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Die Schatten der Vergangenheit

Neue Untersuchungen zur WWU in der NS-Zeit
Wl 0906 Treppe Low

Spätestens seit dem Jahr 2000, als der Senat der WWU der Opfer des Nationalsozialismus gedachte, ist die Geschichte der Universität Münster in den Jahren von 1933 bis 1945 und auch danach immer wieder Thema. Früher standen vor allem die Opfer im Mittelpunkt, wie zum Beispiel bei dem Mahnmal von Antonia Low im Südflügel des Schlosses, bei dem eine Treppe ins Nichts an die unterbrochenen Karrieren und Leben erinnert. Seit einigen Jahren wird verstärkt die Rolle der Täter untersucht. Noch bis zum 15. Januar 2010 ist im Fürstenberghaus eine DFG-Ausstellung zur Rolle der Wissenschaft beim "Generalplan Ost" zu sehen. Begleitet wird sie von einem Workshop am 11. Januar, in dem Doktoranden ihre Untersuchungen zu einzelnen Fachbereichen der WWU in dieser Zeit vorstellen.

Kontinuierlich schreitet die Arbeit der Kommission unter Leitung von Prof. Hans-Ulrich Thamer zur Aufarbeitung der Geschichte der WWU in der Zeit des Nationalsozialismus und danach voran. Drei Doktoranden untersuchen zurzeit die Fachbereiche Rechtswissenschaft, Biologie und Geowissenschaften. Unterstützt werden sie dabei auch von Prof. Isabel Heinemann, die die DFG-Ausstellung zum "Generalplan Ost" mitkonzipiert hat und seit dem Sommer eine Juniorprofessur an der WWU inne hat.

Daniel Droste promoviert seit 2007 über die biologischen Institute der WWU. Diese waren an anderen Orten stark nationalsozialistisch geprägt. "Nationalsozialismus ist angewandte Biologie", zitiert Droste eine der damaligen Parolen. In Münster allerdings beanspruchten die Mediziner stark nazifizierte Themenkomplexe wie die Rassenkunde und Rassenlehre ür sich. "Hier hat die Medizin alle Kompetenzen an sich gezogen", weiß der Doktorand.

Er habe nur wenig Belege für eine Ideologisierung der Lehre und Forschung gefunden. Allerdings gab es auf verschiedenen Ebenen Anbiederungen an das Regime. Da war zum einen der Versuch des Assistenten Feuerborn, seinen Vorgesetzten, den Ordinarius für Zoologie Prof. Leopold von Ubisch, mit Unterstützung nationalsozialistischer Kreise aus Universitätsverwaltung, Studentenschaft und Provinzialverwaltung aus dem Amt zu drängen. Von Ubisch, wegen seiner jüdischen Mutter angreifbar, musste schließlich 1935 seine Entpflichtung beantragen. Allerdings erhielt nicht Feuerborn das Ordinariat, sondern Prof. Hermann Weber. Feuerborn verließ die Uni Münster in Richtung Freiburg und Berlin, wo er 1945 von den Russen entlassen wurde.

Wl 0906 Generalplan

Die Rolle der Wissenschaft in der NS-Zeit zeigt die Ausstellung im Fürstenberghaus.

Foto: pg

Von Ubischs Nachfolger  Weber rechtfertigte in seinen Arbeiten eine auf Rassereinheit und Ausmerzung abzielende Politik der Nationalsozialisten und den Aufbau eines totalitären völkischen States. Seine Kollegen im Botanischen Institut, der Extraordinarius für Pharmakognosie, Eduard Schratz, sowie der Ordinarius für Botanik, Walter Mevius, waren mit der Oberaufsicht über die westfälische Heilpflanzensammlung institutionell sowohl in den Vierjahresplan Görings als auch in die Raubzüge der SS im besetzten Osten eingebunden.

"Während des Nationalsozialismus ist die münstersche Biologie eher unauffällig. Aber danach zeigen sich interessante Kontinuitäten", erzählt Droste. Gleich fünf ehemalige Blockleiter des NSDAP seien in der Biologie nach 1945 als Mitarbeiter tätig gewesen. Feuerborn sei ein seltenes Beispiel für einen Wissenschaftler, dessen Karriere nach 1945 tatsächlich beendet wurde. Meist wurden die belasteten Hochschullehrer aber entnazifiziert und konnten ihre Tätigkeit fortsetzen. Weber beispielsweise wurde von der Bundesregierung zum Mitglied einerUNESCO-Expertenkommission ernannt.

"Die Menschen sind nicht gezwungen worden. Sie haben ihre Themen an die Politiker herangetragen."

