Ein Ort des Austauschs
"Ich war vor allem beeindruckt vom hohen fachlichen Niveau der Germanistik an der Universität Münster", betont Gesche Gerdes. Aber das war nicht der einzige Grund für ihre Begeisterung. Beeindruckt war die Germanistik-Doktorandin auch von der strukturierten Doktorandenausbildung, wie sie die "Graduate School of Literature" als erstes universitätseigenes Kolleg für Promovierende bereits seit 2008 anbietet. Inzwischen gibt es 21 Kollegs oder Schulen, ob national oder international, extern oder intern gefördert. Der Trend geht in vielen Fächern von der individuellen zur strukturierten Promotion. Und zum kommenden Wintersemester steht der nächste Schritt an: Die Universität Münster wird mit dem "Haus des Nachwuchses" ein Dach für alle rund 2000 Doktoranden der WWU einrichten. Noch dazu an einem besonders attraktiven Ort: im Kavaliershäuschen rechts vorm Schloss.
Das "Graduate Career Center" soll allen Promovenden als Dienstleister dienen. "Die Universität Münster hat in den vergangenen Jahren bei der Doktorandenausbildung ordentlich zugelegt", sagt Prof. Cornelia Denz, die als Prorektorin unter anderem für den wissenschaftlichen Nachwuchs zuständig ist. Doch sie hat zwei neuralgische Zeiträume ausgemacht: den Übergang vom Master zur Promotion und deren Schlussphase. „Es gibt Gruppen, die ihre Rechte sehr gut wahrnehmen, aber die Doktoranden sind bislang nur wenig vernetzt." Da soll das "Haus des Nachwuchses" Raum für fachliche interdisziplinäre Diskussionen und alltägliche soziale Kontakte bieten.
"Wir wollen die Doktorandenausbildung dort verbessern, wo es notwendig ist."
Gesche Gerdes hat glücklicherweise beides gefunden, als sie von Leipzig nach Münster zog. Denn die "Graduate School of Literature" vereint Doktoranden aller Philologien und bietet über das durch eine Promotionsvereinbarung festgelegte Studienprogramm hinaus die Möglichkeit zu inoffiziellen Kontakten. "Anfangs habe ich mich hier fremd gefühlt, weil ich alles neu lernen musste. Aber ich wurde sehr schnell aufgenommen, weil alle so sehr fachlich und persönlich interessiert sind", sagt die 28-Jährige, die über die zeitgenössische feministische Generation promoviert. Anders als bei der klassischen Individualpromotion hat sie drei Betreuer, ihre Rechte und Pflichten sind in einem Promotions- und Studienprogramm genau festgelegt.
Derartige Ausbildungskonzepte will das "Haus des Nachwuchses" nicht ersetzen. "Wir wollen den Promovierenden einerseits einen Ort zum Austausch bieten, andererseits die Angebote zusammenführen, die schon jetzt zur Verfügung stehen, die aber zu wenig bekannt sind", sagt Cornelia Denz. Auch das ist ein Grund, es in zentraler Lage am Schlossplatz anzusiedeln, werden doch Career Service und International Office vom Leo-Campus in die unmittelbare Nachbarschaft des Schlosses umziehen.
"Wir werden die Strukturen so für die Doktoranden aufbereiten, dass sie auch genutzt werden können", erklärt die Physikerin. Dazu gehört auch die Beratung, wie man Karriere macht, welche Kongresse man besuchen, welche Texte man einreichen sollte. Andererseits sind schlichte organisatorische Fragen abzuklären: Wie bekomme ich ein Stipendium, wie kann ich Familie und wissenschaftliche oder wirtschaftliche Laufbahn unter einen Hut bringen, welche Qualifikationen brauche ich?
Die im Rahmen der aktuellen Runde der Exzellenzinitiative beantragte "Graduate School of Evolution" soll ebenfalls im Kavaliershäuschen unterkommen. Deren Mitarbeiter werden enge Kontakte zu jenen im Haus des Nachwuchses pflegen – Ziel ist es, ein Best-Practice-Beispiel für die Doktorandenausbildung zu bieten. "Das Thema Evolution bietet sich für ein interdisziplinäres Ausbildungskonzept besonders an", sagt Prof. Joachim Kurtz vom Institut für Evolution und Biodiversität. "Nicht nur die Biologie, auch die Geowissenschaften, Medizin, Philosophie und Theologie sind bereits mit dabei." Bislang sind die Namen von rund 60 Doktoranden an der WWU bekannt, die zum Thema Evolution arbeiten wird der Exzellenz-Antrag bewilligt, sollen es etwa 120 sein.
Sie werden in interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen arbeiten, allerdings nicht unbedingt an einem interdisziplinären Thema. "Interdisziplinarität ohne eine starke fachwissenschaftliche Zugehörigkeit kann für Doktoranden schwieriger sein, deswegen werden Themen eindeutig einem Fach zugeordnet", erklärt er. Die Kollegiaten sollen vor allem unterschiedliche Blickwinkel, Definitionen und Herangehensweisen kennenlernen und dadurch ganz neue Ideen entwickeln. Besonders ein "Evolution Think Tank" soll sie dabei unterstützen, für den renommierte Wissenschaftler nach Münster geholt werden.
Ebenso vielfältig wie die Themen der Doktorarbeiten soll auch in Zukunft die Doktorandenausbildung selbst sein. "Wir wollen die Doktorandenausbildung dort verbessern, wo es notwendig ist, getreu dem Leitbild der Universität der "gelenkten Evolution". So wird die Entwicklung nicht fest vorgeschrieben, sondern durch Beispiele guter Praxis vorangetrieben". Das beinhaltet alle Promotionsarten, denn es gibt keinen Grund eine der erfolgreichen Promotionsarten einer anderen vorzuziehen. "Dadurch werden sich auch natürliche Vereinheitlichungen ergeben und die Defizite klar erkannt und verringert werden."
Brigitte Nussbaum