|
muz

Zurück zu den Wurzeln

Ausländische Alumni denken gerne an Münster zurück
Wl 0906 Globus

Über die ganze Welt verteilt sind die ausländischen Alumni, die ihr Studium an der Universität Münster absolviert haben. Manche von ihnen sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt, andere leben und arbeiten heute in Drittländern.

Fotos: Peter Grewer

In seiner Heimat, dem Gazastreifen, gab es keine Medizinische Fakultät, in Israel durfte er damals nicht studieren. "Das Ausland blieb als einziger Ausweg, und das Glück hieß 'Deutschland'", erinnert sich Dr. Ihab El-Araj an die Umstände, die ihn nach Deutschland und an die WWU führten. Angetrieben von dem Wunsch, mit einer guten Ausbildung nach Palästina zurückzukehren, um den Menschen dort zu helfen, studierte er in Münster Medizin.

Er erinnert sich besonders an die extreme Kälte, die ihn bei seinem Start in eine "ungewisse Zukunft" im Winter 1986 in Münster erwartete. "Sie passte zu dem Gefühl, mit dem ich herkam", beschreibt der Arzt die anfängliche Einsamkeit und Unsicherheit weit weg von zuhause. Die Distanziertheit der Deutschen sei ihm als 19-Jährigem besonders aufgefallen. "Im Flüchtlingslager in Rafah, in dem ich aufgewachsen bin, grüßte jeder jeden. Die Menschen schenkten einem trotz der Armut und Unterdrückung während der israelischen Besatzung auf der Straße ein Lächeln", so El-Araj.

Wl 0906 Alumnus-el-arajDr. Ihab El-Araj stammt aus dem Gaza-Streifen und lebt in Abu Dhabi.

Seine Gesichtszüge werden zugleich weich und melancholisch, wenn er über seine Heimat spricht. Es ist ihm wichtig zu erzählen, dass er trotz der mehr als schwierigen Lebensumstände eine glückliche Kindheit verbracht hat: "Wir waren mit sehr wenig zufrieden, mit sehr viel Ehrgeiz wurden wir erzogen." Diese Eigenschaften, ist sich El-Araj heute sicher, halfen ihm während seines Starts in Münster sehr. An den Umgang, die Gepflogenheiten und die Mentalität in Deutschland gewöhnte er sich schnell. "Heute ist Münster meine zweite Heimat, ich fühle mich sehr wohl hier", erzählt er.

El-Araj ist bislang nicht in seine Heimat zurückgekehrt: "Die Lage in Gaza ist so schlecht, dass es jetzt keinen Sinn hätte", berichtet der 42-Jährige und seine sonst so freundliche Miene verdunkelt sich. Er weiß, dass der Wunsch, zurückzugehen, sehr idealistisch ist, aber genau das machte ihn schon während seines Studiums zu etwas Besonderem. "Sie werden nie zufrieden sein, wenn Sie nicht irgendwann wieder im Nahen Osten sind, um dort helfen und behandeln zu können", beobachtete schon ein Professor des Palästinensers.

Für seine Familie, die noch in der Heimat ist, sei es aber wichtiger, dass er im Ausland sicher lebe und Geld verdiene. Aus diesem Grund entschied sich der Augenarzt auch, nach Abu Dhabi zu wechseln. Trotz seines selbstbewussten und fröhlichen Auftretens merkt man dem Augenarzt den moralischen Druck und die Verantwortung an, die durch die Hoffnung seiner Familie auf ihm lastet.

"Ich war erst mal ein Fremder im eigenen Land."

Der Wechsel nach dem Studium, der Promotion und den ersten Anstellungen in Deutschland in ein weiteres neues Land sei ihm zuerst nicht leicht gefallen, berichtet der Arzt. "Wenn man einmal in Deutschland und vor allem einer Stadt wie Münster gelebt hat, ist es schwer, es woanders auszuhalten", erzählt er. Alleine, dass Frieden hier Normalität sei, erschwere den Abschied. "Es ist erst immer ein Schritt nach hinten", findet El-Araj. Sein erster Versuch, Deutschland zu verlassen scheiterte aus diesem Grund. Sein Zielland Saudi-Arabien war ihm bis zuvor kaum bekannt. Es sei ein verschlossenes Land, so dass der Kontrast zu groß gewesen sei, um sich dort wohl zu fühlen.

Wl 0906 Alumnus-seong-kim

Prof. Dr. Seong-Jae Kim ist in sein Heimatland Korea zurückgegangen.

Gänzlich andere, aber ebenfalls schwierige Erfahrungen machte Prof. Dr. Seong-Jae Kim nach seiner Rückkehr in sein Heimatland Korea. "Ich war erst einmal ein Fremder im eigenen Land", schildert Kim, der heute Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der "Chosun University" in Gwangiu ist. Damals habe er sich zum zweiten Mal an eine völlig neue Situation anpassen müssen. Die Entscheidung zur Rückkehr nach Korea bereute er indes nie: "Ich wollte zurück zu meinen Wurzeln."

