Damit die Haltung stimmt
In der Entspannung liegt die Kraft. 56 Gesundheitskurse bietet der Hochschulsport. Einer davon ist der Yoga-Kurs im umfunktionierten Seminarraum.
Fotos (2): Peter Grewer
"Mens sana in corpore sano" lautet ein lateinisches Zitat des römischen Dichters Juvenal. Zwar wird über die genaue Bedeutung dieses (Halb)-Satzes noch heute diskutiert. Klar ist aber, dass er auf die Notwendigkeit der Einheit zwischen Körper und Geist für die allgemeine Gesundheit verweist. Der Trend zu Gesundheits- und Entspannungskursen beim Hochschulsport der WWU zeigt, dass es für Studierende immer wichtiger wird, einen körperlichen Ausgleich zu ihrer geistigen Belastung zu finden. "Im Jahr 2004 hatten wir gerade einmal zwei Gesundheitskurse in unserem Angebot", erinnert sich der Leiter des Breitensportbereichs des Hochschulsports, Jörg Verhoeven. "Heute sind es 56 Kurse." Ganz oben auf der Beliebtheitsskala stehen bei den Studierenden Yoga und Pilates. In den Gesundheitskursen des Hochschulsports tummeln sich derzeit 85 Prozent Frauen, jedoch werden die auf Entspannung und Körpergefühl angelegten Angebote auch bei Männern immer beliebter.
Auch Karin Baumeister* macht seit einiger Zeit Yoga. Ihr Psychotherapeut hatte ihr die sowohl meditativen als auch körperbezogenen Übungen ans Herz gelegt, um mit der Alkoholabhängigkeit ihrer Mutter besser fertig werden zu können. "Es fällt mir nämlich besonders schwer, den Fokus in meinem Leben von ihr auf mich selbst zu richten", beschreibt Karin ihre Situation. Yoga könne bei der Rückbesinnung helfen, so der Psychotherapeut. "Ich bin zwar überhaupt nicht esoterisch, aber Yoga hilft mir tatsächlich, mich wieder zu spüren", erklärt sie. Dieses Gefühl sei ihr lange Zeit abhanden gekommen, sie habe sich einfach nur taub gefühlt. Heute sind die Übungen für sie aber so etwas wie ein Ritual, das sie auch zuhause ausüben kann. Morgens hilft es Karin, in den Tag zu starten, abends, sich wieder zu "grounden", wie sie es nennt, "um überhaupt einschlafen zu können."
Auf mintgrünen Matten stehen die Teilnehmer des Hochschulsportkurses, um wortwörtlich den Boden unter den Füßen zu fühlen, zur Ruhe oder einfach "runter zu kommen" – "grounden" eben. Tief einatmen und ausatmen, bis auf die Atemgeräusche und die Ansagen der Kursleiterin ist es still im Seminarraum, der wegen Platzmangels in einen Gymnastik- und Sportraum umfunktioniert wurde.
Und dann die Beine zum Himmel ... Pilates ist deutlich anstrengender als es auf den ersten Blick scheint.
Wer aber glaubt, Yoga sei zum sinnbefreiten Faulenzen da, der hat sich geschnitten. Um Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen, so wie es das Ziel der Übungen ist, muss die Gruppe konzentriert arbeiten. "Der Baum" ist als nächstes dran: Die Arme werden über dem Kopf ausgestreckt, der Abstand zwischen den nach innen gedrehten Handflächen ist etwas mehr als schulterbreit. Dann ziehen die Yogi langsam das rechte, zur Seite ausgedrehte Bein hoch, bis die Fußunterseite am linken Knie liegt. Mancher wackelt ein wenig, die Fuß- und Wadenmuskulatur arbeiten, um die Balance zu halten. Andere stehen kerzengerade, der Kopf aufrecht und der Blick fest. Nicht schlimm, wenn es mal nicht im ersten Anlauf klappt. Wichtig ist, dass am Ende die Haltung stimmt.
"Es kommen Studenten, die zwei Wochen Hardcore gelernt haben, um dann zu merken, dass sie nicht mehr können."
Nicht immer sind es solch gravierende private Probleme wie bei Karin, die die Studierenden in den Yoga-Kurs oder zur Zentralen Studienberatung (ZSB) geführt haben. "Meistens kommen sie natürlich aufgrund von Studienproblemen zu uns", so Peter Schott, Leiter der ZSB. Seit der Einführung der neuen Studiengänge gehören vor allem Prüfungsängste, Lernblockaden oder Zweifel an der Richtigkeit der Studienwahl zu den Problemen, von denen sich die Studierenden geplagt fühlen.
Reden ist Gold, vor allem, wenn es darum geht, seine Sorgen los zu werden, meint Peter Schott von der ZSB.
