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Ideen geschürft

Wie eine Redakteurin der Pressestelle das 100. "Ideen-Mining" erlebte
Wl 1003 Ideenmining


Karikatur: Arndt Zinkant

"Eine Anzeige aufzugeben, 'wir würden gern Ihr Haus erben' – nein, das haben wir uns noch nicht getraut", sagt Udo. Das wäre ja auch vermessen. Oder? Wilhelm lässt sich nicht abspeisen. "Warum eigentlich nicht?", fragt er. Ja, warum eigentlich nicht? Es gibt viele gute Gründe dafür, finden auch die anderen. Schließlich ist es für einen guten Zweck. Und schon ist wieder eine neue Idee geboren, beim 100. "Ideen-Mining" der Universität Münster. Heute geht es um ein kniffeliges Problem: Wie kann die Hospizbewegung Dormagen e.V. ein stationäres Hospiz in ihrer Heimatstadt einrichten? Einen Tag lang suchen Studierende und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Fachbereichen am Leonardo-Campus 10 nach Lösungen – gemeinsam mit einer Delegation der Hospizbewegung.

"Sie werden sich heute Abend fragen, warum Sie so k.o. sind", prophezeit Moderator Marc Oliver Stallony um kurz nach neun Uhr. Bei der Begrüßung im Seminarraum sitzen die 18 Teilnehmer an u-förmig aufgestellten Tischen und schauen ihn erwartungsvoll an. "Das liegt am Denken", vollendet er den Satz. Gemeinsam mit seiner Kollegin Kathrin Brost stellt er einige Regeln auf. Während des gesamten Tages duzen sich ab jetzt alle. Alle sind gleichberechtigt, Titel existieren heute nicht. Jede Idee ist willkommen – und sei sie noch so verrückt.

Es geht ein Stockwerk tiefer in einen anderen Seminarraum. Den Teilnehmern wird schnell klar, dass möglichst viele Einfälle erwünscht sind. Dort sind Stationen mit Riechfläschchen, Tastkisten und Fotos aufgebaut. Riecht es nach Omas Kleiderschrank? Und würde ich mich über einen Urlaub in der Bettenburg auf dem Foto freuen, oder schaudert es mich schon bei der Vorstellung daran? Alle Assoziationen werden auf großen Papierplanen festgehalten. Was hat das mit dem Thema des Tages zu tun?, fragt sich der ein oder andere.

Bevor es eine Antwort gibt, geht die Gruppe wieder ein Stockwerk hinauf. Hier geht es jetzt zum ersten Mal um das Thema des Tages. Das Team der Hospizbewegung, die seit fast 20 Jahren erfolgreich Sterbende und deren Angehörige berät und begleitet, schildert das Problem. "Es gilt, eine harte Nuss zu knacken. Dormagen liegt zwischen zwei großen Städten – Düsseldorf und Köln. Dort gibt es bereits stationäre Hospize. Angesichts dieser Konkurrenz ein eigenes Hospiz zu verwirklichen, wird sehr schwer", sagt Anita, Krankenschwester und Koordinatorin der Hospizbewegung. Doch die Angehörigen der Sterbenskranken sollen nicht jedes Mal pendeln müssen.

 IDEEN-MINING

Das "Ideen-Mining" wurde an der Arbeitsstelle Forschungstransfer (AFO) entwickelt. Der ganztägige Workshop wird seit 2003 eingesetzt, um kreative Ideen oder Lösungsansätze für ein Problem der jeweiligen Auftraggeber – beispielsweise Unternehmen, Vereine, Kommunen oder Universitäten – zu entwickeln. Dabei arbeitet ein interdisziplinäres Team aus Studierenden und Mitarbeitern der Universität zusammen mit den Auftraggebern. Ein Tag "Ideen-Mining" kostet zwischen 1500 und 4500 Euro.

Neuer Umzug. Wieder geht es eine Treppe abwärts, diesmal in das Foyer des Gebäudes. Vier Teilnehmer setzen sich auf bereitstehende Stühle und diskutieren. Die anderen bilden einen Kreis drum herum. Jeder der Stehenden muss mindestens einmal den Platz mit einem der Sitzenden tauschen, um etwas zur Diskussion beizutragen. "Man könnte mit einer Schock-Kampagne à la Benetton bei den Dormagenern um Unterstützung für das Hospiz werben", schlägt ein Student vor. "Andere Einrichtungen mit ins Boot holen", "Dormagener Sportler als Unterstützer gewinnen", folgen weitere Ideen. Jemand hat den Einfall, per Anzeige nach kinderlosen Bürgern zu suchen, die bereit sind, der Hospizbewegung ihr Haus zu vererben.

Nun schließt sich der Kreis zur morgendlichen Übung, in der die Teilnehmer riechen, tasten und Fotos betrachten sollten. In die Diskussion um Lösungsvorschläge müssen die gesammelten Gedankengänge eingebaut werden. Was haben eine "all-inclusive"-Hotelanlage oder ein penetrant parfümiertes Duschgel mit der Einrichtung eines Hospizes zu tun? Ratlosigkeit. Aber neue Ideen gibt es trotzdem – oder gerade deswegen. Zum Beispiel könnten verschiedene Projektpartner je ein Bett finanzieren.
Nach der Mittagspause folgt weiter Aufgabe auf Aufgabe. Die anfangs leeren Magnetwände füllen sich mit Ideen, die nach jeder Runde angeheftet werden. 40 Karten mit "kleinen" Ideen und acht Plakate mit umfassenderen Konzepten sind es am Ende. Die Uhr geht auf 16 Uhr zu. Noch einmal geht es die Treppe hinauf in den Seminarraum Nummer eins. Nun bestimmen alle Teilnehmer gemeinsam die besten Ideen. Zum Beispiel könnte man die Betten auf Partner wie Altenheime oder karitative Organisationen verteilen. Der Einfall, Sponsoren zu finden, ist auch unter den Favoriten. Nun soll für die brauchbarsten Ideen jeweils ein genauerer Entwurf entwickelt werden, der auch Probleme berücksichtigt. Volker sagt: "Ich muss mich setzen – es geht nichts mehr." Seine Kommilitonin Wiebke pflichtet ihm bei. Aber genau wie alle anderen überwinden sie die Müdigkeit und legen noch einmal los.

"Ihr habt es geschafft", verkündet Kathrin eine Stunde später. Nun hat jeder noch ein abbrennendes Streichholz lang Zeit, um sein persönliches Fazit zu ziehen. Krankenschwester Anita sagt: "Ich habe gebangt, ob etwas aus unserem Hospiz wird. Heute gehen wir mit vielen guten Ideen, wie es funktionieren kann, nach Hause."

Christina Heimken