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Der Brückenbauer

Mouhanad Khorchide bildet Islamlehrer aus
Wl 1003 Khorchide

Gelassen trotz Trubel: Prof. Mouhanad Khorchide vertritt den Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik.

Foto: Peter Grewer

Die Vergabe einer Vertretungs-Professur ist ein Verfahren, das an Universitäten üblicherweise für wenig Aufheben sorgt. Es gibt bedeutsamere Personalentscheidungen an einer Hochschule. Als Mouhanad Khorchide vor einigen Wochen seine Zusage gab, im laufenden Sommersemester den Statthalter für die Professur für "Islamische Religionspädagogik" zu geben, ahnte er im selben Moment, dass es sich in seinem Fall anders als üblich verhalten würde. Es sind zum einen die allgemein-gesellschaftlichen Umstände, zum anderen die speziellen Umstände am "Centrum für Religiöse Studien" (CRS), die dafür sorgen, dass selbst die Besetzung einer Vertretungs-Professur für reichlich Wirbel und Aufmerksamkeit sorgen – die Ernennung eines Muslim an das ohnehin seit Jahren viel beachtete Centrum ist in diesen Zeiten eben keine 08-15-Entscheidung. Es ist nicht nur ein Vorgang, es ist vielmehr ein Ereignis. Mit den wiederum üblichen Folgen: Mouhanad Khorchide ist seit Anfang April, seit seiner Ankunft an der WWU einer der gefragtesten Männer für die Medien.

Der 38-Jährige erträgt diesen Wirbel mit großer Gelassenheit. Zeitungs-Interviews, kurze Statements für den Rundfunk, Fernseh-Drehs: Oft bis in den späten Abend hinein arbeitet er die vielen Anfragen ab und murrt auch nicht, wenn er zum fünften oder sechsten Mal die immer gleichen Fragen beantworten muss. Welche Theologie vertreten Sie? Glauben Sie an die historische Existenz von Mohammed? Welches Verhältnis haben Sie zu den islamischen Verbänden in Deutschland? "Ich stehe für eine lebensnahe Theologie – ja, ich glaube an die Existenz Mohammeds – ich gehe gerne auf die Verbände zu und werbe um Vertrauen." Ruhig und bedächtig, mit einer im wahrsten Sinne des Wortes sanften Stimme schildert er seine Positionen. Seine Botschaft, die er mal direkt, mal zwischen den Zeilen formuliert, ist die immer gleiche: Seht her, ich bin kein Ideologe, ich bin ein Brückenbauer. "Man darf die Menschen nicht schubladisieren", lautet sein Credo.

Mouhanad Khorchide wurde in Beirut geboren. In der vom Bürgerkrieg gezeichneten Hauptstadt des Libanon, in die seine palästinensischen und damit staatenlosen Großeltern Jahre zuvor aus dem israelischen Haifa aus geflüchtet waren. Seine Eltern waren geradezu beseelt von einem einzigen Wunsch: Ihre drei Kinder sollten es zu etwas bringen, sie sollten studieren. Dafür waren Mutter und Vater bereit, vieles zu opfern. Mit Erfolg. Mouhanad, sein Bruder und seine Schwester zogen aus dem saudi-arabischen Riad, wo die Familie nach ihrem Intermezzo in Beirut lebte, nach Wien. Seine Geschwister begannen ihre Medizin-Studien, Mouhanad Khorchide nahm sein Doppel-Studium der Soziologie in Wien und der Islamischen Theologie in Beirut auf.  Als promovierter Soziologe und mit einem theologischen Lizentiat ausgezeichnet, lehrte er an der Universität Wien, nahm als wissenschaftlicher Mitarbeiter an zahlreichen Projekten inner- und außerhalb Österreichs teil, arbeitete als Religionslehrer und fungierte als Imam einer kleinen Moschee in Ottakring.

Er fühlte sich wohl in Österreich. Trotz der bisweilen etwas undurchsichtigen Gemengelage im Nachbarland. Denn einerseits sind die österreichischen Muslime in ihrer institutionellen Verankerung sehr viel besser gestellt als in anderen Ländern: Es gibt beispielsweise eigene Seelsorger im Bundesheer, eigene Friedhöfe und einen flächendeckenden islamischen Religions-Unterricht an allen staatlichen Schulen. Auf der anderen Seite, und das überrascht angesichts dieser ausgeprägten Verwobenheit, pflegen viele Österreicher eine skeptische bis ablehnende Einstellung gegenüber Muslimen – das Ergebnis einer bisweilen rechtspopulistisch geprägten Politik, die Wirkung zeigt.

Muslim, Islam – diese Begriffe haben für viele Menschen spätestens mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und all den Folge-Ereignissen ihre Neutralität eingebüßt. Die Verhältnisse haben sich dermaßen gewandelt, dass der Glaube der Muslime mittlerweile als Erklärungsmuster für alle möglichen Probleme dient: arbeitslos, weil Muslim – spricht kein Deutsch, weil Muslim – potenziell gefährlich, weil Muslim. Die Polarisierung zwischen "Wir und Ihr" ist die logische Folge, zumal viele weit entfernt von Europa lebende Muslime "den Westen" nur als ehemalige Kolonial-Macht oder durch den Nahost-Konflikt und die Irak-Kriege kennen. "Wir wissen viel zu wenig voneinander, viele Menschen urteilen allein auf der Basis von Klischees und Vorurteilen", betont Mouhanad Korchide. Da kommt er wieder zum Vorschein, der Brückenbauer.

Aber vorerst zählt für ihn nur eins – seine Aufgabe an der WWU. Mouhanad Khorchide, der im Sommer seine Frau Nadja und seinen elfjährigen Sohn Uways nachholen möchte, ist "sehr stolz darauf, an dieser so bekannten und traditionsreichen Hochschule lehren zu dürfen". Und er fühlt sich wohl in Münster, in der es seiner Wahrnehmung nach ungewöhnlich viele Jogger, Fahrradfahrer und Bioläden gibt. Und was ist ihm sonst noch aufgefallen? "Dass die Studierenden sehr viel feiern – meistens mittwochs."

Norbert Robers