Foto: Angelika Klauser
"Früher war bei den Studierenden, die bei uns Hilfe gesucht haben, die Aufschiebe-Problematik stark verbreitet. Das ist mit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge viel weniger geworden", weiß Studienberater Volker Koscielny. Vor allem der Anfang und das Ende des Studiums zeichnen sich oft durch erhöhte Stressbelastung bei den Studierenden aus. Aber auch mittendrin können kleine und große Krisen auftreten: "Es kommen Studenten, die zwei Wochen am Stück Hardcore gelernt haben, um dann zu merken, dass sie nicht mehr können. Dann fallen sie kurz vor der Prüfung förmlich in eine Starre. Diese versuchen wir dann wieder zu lösen", berichtet Koscielny. Das geschieht in Beratungsgesprächen, in denen es beispielsweise um die effektive Planung des Studiums, die Vorbereitung von angstbesetzten Situationen wie Prüfungen oder das Zeitmanagement geht.
"Studiensituationen fordern immer auch Bewältigungskompetenzen, da reicht ein zusätzlicher neuralgischer Punkt aus, um einen Menschen zumindest zeitweise aus dem Gleichgewicht zu bringen", wissen die Studienberater aus Erfahrung. "Der Stress hat sich deutlich erhöht", so Schott. Deshalb nahmen in jüngster Zeit auch zehn Prozent mehr Studierende die psychologische Beratung der ZSB in Anspruch als noch im Jahr 2007.
Der Hochschulsport Münster bietet folgende Sportarten zur Entspannung an: > Relaxingtime (PMR) – Progressive Muskelentspannung Zu finden sind die Kurse unter http://hsp-ms.uni-muenster.de/Sportarten/Sportarten.htm. |
Anders als Yoga zielt Pilates primär auf die kontinuierliche Kräftigung der Muskulatur ab. Jeder weiß, dass es anstrengend wird, wenn es auf dem Rücken liegend heißt: Oberkörper leicht anheben, Beine in die Luft und kurz über dem Boden halten. Halten. Halten. Halten ... Die kleinen bunten Gummibälle, die die Pilates-Teilnehmer dabei zwischen ihre Füße pressen, beginnen nach wenigen Sekunden zu zittern. Die Gesichter werden angespannter und die ersten Schweißtropfen sind zu sehen. Trotz der Anstrengung ist den Hochschulsportlern der Wille anzusehen. Noch ein paar Sekunden durchhalten. Ist der Kurs zuende, sind viele der bunten Sport-Shirts nass geschwitzt und Beine und Arme sind schwer wie Blei. Dennoch lässt sich in den geröteten Gesichtern die Zufriedenheit und Entspannung erkennen, wegen der sie unter anderem zum Pilates gekommen sind.
Obwohl das Studium immer mehr Zeit in Anspruch nehme, sei die Nachfrage nach Sport an der Hochschule nicht etwa gesunken, sondern deutlich gestiegen. "Wir müssen heute flexibler sein, weil die Studierenden zeitlich sehr eingeschränkt sind. Also finden viele Kurse abends statt, manche sogar noch um 23 Uhr und auch am Wochenende", so Verhoeven. Die Bedeutung, einen Ausgleich zu privaten Problemen oder Stress in der Uni zu finden, werde immer größer. So erklärt sich der Breitensport-Leiter auch den extremen Zuwachs bei den Gesundheitskursen wie Yoga oder Pilates. Aber nicht nur seelische, sondern auch körperliche Stressfaktoren des Studiums sollen bekämpft werden: "Ich bin oft total verspannt vom vielen am Schreibtisch sitzen, da hilft Pilates, weil es eine Mischung aus Entspannung und Muskelaufbau ist", erklärt Simon Peters*, einer der wenigen männlichen Teilnehmer. Verhoeven ist auf eine erhöhte Nachfrage vorbereitet: "Im kommenden Semester werden wir noch mehr Kurse anbieten, obwohl wir langsam schon an die Grenzen unserer Kapazitäten stoßen."
"Selbst wenn die Anforderungen immer höher werden: Was ist die Alternative, wenn der Akku leer ist?"
Die Gründe für die steigende psychische Belastung der Studierenden sieht Schott im wachsenden Konkurrenzkampf schon während des Studiums und der damit einhergehenden Entsolidarisierung: "Es herrscht der Gedanke, dass heute ein ordentliches Studium alleine nicht mehr reicht. Ehrenämter, Praktika und Nebenjobs sind quasi Pflichtübungen." Es sei in solchen Situationen wichtig, den Studierenden Optionen und neue Perspektiven aufzuzeigen. "Selbst wenn es so ist, dass die Anforderungen immer höher werden: Was ist die Alternative, wenn der Akku leer ist?", so Schott. Man müsse akzeptieren, dass nicht immer alles nach Plan oder wie im Lehrbuch ablaufen könne.
Karin hat für sich das Beste aus der Situation gemacht: "Ich bin auf Soziologie und Englisch umgestiegen", berichtet die 22-Jährige, "und ich bin mit meiner Auswahl richtig zufrieden. Wenn ich zwischendurch das Gefühl kriege, nicht genug Energie zu haben, kann ich durch Yoga die nötige Energie wieder auftanken. Nun besteht für mich ein guter Rahmen, mein Leben neu auszurichten."
hd
*Namen von der Redaktion geändert