Ab 1985 studierte der heute 52-Jährige siebeneinhalb Jahre Wirtschaft, Pädagogik und Sinologie in Münster, denn "ich wusste, dass deutsche Abschlüsse in meiner Heimat sehr angesehen sind". Die deutsche Wissenschaftlichkeit und Genauigkeit haben ihm während seines Studiums besonders imponiert, und genau diese Eigenschaften habe er an die Universität in Seoul und dann nach Gwangiu mitnehmen wollen. Stolz ist er, dass sich seine Arbeitsweise mittlerweile durchgesetzt hat. Deutlich leiser wird seine Stimme jedoch, als er erzählt, dass es fünf Jahre gedauert habe, bis er – vor allem bei seinen koreanischen Kollegen – wieder als "einer der ihren" angesehen wurde. „Für mich war das Studium in Münster und die Rückkehr nach Korea ein großes Abenteuer“, sagt Kim schmunzelnd.

Wl 0906 Alumnus Luna

Patricio Luna stammt aus Chile und lebt in Ecuador.

Patricio Luna, der von 1983 bis 1990 Publizistik, Romanistik und Linguistik an der WWU studierte, nutzte den Vorteil, zwei Sprachen – spanisch und deutsch – fließend sprechen zu können, für seine berufliche Zukunft als freier Journalist. "Ich wollte immer zurück nach Chile, aber zu dieser Zeit war ich nur ein winziges Sandkorn unter den vielen Rückkehrern", erinnert sich der 46-Jährige. In seinem Geburtsland, das er als Kind Richtung Deutschland verließ, fanden 1989 die ersten freien Wahlen nach 15-jähriger Diktatur statt – ein Grund für viele ausgewanderte Chilenen, zurückzukehren. Deshalb entschied sich Luna 1991, in Ecuador als freier Journalist zu arbeiten, wo er bessere berufliche Perspektiven vorfand. Sowohl in Chile als auch in Ecuador galt er anfänglich als der "besserwisserische Deutsche". "Das schleppt man eine Weile als Paket mit sich", so Luna. Solche Anpassungsprozesse seien aber völlig normal und träten immer auf, wenn man zurückkehre.

"Die deutsche Ausbildung hat im Ausland einen guten Ruf, und ich bin überzeugt, dass man sowohl hier als auch im jeweiligen Heimatland gute Möglichkeiten hat", so El-Araj. Der Wille, sich besonders zu bemühen und die ersten harten Monate durchzuhalten, müsse natürlich vorhanden sein. Joachim Sommer leitet die "Brücke", das internationale Zentrum der WWU, und begleitet ausländische Studierende schon seit etlichen Jahren durch ihr Studium. Beispiele wie die von El-Araj, Kim oder auch Türkan Karakurt, die heute in der Schweiz Direktorin der Friedrich-Ebert-Stiftung ist, freuen ihn sehr.

Jedoch weiß er auch, dass es eine Kehrseite der Medaille gibt: "Manche Alumni – besonders die, die in Deutschland bleiben – haben oft noch Jahre nach ihrem Abschluss Jobs, für die sie überqualifiziert sind und zu wenig Geld bekommen." Es seien eher diejenigen, die in ihre Heimatländer zurückkehrten oder auch in Drittländer wechseln würden, die heutzutage sehr erfolgreich sind. Für Entwicklungsländer ist der Geldrückfluss durch Akademiker, die im Ausland arbeiten, aber ihre Familien weiter unterstützen wie El-Araj, ein wichtiger Beitrag. Das wiege den Verlust durch den so genannten "Braindrain", also den Verlust an Wissen durch die Emigration talentierter Menschen, wieder auf, so Sommer.

"Mit den Jahren wird es immer wärmer."

Für Ihab El-Araj ist die Reise noch nicht zu Ende. Dass Abu Dhabi für ihn nur eine Zwischenstation sein wird, war von Beginn an klar. Die Rückkehr in den Gazastreifen und zu seiner Familie bleibt sein Ziel. Bis es soweit ist, sind die weiteren Stationen für den Arzt ungewiss. Er schickt seine Kinder auf eine deutsche Schule. Für aktuelle oder potenzielle ausländische Studierende hat der Augenarzt einen Rat: "Sie sollen nicht beunruhigt sein, auch wenn der Anfang nicht leicht wird. Niemand wird dir bei der Ankunft einen roten Teppich ausrollen." Sobald man sich aber eingelebt und Menschen kennen gelernt habe, sei ein Auslandsstudium – vor allem in Europa – eine große Chance. Und auch die Winter seien gar nicht mehr so schlimm, wenn man sich daran gewöhnt habe. "Mit den Jahren wird es immer wärmer", sagt El-Araj. Den Klimawandel wird er damit wohl nicht gemeint haben.

hd