Beobachtet und beeinflusst?

Prof. Bernd Blöbaum
Als die Schweinegrippe 2009 um sich griff und zeitweise sogar drohte, zum Horrorszenario zu werden, saßen alle in einem Boot: Die Wissenschaft, die den Laien erklärte, wer oder was H1N1 ist, die Medien, die über Erkrankte berichteten, und die Politik, die Entscheidungen zur Beschaffung von Impfstoff fällen musste – wiederum basierend auf wissenschaftlicher Expertise. Dass sich die Akteure bei den einzelnen Entscheidungsprozessen beobachtet haben, liegt auf der Hand. Aber haben sie sich in dem monatelangen Hin und Her auch gegenseitig beeinflusst – zwischen Warnung und Entwarnung, zwischen dem Ruf nach Impfstoff und den dann massenhaft liegengebliebenen Arzneien, zwischen Angst und Rückkehr zur Normalität?
Eine Studie am Institut für Kommunikationswissenschaft der WWU möchte herausfinden – kurz und knapp formuliert: Wer hört auf wen, wer ändert sein Handeln, wer trifft warum welche Entscheidung und wen lässt alles kalt? Die Untersuchung "Von der Beobachtung zur Beeinflussung. Medialisierte Konstellationen von Wissenschaft, Medien und Politik in Bezug auf wissenschaftliche Fachkulturen" unter Leitung von Prof. Bernd Blöbaum wird in den kommenden drei Jahren die Akteure Politik, Wissenschaft und Medien unter die Lupe nehmen. Bei der Analyse der Wissenschaft werden dabei vier Disziplinen – Fachkulturen genannt – unterschieden: Geistes- und Sozialwissenschaften, Lebenswissenschaften/Medizin, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften. "Wir vermuten, dass die verschiedenen Fachkulturen unterschiedlich stark ausgeprägte Beziehungen zu den anderen Akteuren haben", erklärt Projektkoordinator Dr. Andreas Scheu zum Hintergrund der Spezifizierung.
Das münstersche Vorhaben ist eingebunden in eine große Forschungsinitiative des Ministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem Titel "Neue Governance der Wissenschaft – Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft". Zu der Initiative schreibt das BMBF: „Eine auf rationalen Gründen und demokratischer Legitimation fußende Wissenschaft kann sich nicht der Forderung entziehen, ihr eigenes Tun transparent zu machen.“ Forschung und Wissenschaft seien heute gefordert, sensibler gegenüber Risiken und zugleich problem- und nutzenorientierter zu sein. Dazu gehöre insbesondere, das eigene Tun für die Allgemeinheit verständlich aufzubereiten. Kurz gefasst lautet das Stichwort "Medialisierung": "Was in Bezug auf die Politik längst bekannt ist – dass auch die Medien politisches Handeln auslösen – könnte auch auf die Entscheider in der Wissenschaft zutreffen. Das gilt es herauszufinden", betont Bernd Blöbaum.
In dem Verbund von gut einem Dutzend BMBF-Partnern verschiedener Universitäten steuern die Kommunikationswissenschaftler aus Münster noch eine zweite Studie bei: Prof. Frank Marcinkowski und Prof. Matthias Kohring untersuchen mit ihrem Team seit 2009 die "Organisation und Öffentlichkeit von Hochschulen". Dieses Projekt erforscht, auf welche Weise Hochschulen sich und ihr Handeln gegenüber der Gesellschaft legitimieren und welche Rolle dabei die öffentliche Kommunikation spielt. Damit rücken nicht nur neuere Organisationsreformen in den Fokus, sondern auch der stärkere Einsatz von Profilbildung und Pressearbeit an deutschen Hochschulen. Das Forscherteam hat dazu bereits bundesweit Uni-Leitungen, Senate und Pressesprecher befragt – insgesamt etwa 3500 Entscheidungsträger. Anhand der Befunde wollen die Forscher herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen der veränderten Medien- und Öffentlichkeitsorientierung und den jüngeren Reformen der Hochschulsteuerung gibt.
Während das Team von Frank Marcinkowski die Befragungen bereits gestemmt hat, stehen bei dem jüngeren Projekt Gespräche mit Machern in Politik, Wissenschaft und bei Medien noch bevor. Bernd Blöbaum und seine Kollegen schieben vor die Interviews noch eine große Inhaltsanalyse verschiedener Medien: Presse, Radio, TV werden dahingehend untersucht, wer und wann in welchem Umfang über wissenschaftliche und forschungspolitische Themen berichtet hat. Die Erkenntnisse sollen 2013 vorgestellt werden.
Juliane Albrecht