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"Nicht auf der Höhe der Zeit"

Kritik an päpstlicher Sozialenzyklika

Der münstersche Sozialethiker und Soziologe Prof. Karl Gabriel von der Katholisch-Theologischen Fakultät wirft der ersten Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI. vor, sozialwissenschaftlich nicht auf der Höhe der Zeit zu argumentieren und in die Nähe einer fundamentalistischen Position zu geraten. "Die Begriffe und Konzepte, die der Papst zum Begreifen der gegenwärtigen Weltsituation anbietet, bleiben in einem Maße unpräzise und unterkomplex, dass sie in Widerspruch zu seinen Absichten geraten", schreibt Gabriel in einem Beitrag für den Exzellenzcluster "Religion und Politik". "Der wissenschaftliche Kenntnisstand der Sozialwissenschaften zu Globalisierung und Entwicklung wird über weite Strecken außer Acht gelassen."

Ein Konflikt zwischen Moral und Sozialwissenschaften könne sich für die Kirche ebenso verhängnisvoll auswirken "wie zu Zeiten Galileis der Konflikt zwischen Glauben und Naturwissenschaft", so der Forscher. Davor habe bereits der Sozialethiker Walter Kerber mit Blick auf die Entwicklungsenzyklika Johannes Paul II. von 1987 gewarnt. "Benedikt XVI. gibt nun noch mehr Anlass zu Befürchtungen dieser Art", unterstreicht  Gabriel.

Eine weitere Schwäche der Enzyklika "Caritas in veritate" ("Liebe in Wahrheit") sieht der Sozialethiker in der ethischen Argumentation des Kirchenoberhauptes. Der Papst umgehe die Tatsache, dass die katholische Kirche nur noch eine von vielen Religionen im globalen Weltanschauungsmarkt darstelle. Er verweise dazu ausgerechnet auf das Naturrecht, "als dessen Kritiker er sich als junger Theologe einst einen Namen gemacht hatte und auf das er sich noch im Gespräch mit Habermas aus guten Gründen nicht stützen mochte". Dass Benedikt XVI. die Politik auffordere, seine eigene Konzeption von "Liebe in der Wahrheit" zur Unterscheidung der Religionen heranzuziehen, bringe ihn "selbst in die Nähe einer fundamentalistischen Position".

Die Enzyklika war Anfang Juli in Politik, Kirchen, Medien und Wirtschaft auf positive Resonanz gestoßen, weil der Papst darin mehr Moral und soziale Gerechtigkeit angesichts der Wirtschaftskrise fordert. Die erste Auflage in deutscher Sprache aus dem Augsburger Sankt Ulrich Verlag war innerhalb kurzer Zeit nach Erscheinen ausverkauft.

exc