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Mythos Müllstudent

Dr. Jun Zhou über chinesische Studierende im Ausland
Wl 1192 Junzhou

Dr. Jun Zhou (39) stammt aus Wuhan in Mittelchina. 2002 kam sie nach Münster, um Soziologie und Philosophie zu studieren. Zuvor hatte sie in China Wirtschaftswissenschaften studiert und als Journalistin gearbeitet. 2010 promovierte Jun Zhou am Institut für Soziologie (IfS). Sie ist Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe  "Bürgerschaftliches Engagement und Management" am IfS und arbeitet als Korrespondentin für chinesische Medien.

Rund 3.000 ausländische Studierende gibt es an der WWU, darunter zahlreiche Chinesen, die in Münster ihr komplettes Studium absolvieren. Alice Büsch sprach mit Dr. Jun Zhou über Startschwierigkeiten der chinesischen Studierenden in Deutschland und die hohen Erwartungen, die im Heimatland an sie gestellt werden.


Ihre Dissertation trägt den Titel "Zwischen 'Elite von morgen' und Liu Xue La Ji ('Müllstudenten') – Chinesische Studenten in Deutschland". Können Sie bitte erklären, was Müllstudenten sind?

So bezeichnen chinesische Medien Studenten, die im Ausland studieren, dort auf Kosten der Familie leben und sich – angeblich – nicht ausreichend um ihr Studium kümmern. Es ist ein Synonym für den faulen Dauerstudenten.


Ein hartes Wort …

Absolut. Und dieser Vorwurf stimmt gar nicht, denn chinesische Studenten sind im Ausland nicht faul. Sie sind sogar sehr fleißig und ehrgeizig. In der Berichterstattung der Medien in China über die sogenannten Müllstudenten wird völlig ignoriert, welche Schwierigkeiten sie in Deutschland haben.


Welche Probleme sind das?

Da ist zum einen die Sprache. Deutsch ist schwer zu lernen, weshalb der Spracherwerb für viele jahrelang im Zentrum steht. Außerdem erleben Chinesen hier ein völlig anderes Bildungssystem, als sie es gewohnt sind. In Deutschland steht das Verstehen und Anwenden von Wissen im Mittelpunkt, in Veranstaltungen wird aktiv diskutiert. Das ist für Chinesen, die ein eher verschultes Studiensystem kennen, ungewöhnlich. Deshalb bringen sie sich oft erst gar nicht ein.

Trotzdem stellen Chinesen die größte Gruppe ausländischer Studierender in Deutschland.

Ja, das deutsche Bildungssystem genießt in China einen sehr guten Ruf, außerdem sind die Studiengebühren im Vergleich zu anderen Ländern sehr gering. Das überzeugt viele chinesische Eltern.


Die Eltern?

Ja, das ist auch ein großer Unterschied zu Deutschland: In China entscheiden oft die Eltern über den Lebensweg ihrer Kinder, also auch darüber, wo und was diese im Ausland studieren sollen. Fast alle Eltern der Mittel- und Oberschicht schicken ihre Kinder zum Studium ins Ausland. Das kostet zwar eine Menge Geld, aber ein ausländischer Abschluss gilt als Eintrittskarte in einen guten Job.

Das klingt nach großem Erfolgsdruck.

In gewisser Weise ja, aber das sind Chinesen von klein auf gewöhnt. In China wird zum Beispiel bereits im Kindergarten Englisch und Mathe gelehrt. Dieser Leistungsgedanke setzt sich im Studium fort. Es ist unüblich, ein Auslandsstudium zu absolvieren, nur um die Sprache und Land und Leute kennenzulernen. Was zählt, ist der akademische Titel. Das ist ein Unterschied zu den Deutschen, die meist ein, zwei Semester ins Ausland gehen, um dort  Lebenserfahrung zu sammeln und die Sprache zu lernen.


Wenn man Studienort- und Fach nicht selber wählt: Stimmt dann die Studienmotivation?

Ehrgeiz ist auf jeden Fall vorhanden, aber das Interesse für die Besonderheiten des Landes, in dem man jahrelang studiert und lebt, ist eher gering. Ich habe herausgefunden, dass sich nur rund 50 Prozent der Befragten auf ihren Deutschlandaufenthalt vorbereitet haben. Kultur und Sprache ist vielen völlig unbekannt. Das ist sicher zum Teil ein persönliches Versäumnis, liegt aber auch daran, dass die Vermittlungsagenturen in China nur wenig gute Infos liefern.


Was sind die Folgen dieser fehlenden Informationen?

Daraus ergeben sich natürlich Schwierigkeiten. Das fängt damit an, dass die meisten keine Wohnung haben, wenn sie hier ankommen. Sie gehen davon aus, dass die Uni ihnen eine Wohnung stellt, so wie es in China üblich ist. Das ging übrigens auch mir so. Die ersten Tage habe ich deshalb in einer Pension geschlafen.

Welche Schwierigkeiten ergeben sich noch?

Ohne jede Vorbereitung entstehen auch nur schwer Kontakte zu Einheimischen. So bleiben chinesische Studenten hier oft unter sich. Manche fühlen sich sogar sehr einsam, sie sind sozial isoliert. Für meine Dissertation gaben 54,8 Prozent der Befragten an, sich in Deutschland allein zu fühlen. Das ist auch eine Folge eines anderen Freizeitverhaltens. Deutsche engagieren sich oft im Verein oder treiben Sport. Das machen Chinesen kaum.


Wie kann man die Situation verbessern?

Es wäre hilfreich, wenn es an den deutschen Unis Betreuer gäbe, die die chinesischen Studenten am Anfang begleiten und ihnen helfen, Land und Leute besser zu verstehen.