Auffällig war, so Heinemann, die Verbindung zur Reichsuniversität Prag. Die Reichsuniversitäten waren in den besetzten Gebieten eingerichtet worden, um die Vorherrschaft des nationalsozialistischen Staates zu untermauern. Wer dort lehrte, gehörte zu den Hardlinern. Vor allem in der Medizin, aber auch in der Biologie, wurden in den 1950er Jahren auffallend viele ehemalige Lehrkräfte aus Prag berufen, so Heinemann. "Aber auch andere Professoren waren sicherlich keine Regimegegner. Wer nach 1935 ein solches Amt inne hatte, hatte sich mit dem Regime arrangiert", sagt Droste. "Die Menschen sind nicht gezwungen worden. Sie haben ihre Themen an die Politiker herangetragen."

Kathrin Baas untersucht seit Beginn des Jahres die Rolle der geographischen Forschung. Hier steht vor allem der Umgang der Geographie mit der Lebensraum-Ideologie der Nationalsozialisten im Mittelpunkt. In Lehre und Forschung kam es zu Schwerpunktverschiebungen, die Raumforschung wurde von den Nationalsozialisten besonders gefördert. Ursprünglich war die Rücksiedlung der Stadtbevölkerung zurück aufs Land ein Thema, später explodierten die Planungen. Ab 1941/42 machten die Wissenschaftler den gedanklichen Schritt nach Ostmitteleuropa. "Sie taten einfach so, als seien diese Räume menschenleer und akzeptierten damit stillschweigend Vertreibung und Mord", erklärt Heinemann. Auch wenn es in Münster keine konkreten Beiträge zum "Generalplan Ost" gab, so stellte sich Prof. Hans Dörries als erster Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung und als Vertrauensmann der Reichsstelle für Raumforschung in den Dienst der Nationalsozialisten. "Viele der Gedanken und Überlegungen waren nicht neu, sondern waren in den Ereignissen aus dem Jahren nach dem ersten Weltkrieg verwurzelt", sagt Baas. "Die Regelungen des Versailler Vertrages empfanden viele als Abwertung ihres Faches, sah man sich selbst doch als politisch bedeutsame 'Kolonialwissenschaft'".

Auch die Rechtswissenschaftler haben sich bereitwillig mit den Nationalsozialisten arrangiert oder sie sehr bereitwillig unterstützt. Sebastian Felz hat vor allem drei Professoren identifiziert, die Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Politik wurden: "Prof. Friedrich Grimm ist sicherlich der münstersche Jurist mit der steilsten Karriere während des Nationalsozialismus." Er saß für die NSDAP im Reichstag und war Prozessvertreter der Reichsregierung im Reichstagsbrandprozess oder dem Grünspanprozess. Ab Oktober 1940 gehörte Grimm zur deutschen Botschaft in Paris. Nach mehrjähriger Gefangenschaft arbeitete Grimm wieder als Rechtsanwalt für ehemalige hohe NS-Funktionäre.

Prof. Hubert Naendrup, erster Rektor im "Dritten Reich" von 1933 bis 1935, ist ein Beispiel für die politische Radikalisierung nach dem Ersten Weltkrieg. Nach vier Jahren Einsatz im Ersten Weltkrieg griff Naendrup im Herbst 1919 in das münstersche Revolutionsgeschehen ein und gründete mit seinen Studenten die "Akademische Wehr Münster". Er sympathisierte mit Kapps Putschisten und sicherte mit 750 Mann im März 1920 Bahnhöfe und Brücken vor Münster gegen die vorrückenden Arbeiter aus dem Ruhrgebiet. 1932 trat er in die NSDAP ein. Er initiierte auf der Tagung "Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ Anfang Oktober 1936 in Berlin ein Gelöbnis, das die Teilnehmer verpflichtete, "jüdische Autoren" möglichst nicht mehr zu zitieren, eine Bibliographie jüdischer Publizisten zu erstellen, Bücher in Bibliotheken und Seminaren zu separieren sowie weiterhin zu diesem Komplex zu forschen.

Sein Nachfolger im Amt bis 1937 war Prof. Karl Gottfried Hugelmann, der aus Wien kam. Er wird beschrieben als Repräsentant katholischer Intellektueller, welche den Brückenschlag zum Nationalsozialismus herzustellen versuchten. Andererseits gab er sich als großdeutscher Nationalsozialist, dessen rechtsgeschichtlichen Forschungen sich immer mehr zu reichstheologischen Legitimationen des "Dritten Reiches" wandelten. Viele Haltungen und Biografien sind nicht eindeutig, weisen Graustufen auf. Es ist die Aufgabe der Historiker, diese zu bewerten und einzuordnen in die Zeitläufte. Für Heinemann aber steht eines fest: "Das nationalsozialistische Regime bildete zwar den Rahmen, aber die meisten Wissenschaftler wollten mitmachen. Sie haben die Möglichkeiten, die sich ihnen boten, ausgenutzt und sich damit selbst in den Dienst der Nationalsozialisten gestellt. Dieser Trend zur akademischen Selbstmobilisierung war ein nationales Phänomen. Münstersche Wissenschaftler bildeten keine Ausnahme."

bn

11. Januar, 16 bis 18 Uhr, H 18 (Englisches Seminar): Workshop, danach um 18 Uhr Führung im Fürstenberghaus