
Prof. Bernd Blöbaum
"Jemand lügt wie gedruckt" – das Sprichwort ist nicht eben ein Vertrauensbeweis für die Massenmedien. Und doch ist Vertrauen das wichtigste Kapital für Zeitungen und Rundfunk. Neue Kommunikationsformen, die das Internet eröffnet, ändern die Glaubwürdigkeit der gewohnten Medien, betreffen aber auch Arbeitszusammenhänge, Wissenschaft und zum Beispiel den Sport. Wie das passiert, wollen WWU-Forscher im neuen Graduiertenkolleg "Vertrauen und Kommunikation in einer digitalisierten Welt" untersuchen, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) kürzlich bewilligt hat. Es ist das erste DFG-Graduiertenkolleg in Deutschland, dessen Federführung bei der Kommunikationswissenschaft liegt. Insgesamt werden in den kommenden viereinhalb Jahren rund drei Millionen Euro nach Münster fließen.
"Vertrauen und Kommunikation sind in vielen gesellschaftlichen Zusammenhängen zentrale Themen. Die entsprechenden Forschungsfragen sind nur interdisziplinär zu beantworten", sagt Sprecher Prof. Bernd Blöbaum. Deshalb sind nicht nur Kommunikationswissenschaftler an dem neuen Kolleg beteiligt, das Platz für 19 Doktoranden bietet, sondern auch Psychologen, Wirtschaftsinformatiker, Wirtschafts- und Sportwissenschaftler. "Vertrauen" ist ein Konstrukt, das in wissenschaftlichen Disziplinen unterschiedlich definiert wird. "Für uns ist Vertrauen ein Zustand, der aus der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit des Vertrauensnehmers und der Vertrauensneigung des Vertrauensgebers resultiert."
"Wir müssen nicht nur auf Entwicklungen reagieren, sondern sie pro-aktiv mitgestalten."
Was so trocken klingt, ist im Alltag ständig präsent. Fukushima, EHEC, zu Guttenberg und Co. – das Vertrauen der Öffentlichkeit wurde gerade in der vergangenen Zeit häufig enttäuscht. Doch ohne Vertrauen darauf, dass unsere Nahrungsmittel frei von schädlichen Keimen sind, ohne Vertrauen, dass Banken das ihnen anvertraute Geld sicher anlegen und ohne Vertrauen darauf, dass Kommunikationswege vertraulich sind, kann keine Gesellschaft funktionieren. Allerdings wurde die Kategorie Vertrauen in der Kommunikationswissenschaft und in anderen beteiligten Disziplinen bislang kaum umfassend untersucht. Dies soll das neue Graduiertenkolleg ändern. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich Vertrauen in digitalisierten Welten verändert, wie Vertrauen entwickelt und aufrecht erhalten werden kann.
"Wir haben vier große Untersuchungsbereiche: Medien, Wissenschaft, Wirtschaft und Sport", beschreibt Bernd Blöbaum. "Im ersten Bereich analysieren wir zum Beispiel, wie es Medien gelingt, das Vertrauen in die Kernmarke auf den Internetauftritt zu transferieren." So gilt beispielsweise Spiegel online als ebenso vertrauenswürdig wie die gedruckte Ausgabe, obwohl die Redaktionen getrennt voneinander arbeiten. Außerdem soll untersucht werden, wie Medien über Vertrauensthemen berichten. Aus dem Institut für Kommunikationswissenschaft sind neben Bernd Blöbaum Prof. Ulrike Röttger und Dr. Maja Malik als Antragstellerinnen am Kolleg beteiligt.
