Im Abseits der Gesellschaft?
Über Fußball wird heutzutage viel geforscht und noch mehr geschrieben. Von Ernährungswissenschaftlern bis hin zu Sportpsychologen fallen Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen interessante Forschungsfragen ein: Wie müssen sich Spieler ernähren, um so fit wie möglich zu sein? Sollte ein gefoulter Spieler tatsächlich darauf verzichten, den fälligen Strafstoß selbst zu schießen? Die Politikwissenschaftler Daniel Huhn und Stefan Metzger und der Kommunikationswissenschaftler Hannes Kunstreich planen ein Forschungsprojekt, das weniger die sportlichen Aspekte des Fußballs behandelt: Unter dem Arbeitstitel "Türkische Fußballvereine — Im Abseits der Gesellschaft?" fragen sich die Studenten, warum türkische Migranten in Deutschland eigene Fußballvereine gründeten. "Dass Muslime, die hier leben, Moscheen bauen wollen, ist leicht zu erklären, denn für die Ausübung ihrer Religion gibt es in Deutschland keine entsprechende Einrichtung. Bei der Gründung von Fußballvereinen stellt sich die Frage nach den Motiven anders", so Gruppensprecher Daniel Huhn.
Im Vorfeld der Untersuchung arbeiteten Huhn und seine Kommilitonen einen zehnseitigen Forschungsantrag aus. Mehrere Professoren empfahlen das Projekt, wodurch der Förderung durch die Kommission für Forschung, Personal und Internationales nichts mehr im Wege stand. Die Universität Münster bietet allen Studierenden die Möglichkeit, sie bei unabhängigen Forschungsvorhaben finanziell zu unterstützen. Knapp 2200 Euro stellt sie in diesem Fall den Jungforschern zur Verfügung.
"Die Uni ist für uns definitiv ein Türöffner. Das Geld, mit dem wir die Fahrt-, Material- und Geschäftskosten bezahlen, ist die eine Sache. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass wir davon profitieren, eine Institution wie die WWU im Rücken zu haben", so der 24-jährige Huhn. Es gebe etwa ein Dutzend Wissenschaftler, die sich in Deutschland mit ähnlichen Fragestellungen befassen. Dass fast alle von ihnen auf eine Anfrage der drei Studenten antworteten und ihren Rat anboten, führen sie auch darauf zurück, dass sie das Projekt im Namen der WWU durchführen. "Natürlich entsteht auch ein gewisser Leistungsdruck, aber das motiviert uns eher zusätzlich."
Die Idee, über türkische Fußballvereine in Deutschland zu forschen, kam Metzger, Kunstreich und Huhn während gemeinsamer Uni-Seminare. "Das Fach Politikwissenschaft hat dann so richtig Spaß gemacht, als wir in späteren Projektseminaren die Möglichkeit bekamen, selbst zu forschen", erklärt Huhn. Da er, wie seine beiden Kommilitonen auch, während des Studiums besonderes Interesse an Migrationsthemen und in der Freizeit ein Faible für Fußball hatte, war die Richtung schnell klar.
Für studentische Verhältnisse ambitioniert angelegt, sollen insgesamt 20 qualitative Interviews mit den jeweiligen Vereinsvorsitzenden geführt werden — einen Interview-Leitfaden haben die Drei bereits erarbeitet. Bis Januar wird Daniel Huhn im Ruhrgebiet, sowie Stefan Metzger und Hannes Kunstreich in Berlin ihre je zehn Befragungen abgeschlossen haben. Warum sie Fußballclubs aus der Hauptstadt und dem „Pott“ gewählt haben, kann Huhn leicht erklären: "In Deutschland gibt es rund 500 so genannte eigenethnische Sportvereine, davon je über 30 in Berlin und dem Ruhrgebiet." Auch der Vergleich von großstädtisch geprägten Vereinen und denen in eher kleineren Gemeinden interessiert die Drei.
"Bei uns gibt es Polizei- und Postsportvereine oder auch den katholischen DJK-Sportverband."
Eine Vermutung, in welche Richtung die Ergebnisse gehen könnten, haben sie bereits: "Es gibt die Stigmatisierung, dass viele Migranten in einer so genannten 'Parallelgesellschaft' leben. Dieser Terminus ist in der Politikwissenschaft ohnehin umstritten. Zudem ist fraglich, ob durch die Gründung solcher Fußballvereine ein Abschottungsprozess vollzogen wird", berichtet Huhn. Es sei prinzipiell verständlich, dass sich Menschen mit dem gleichen ethnischen, kulturellen, religiösen oder sozialen Hintergrund zusammen tun. "Bei uns gibt es Polizei- und Postsportvereine oder auch den katholischen DJK-Sportverband", sieht Huhn die Abspaltungsanklagen kritisch. Es bestehe also ein Widerspruch, dass ehrenamtliches Engagement sowohl in der Politikwissenschaft als auch in der Öffentlichkeit einen sehr positiven Stellenwert hat, dieses Engagement aber, sobald es in eigenethischen Vereinen stattfindet, sehr argwöhnisch betrachtet wird.
Einen möglichen Faktor für die Gründungen vermuten die Forscher unter anderem in kulturellen und religiösen Aspekten. In deutschen Vereinen ist das Bier nach dem Schlusspfiff Usus, praktizierende Moslems werden ihrer Religion wegen jedoch nicht mittrinken: "Solche Besonderheiten im Verhalten und Umgang können zu Sticheleien oder Ausgrenzungen führen. Ähnliche Erfahrungen sind wohl auch ein Grund für den Wunsch nach eigenen Vereinen", vermutet Huhn. Ob diese Vermutung sich bestätigt, werden die Drei im Sommer kommenden Jahres wissen.
Auf einer eigenen Homepage werden Huhn, Kunstreich und Metzger ständig über den Verlauf der Studie informieren. Das "Bloggen" lade andere zum Mitmachen ein und fördere die Vernetzung: "Wir wollen unseren jüngeren Kommilitonen Mut machen: Büffelst du noch, oder forschst du schon?"
hd