|
muz

Es wird schon alles gut werden

Wie an der Uni Münster die NS-Zeit aufgearbeitet wird
Wl 1005 Stolperstein

"Stolpersteine" sollen an Hermann Freund erinnern, der wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten entlassen und drangsaliert wurde.

Foto: Peter Grewer

"Heute können wir gar nicht mehr verstehen, warum viele Menschen damals nicht gesehen haben, worauf das Ganze hinausläuft." Dr. Ingeborg Huhn kann nicht nachvollziehen, warum ihr Großvater, der Pharmakologe Prof. Hermann Freund, erst 1939 vor den Nationalsozialisten geflohen ist. Der Wissenschaftler, der jüdischen Glaubens war, wurdebereits 1933 zweimal entlassen und wieder eingesetzt worden, bevor er  Ende 1935 endgültig "beurlaubt" wurde. „Aber er hat immer geglaubt, ihm  könne nichts passieren, er habe ja schließlich nichts getan“, zitiert Ingeborg Huhn Hermann  Freund. Gemeinsam mit ihrer Schwester Ursula Kilian hat sie jetzt in der Schriftenreihe des Uni-Archivs einen Teil des Briefwechsels des münsterschen Professors mit ihrem Vater herausgegeben. Deutlich wird darin die innere Zerrissenheit, von der viele Wissenschaftler, ob nun Täter oder Opfer, in der damaligen Zeit geprägt wurden. Am 6. November werden zwei "Stolpersteine" zur Erinnerung an Hermann Freund vor dem Pharmakologischen Institut und vor dessen  letzter Wohnung in der Annette-Allee in den Straßenbelag eingelassen.

Wl 1005 Hermann-freund

Hermann Freund

Foto: Privatbesitz

Hermann Freund, geboren 1882 in Breslau, ist nur einer von 32 Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern der WWU, die in der NS-Zeit aus religiösen, rassischen oder politischen Gründen verfolgt, entlassen, verhaftet oder ermordet wurden. Doch nicht nur den Opfern gilt das Augenmerk der Kommission zur Untersuchung der Geschichte der Universität Münster von 1920 bis in die 1960er Jahre. Auch die Täter werden in den Einzeluntersuchungen, die in einem Sammelband erscheinen sollen, benannt. "Wir beleuchten ein Dreiecksverhältnis aus Personen und Institutionen, politischer Einflussnahme und fachimmanenter Entwicklung", erläutert der Kommissionsvorsitzende Prof. Hans-Ulrich Thamer. Gefördert wurden von den Nationalsozialisten vor allem die großen Universitäten und Institute. Münster war schlicht zu klein, um im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. "Damit war die Versuchung auch geringer. Die Gelder, die nach Münster flossen, waren marginal und nur auf einzelne Personen bezogen", sagt er.

"Hermann Freund hat die Augen verschlossen vor dem, was kommen würde."

Schwarz-Weiß-Schemata sind fehl am Platz. Zwei Beispiele belegen dies: Prof. Adalbert Kehrer war Direktor der Psychiatrie und mit einer Jüdin verheiratet. Teilweise widersetzte er sich den Anordnungen der Nationalsozialisten, teilweise unterstützte er sie aktiv als Richter am Erbgesundheitsgericht in Hamm. Hermann Freund war Jude und glaubte doch an Hitler: "So kamen die Leute zu mir, als einige Nazis aus meinem Institut Krach mit einem ,politisch anderes gesinnten’ hatten, der pflegelhaft auf Hitler geschimpft hatte, u. als selbstverständlich (mit Recht!) voraussetzten, dass ich meine schützende Hand über Hitler halten würde!"

Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären? "Hermann Freund und sein Schwiegersohn Willy König, an den die Briefe gerichtet sind, waren extrem konservativ. Hermann Freund hat sich stets als aufrechten Deutschen gesehen und die Augen verschlossen vor dem, was kommen würde", erklärt Universitätsarchivarin Dr. Sabine Happ. "Seine Devise war: 'Es wird schon alles gut werden'", ergänzt Ingeborg Huhn. Unermüdlich arbeitete er in seiner Privatwohnung nach seiner Entlassung weiter, widmete sein Leben auch in Amsterdam ganz der Wissenschaft.

Blutsverwandt ist Ingeborg Huhn mit dem Wissenschaftler, der gleich zwei Nobelpreisträger in der Familie hatte, nicht. Ihr Vater Willy König und sein Doktorvater Hermann Freund waren eng miteinander befreundet. Hermann Freund, der nicht verheiratet war und keine Kinder hatte, adoptierte Königs Ehefrau und machte ihn damit zu seinem Schwiegersohn. "Er liebte diese Familie und die Enkel über alles. Vielleicht war auch das ein Grund dafür, dass er so spät ins Exil ging: Er mochte sich nicht von ihnen trennen", sagt Ingeborg Huhn, die bedauert, dass sie ihn nicht mehr kennen gelernt hat. Groß sei er gewesen, ein gut aussehender Mann, der viel Humor hatte und mit den Kindern gerne Spaß machte, erinnert sich ihre älteste Schwester. Bereits 1926 war Willy König nach Leipzig gegangen. Auch mit dem Machtwechsel blieben die persönlichen Kontakte sehr intensiv, bis der Kontakt nur noch heimlich gepflegt werden konnte und offiziell über einen Anwalt laufen musste. Der letzte Brief stammt vom 3. Oktober 1939, ein Tag, bevor er nach Amsterdam auswanderte: "Habt Dank für den Platz, den ihr mir in Eurem Leben u. Eurem Herzen geschenkt habt. Herzlichst der Onkel."

"Jede Menge Grauzonen" hat Hans-Ulrich Thamer ausgemacht. "Auch die wirklich renommierten Wissenschaftler waren nicht vor Anpassungsleistungen gefeit, erst recht nicht jene, die noch am Anfang ihrer Karriere standen." Selten seien es überzeugte Nationalsozialisten gewesen, häufig aber seien Karrierewünsche oder Beziehungsprobleme politisch instrumentalisiert worden. Nach dem Krieg aber, so viel lässt sich heute sagen, ohne dass das eigens für die Medizin bewilligte DFG-Projekt schon abgeschlossen ist, kamen über die so genannte "Prag-Connection" echte Alt-Nazis wie Otmar von Verschuer nach Münster. "Insgesamt wurden fünf belastete Wissenschaftler berufen", so Hans-Ulrich Thamer. "Jeder wusste, dass es schreiendes Unrecht gegeben hatte, doch niemand sprach darüber, weil jeder etwas über jeden wusste."

Schreiendes Unrecht erlebte auch Hermann Freund. Im November 1942 wurde er im Lager  Westerbork interniert, im Januar 1944 nach Theresienstadt deportiert. Am 12. Oktober 1944 ging es mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz. "Wir haben keine schriftlichen Zeugnisse, aber man kann sich vorstellen, was passiert ist: Er war über 60, also wurde er noch an der Rampe selektiert und ins Gas geschickt", sagt Sabine Happ.

Brigitte Nussbaum