Im zweiten Bereich geht es darum, wie es der Wissenschaft gelingt, in digitalisierten Welten Vertrauenswürdigkeit aufzubauen. Hier kommen die Psychologen um Prof. Rainer Bromme ins Spiel, der bereits seit zwei Jahren das DFG-geförderte Schwerpunktprogramm "Wissenschaft und Öffentlichkeit: Das Verständnis fragiler und konfligierender wissenschaftlicher Evidenz" leitet. "Wissen ist fragil und verändert sich ständig. Aber wird diese Fragilität tatsächlich auch in den Medien transportiert und vom Laien wahrgenommen?", fragt der Psychologe. "Oder wird wissenschaftliche Erkenntnis nicht vielmehr als gesichert und festgefügt erlebt? Und auf welcher Grundlage treffen Laien dann ihre Entscheidung, welchem Experten sie vertrauen?" Im Graduiertenkolleg wird der Einfluss von Emotionalität auf Vertrauen bei Kontroversen in Scienceblogs untersucht. Aus der Psychologie arbeiten Prof. Regina Jucks, Dr. Stephanie Pieschl und Prof. Guido Hertel mit Rainer Bromme im Kolleg.
Letzterer und der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Gerhard Schewe werden unter die Lupe nehmen, wie es in Produktionsgesellschaften, die auf verschiedene Standorte aufgeteilt sind, möglich ist, Vertrauen ohne Face-to-Face-Kommunikation aufzubauen. Ist es möglich, in einem virtuellen Büro ein ähnliches Vertrauensverhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern aufzubauen wie in einem realen? Die sich verändernden Arbeitswelten bedingen neue Formen der Kommunikation. "Wir müssen nicht nur auf Entwicklungen reagieren, sondern sie pro-aktiv mitgestalten", betont Guido Hertel. Aus der Perspektive der Wirtschaftsinformatik wird Prof. Jörg Becker Kollegiaten betreuen,
die sich mit der Vertrauensbildung bei Prozess-innovationen in der öffentlichen Verwaltung und bei IT-Sicherheitsrisiken befassen.
Der vierte Untersuchungsbereich gehört zu jenen, in die das Vertrauen stark infrage gestellt ist: Sport. Zahlreiche Doping-Fälle haben in den vergangenen Jahren die Glaubwürdigkeit von Athleten minimiert. Der Sportpsychologe Prof. Bernd Strauß wird sich mit der Frage beschäftigen, welche Mittel das Internet bietet, um das Vertrauen der Fans wieder zu gewinnen und welche Strategien des Dopings verdächtige Athleten dabei benutzen.
"Das sind prototypische Themen, die Liste ist natürlich noch nicht vollständig", sagt Bernd Blöbaum. "Die Bewerber können Vorschläge für Projekte einbringen, die in das Forschungsprogramm passen." Wichtig ist ihm, dass neben der empirischen Arbeit auch theoretische Grundlagen auf der Agenda stehen. "So sind beispielsweise die Begriffe Vertrauen, Vertrauenswürdigkeit, Glaubwürdigkeit nicht klar voneinander abgegrenzt", betont der Kommunikationswissenschaftler. Notwendig sei es auch, einheitliche Skalen zur Messung des Vertrauens zu entwickeln.
13 der 19 Kollegiaten erhalten eine DFG-finanzierte Stelle (100 oder 65 Prozent). Zum Konzept des Kollegs gehört nicht nur das wissenschaftliche Programm, sondern auch ein ausgeklügeltes Qualifizierungs- und Studienprogramm: Jeder Kollegiat wird von zwei Betreuern, die aus unterschiedlichen Fächern kommen, betreut und erhält einen Mentor aus dem Ausland, der ihnen bei der Netzwerkbildung helfen soll. Im Sommer werden die ersten Plätze ausgeschrieben. Und Bernd Blöbaum denkt noch weiter: "Es gibt noch so viele andere Bereiche, in denen Vertrauen eine zentrale Rolle spielt: Politik, Religion, Medizin, Naturwissenschaft beispielsweise." In einer zweiten Förderphase könne man daher darüber nachdenken, den Kreis der beteiligten Wissenschaftler zu erweitern.
Brigitte Nussbaum