Wechsel der Perspektive

Rund 140 Studiengänge wurden bereits durch die Akkreditierungsagentur genehmigt. Nun sind alle Lehramtsstudiengänge an der Reihe.
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Birgit Hennecke leitet seit gut einem Jahr die Abteilung "Qualität der Lehre“. Unter anderem ist sie zuständig für die Akkreditierung und Re-Akkreditierung der Bachelor- und Master-Studiengänge. Begutachtet und genehmigt werden sie durch eine so genannte Akkreditierungsagentur, die gewährleistet, dass die neuen Studiengänge einheitlichen Qualitäts-Standards entsprechen. 140 Verfahren sind bereits abgeschlossen oder werden derzeit begutachtet. In diesem Jahr stehen weitere 20 an, bis 2011 müssen alle, das heißt, mehr als 100 Lehramtsstudiengänge akkreditiert werden. Brigitte Nussbaum sprach mit der studierten Germanistin.
Sie haben selbst am Bologna-Tag Mitte Januar teilgenommen. Wie zufrieden waren Sie?
Sehr zufrieden, weil sehr konkrete Ideen zur Verbesserung der Akkreditierungsabläufe gekommen sind und der Austausch sehr konstruktiv war.
Waren Sie erstaunt, dass so viele Lehrende gekommen sind?
Nein, eigentlich nicht, das liegt schlicht und einfach am "Leidensdruck". Die Akkreditierung der Lehramtsstudiengänge steht unmittelbar bevor. Die Fachvertreter unterliegen doppeltem Druck: Einerseits müssen die Vorgaben des Akkreditierungsrats und der Kultusministerkonferenz berücksichtigt werden, andererseits hat das Schulministerium sehr detaillierte Vorgaben zur Reform der Lehrerausbildung gemacht. Da muss man klar unterscheiden: die rigidesten Vorgaben kommen nicht durch die Akkreditierung, sondern durch das Lehrerausbildungsgesetz.
Wie aufwändig ist ein solches Akkreditierungsverfahren?
Jedes Verfahren dauert von der ersten Sichtung bis zur erfolgreichen Akkreditierung mindestens ein Jahr. Wir bieten vielfältige Beratungsstufen an. Die Qualität der Anträge ist sehr unterschiedlich. Man kann zwei Typen von Studiengangsverantwortlichen unterscheiden: Die einen sind erfreut über die Beratung und Unterstützung, haben konkrete Fragen zur Verbesserung ihrer Konzepte und nehmen auch die Gestaltungsspielräume wahr. Die zweiten wissen, dass sie die Studiengänge akkreditieren lassen müssen, aber liefern nur das Nötigste, was der Qualität des Studiengangs nicht zuträglich ist. Die Frage ist auch immer, welche personellen Ressourcen ein Fachbereich investieren kann. In einigen Fachbereichen gibt es feste Ansprechpartner mit der entsprechenden Routine und einem internen Qualitätsmanagement, ebenfalls gut ist es natürlich, wenn der Antrag von mehreren Hochschullehrern zusammen geschrieben wird, oft muss die sehr zeitaufwändige Arbeit aber nebenher von einem einzelnen wissenschaftlichen Mitarbeiter erledigt werden.
Es gibt viel Widerstand?

Birgit Hennecke
Oh ja. Einen Kritikpunkt kann ich gut verstehen: dass die Verfahren zu aufwändig sind und zu viel Zeit fressen. Deshalb wurde beim Bologna-Tag auch vorgeschlagen, die Dokumentationspflicht zu reduzieren. Sie müssen sich das so vorstellen: Für einen Studiengang, den es noch nicht gibt, oder der gerade erst angelaufen ist, sollen die Programmverantwortlichen beispielsweise die benötigten Ressourcen, die Lehrverpflichtungsmatrix und die Arbeitsmarktchancen der Absolventen darstellen. Ich kann gut nachvollziehen, dass die Lehrenden da Probleme haben. Sie müssen ein Konzept schreiben, als würde der Studiengang schon existieren, dabei gibt es noch keine Erfahrungen.
Aber die Akkreditierung der Studiengänge finden Sie grundsätzlich vernünftig?
Natürlich! Ich finde es ganz wichtig, weil dadurch ein Perspektivwechsel stattfindet. Das passiert auf zwei Ebenen: Einerseits haben wir den Switch weg von den Lehrenden hin zum Anforderungsprofil des Absolventen: Früher haben sich die Lehrenden überlegt, welche fachlichen Inhalte sie den Studierenden vermitteln wollen. Heute müssen sie überlegen, was ein Absolvent am Ende seines Studiums im fachlichen und überfachlichen Bereich können soll und was er dafür lernen muss. Wir arbeiten jetzt also auf ein Ergebnis und entsprechende Kompetenzen hin.
Das funktioniert aber nicht reibungslos.
Noch kommt es viel zu häufig vor, dass nur überlegt wird, welcher Stoff unbedingt vermittelt werden soll und der dann in ein Korsett von 180 Credit Points gepresst wird. Die angemessene Form der Vermittlung bleibt dabei häufig unberücksichtigt. Das ist aber nicht das Ziel der Bologna-Reform.
Der zweite Perspektivwechsel findet ebenfalls weg von Lehrenden hin zu den Studierenden statt. Früher wurde der Lern-Umfang aus Perspektive der Lehrenden nach den Semesterwochenstunden, also der Präsenzzeit in Seminaren und Vorlesungen, bemessen. Heute wird die Messung der Arbeitslast eines Studierenden, die so genannte "Workload" wichtiger. Die ECTS -Punkte, die für ein Modul vergeben werden, richten sich nach dieser Workload, in die neben Anwesenheitszeiten auch Vor- und Nachbereitung, Lese- und Recherchezeiten oder auch Klausurvorbereitungen einberechnet werden. Eine Idee, die simpel und grandios ist, aber die Tücke liegt im Detail. Es ist eine hohe Kunst, diese Punkte zu vergeben.
Aber alle Beteiligten lernen doch dazu?
Sicher. Wir können ganz eindeutig beobachten, dass wir immer geringere Auflagen von der Akkreditierungsagentur bekommen. In älteren Programmen hatten wir zum Teil ganz massiven Nachbesserungsbedarf, das wird immer weniger. Ich bin sehr optimistisch, dass das in den kommenden Jahren noch besser wird. Wir wollen eine kontinuierliche Verbesserung der Studiengänge erreichen, auch bei der realen Umsetzung der Studiengangskonzepte. Nicht umsonst nennt sich meine Abteilung "Qualität der Lehre".