieren und die Nachwuchssorgen der Initiativen lindern. Dass die Universität Münster als landesweit erste Hochschule ab 2008 die Arbeit in studentischen Initiativen mit Credit Points wertschätzte, war ein richtiger und wichtiger Schritt.
Freiwilliges Engagement steht bei potentiellen Arbeitgebern hoch im Kurs. Inwieweit verändert der Leistungsdruck des Arbeitsmarktes die Motive für Freiwilligenarbeit unter Studierenden?
Die Frage nach dem persönlichen Nutzen bei der Aufnahme eines Ehrenamts nimmt bei den Studierenden tatsächlich zu, aber nicht auf Kosten des Allgemeinwohls. Das Motiv, etwas Gutes tun zu wollen, ist gleichbleibend stark. Es ist nichts Verwerfliches daran, sich freiwillig nach Interessenlage zu engagieren und dabei seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.