Supercomputer im Zentrum für Informationsverarbeitung (ZIV)

Die Geräuschkulisse eines Passagierflugzeugs herrscht im Serverraum, wo der Supercomputer mit tausenden Kabeln und Leuchtdioden steht.

 

© Peter Grewer

Schritt für Schritt beschreibt Jessica von Ahlen, was zu tun ist. Langsam und deutlich erklärt sie einem Erstsemester via Headset, wie er seinen Laptop mit dem Netzwerk der Universität verbindet. Zwischendurch ein Schluck aus der Kaffeetasse, ein letzter Blick auf den Flachbildschirm, die letzten Anweisungen, das Problem ist gelöst. Für viele Studenten ist der störrische Computer ein elektronisches Buch mit sieben Siegeln – für die nette Fachfrau vom Amt, genauer gesagt von der Service-Hotline des Zentrums für Informationsverarbeitung (ZIV) sind es meist schlichte Routinefälle. "Die häufigsten Anrufe kommen von Studenten, die mit Problemen bei der WLAN- und VPN-Internetverbindung kämpfen", sagt Nicole Marutz, die am gegenüberliegenden Schreibtisch ihre Verschnaufpause genießt. Viel Zeit hat sie nicht, es klingelt immer wieder: Rund 6.500 Fälle pro Jahr managen die Experten der ZIV-Line.

Eine Tür weiter links ist Geduld gefragt. Direkt neben der ZIV-Line warten Studenten darauf, ihre Druckaufträge den Abholfächern entnehmen zu können. Der Druckservice "Print & Pay" ist stark frequentiert. Im Jahr werden dort 4,4 Millionen Seiten bis zu einer maximalen Größe von DIN-A-0 ausgedruckt. "Wenn zu Semesterstart alle gleichzeitig ihre Kursunterlagen drucken wollen, kann der Rückstau schon mal zehn Stunden betragen", erklärt ZIV-Direktor Dr. Raimund Vogl.

Von der Druckausgabe führt der Weg durch den Sechzigerjahre-Bau vorbei an sechs Info-Bildschirmen und am Serviceschalter im Eingangsbereich die Treppe hinauf. Im ersten Stock sitzt Emre Erkan hinter dem Schreibtisch der persönlichen Beratungsstelle. "Hier kommt schon mal jemand verzweifelt kurz vor der Abgabe der Abschlussarbeit an, weil sich die Formatierung verschoben hat", berichtet der PC-Spezialist. Emre Erkan weiß, was die Kunden wünschen – er hilft dabei, dass Verzweiflung in Erleichterung umschlägt.

Was, wenn ein Brand, eine Fehlbedienung oder ein Hackerangriff einen Datenverlust verursachen?
Jeder braucht es, aber nur wenige Studierende kennen es – das ZIV. Verwaltungstechnisch betrachtet, handelt es sich um eine sogenannte zentrale Betriebseinheit der Universität, so wie auch die Universitäts- und Landesbibliothek. Man könnte es aber auch als technologisches Herzstück der Hochschule bezeichnen – das ZIV ist die WWU-Schaltzentrale schlechthin.

Die ZIV-Zentrale liegt an der Röntgenstraße, in einem Gebäude, das bis 1994 dem englischen Militär als Krankenhaus diente. Auf den langen Fluren liegen die Büros der rund 100 ZIV-Mitarbeiter aneinander. Spannender wird es im Keller, verspricht ZIV-Leiter Dr. Raimund Vogl: Die engen Gänge führen zunächst an der „Spielwiese der Techniker“ vorbei, einer Computer-Bastelstätte, die an Bill Gates‘ berühmte Gründer-Garage erinnert. Vorbei am Ersatzteillager führt der Gang zu einem der wichtigsten Räume des Zentrums: Gut gesichert in einem Metallkasten steht der Internetserver. Dieser blinkende und surrende Riesen-Computer transferiert im Jahr 1477 Terabyte Datenmasse über das Deutsche Forschungsnetzwerk (DFN) ins Internet. Ohne ihn wäre Münsters Universität von der Außenwelt abgeschnitten.

Wer es mit dem ZIV zu tun hat, muss sich an große Zahlen gewöhnen. Beispiel: Das ZIV kontrolliert knapp 50.000 Netzanschlüsse in 284 Universitäts-Gebäuden inklusive Klinikum. Jedes Jahr kommen rund 4.000 hinzu. Rund 2,5 Millionen Mails mit einem Volumen von zehn Gigabyte laufen durch 59.700 Postfächer – täglich. Nichts ginge mehr, falls das ZIV lahmgelegt würde. Was, wenn ein Brand, eine Fehlbedienung oder ein Hackerangriff einen Datenverlust verursacht? Unvorstellbar. Deshalb speichert das Kassettenarchivsystem mit einem Fassungsvolumen von 2300 Terabyte jede Nacht die wichtigsten Daten. Der Anblick des voll automatischen Backup-Systems erinnert an einen Science-Fiction-Film: Ein Roboter auf einer Schiene transportiert Magnetbandkassetten von ihren Regalplätzen zu einem der Laufwerke und wieder zurück. Sicher ist sicher.

Apropos sicher: Jeder Besucher muss zwei alarmgesicherte Schleusen passieren, um einen Blick auf PALMA werfen zu können. PALMA ist ein Superrechner, rund 1,2 Millionen teuer und sicher verwahrt in unzugänglichen, unterirdischen Katakomben unweit des Schlosses. Hinter der ersten Alarmsicherung deutet noch nichts auf einen Hochleistungsserver hin. Lose Ziegelsteine liegen umher, feiner Staub trübt die Sicht und der Schutt knirscht unter den Schuhen. Die Gemäuer werden gerade renoviert.

Im Keller angekommen sind die dicken, schwarz isolierten Rohre erste Hinweise aufden Superrechner. Zwei gleichmäßig summende Pumpen speisen die Rohre mit Wasser, das die Luft abkühlt, die später die Rechner vor Überhitzung schützt. Wenn das Wasser in den Serverraum gepumpt wird, ist es zehn Grad Celsius kalt und nur wenige Sekunden später auf dem Rückweg schon um vier Grad Celsius wärmer. Warum? Die Antwort liegt hinter der zweiten Alarmsicherung im Serverraum. In den sieben Schränken, die PALMA beherbergen, wimmelt es nur so von Kabeln und grünen, nervös zuckenden Leuchtdioden. Die Geräuschkulisse ist vergleichbar mit der eines Passagierflugzeugs. Die Luft ist trocken und heiß. Kein Wunder, denn wo im Jahr Strom für 120.000 Euro hineinfließt, muss auch Wärmeenergie freigesetzt werden. Ohne das Wasserkühlsystem läge die Temperatur in den Rechnerschränken schnell bei über 60 Grad Celsius und würde PALMA zerstören. Die Temperatur wird jedoch automatisch reguliert. Natürlich von einem Rechner. 

Pjer Biederstädt