"Es tut auch gut, einfach Ruhe zu haben"

Grenzen verschwimmen heute zusehends zwischen öffentlichem und privatem Raum. Telefoniert wird auf der Straße oder in der Bahn, oft ohne Rücksicht.
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Jeder hat eins – der Top-Manager, die Studentin, die Hausfrau und oft auch das Schulkind: ein Handy! Bei einem Hochschullehrer scheint sich die Frage gar nicht zu stellen. Besonders dann nicht, wenn er als Professor für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht arbeitet. Auf Prof. Thomas Hoeren trifft dies zu. Ein Handy besitzt er trotzdem nicht. Juliane Albrecht sprach mit ihm über seine ungewöhnliche Entscheidung.
Prof. Hoeren, wann haben Sie die Entscheidung getroffen, kein Handy haben zu wollen?
Es war eine schleichende Entscheidung, die letztlich dazu geführt hat, dass ich privat alles, was digital ist, nicht benutze. Ich mache auch noch analoge Fotos, die ich in der Dunkelkammer entwickel. Ich hasse Digitalfotografie.
Trifft das auch auf die Nutzung von Handys zu?
Da kommen einige Sachen zusammen. Einerseits mag ich das Gefühl nicht, in jeder Situation – ob Hochzeit oder Beerdigung – angeklingelt werden zu können. Mir ist klar geworden, dass ich mich nicht von so einem Gerät versklaven lassen will. Der Trend geht übrigens auch in Vorständen großer Unternehmen wieder dahin, kein Mobiltelefon zu haben. Andererseits finde ich die Tatsache, dass man mit einem Handy stets nachverfolgt werden kann, fürchterlich. Handys sind ja wie GPS-Sender.

Prof. Thomas Hoeren
Sie haben also nie ein Mobiltelefon besessen?
Doch, zwei Tage lang. Dann ist mir das Klingeln so auf die Nerven gegangen, dass ich es weggeschmissen habe. Genaugenommen, besitze ich derzeit aber doch eins. Ich habe es von einem indischen Kollegen geschenkt bekommen. Er ist Professor für Hacking und weiß, dass ich, was die Nachverfolgung betrifft, etwas paranoid bin. Er hat mir erklärt, dass ich mir eine aufladbare Handykarte bei Aldi kaufen und diese dann in einem Internet-Café freischalten soll. Auf diesem Weg hat man ein Handy, das nicht nachverfolgt werden kann. Das Handy liegt trotzdem unbenutzt zuhause.
Sie sind aber im Internet unterwegs und nutzen die Online-Telefonplattform Skype?
Dieser Kompromiss ist beruflich bedingt. Außerdem nutze ich im Institut verschiedene Rechner, einer von ihnen ist sozusagen unhackbar – das merken auch die Studierenden, die sich diesbezüglich einen Scherz erlauben wollen.
Wie stellen Sie sicher, dass Sie halbwegs erreichbar sind?
Ich habe immer eine Zehn-Euro-Telefonkarte dabei (lacht). Telefonzellen gibt es auch heute noch – ich glaube, alle 500 Meter muss eine stehen. Außerdem tut es auch mal gut, nicht erreichbar zu sein. Ruhe zu haben ist doch phantastisch. Da nervt es mich eher, wenn neben mir jemand permanent telefoniert und "Mausi" über jede Minute Verspätung auf dem Laufenden hält.Fühlen Sie sich als Exot unter den IT-Professoren?
Ja, die meisten meiner Kollegen reagieren am Anfang ziemlich ungläubig. Aber wenn ich ihnen die Hintergründe erkläre, merken sie, dass da was dran ist, und sie können es nachvollziehen.Steckt auch eine philosophische Idee hinter Ihrer Entscheidung gegen ein Handy?
In erster Linie ist diese Entscheidung eine IT-technisch-juristische. In der Strafverfolgung habe ich nichts gegen Ortungsverfahren, aber dass der Staat uns als Privatleute jederzeit aufspüren kann, finde ich diabolisch. Ich bin auch radikal gegen jegliche Art der Vorratsdatenspeicherung. Nicht immer erreichbar sein zu wollen, hat sicherlich etwas Philosophisches.
Wohin bewegt sich unsere Gesellschaft in Zukunft in Hinblick auf die Nutzung von Handys und dergleichen?
Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum verschwimmen zusehends. Früher hat man in seinen eigenen vier Wänden telefoniert. Heute kann ich in der Bahn, auf der Straße und beim Einkaufen die privatesten Dinge über völlig fremde Menschen erfahren. Heutzutage gilt es als großes Plus, multitaskingfähig zu sein. Ich glaube aber, dass das die Leute auf Dauer krank macht. Viele Menschen haben beispielsweise nicht mehr die Ruhe, auf einer mehrstündigen Zugfahrt einfach nichts zu tun oder ein Buch zu lesen.