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Kleines Fach ganz groß

Neue Zielvereinbarung mit dem Land unterzeichnet
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"Orchideenfächer" wie die Byzantinistik oder die Ethnologie sind unabdingbarer Bestandteil der Fächerkultur an der WWU.

  Foto: joachim 061974/pc

"Ich habe mich nie als 'kleines Fach' gefühlt." Immerhin rund 230 Studierende hat der Bachelor-Studiengang Kultur- und Sozialanthropologie, den das Institut für Ethnologie gemeinsam mit dem Institut für Volkskunde/Europäische Ethnologie anbietet. Prof. Helene Basu kann es zwar in Sachen Studierendenzahlen nicht mit einem Massenfach wie beispielsweise der Betriebswirtschaftslehre aufnehmen, unverzichtbarer Bestandteil des Fächerspektrums ist die Ethnologie trotzdem. Das fand auch Wissenschaftsminister Prof. Andreas Pinkwart, der im Juli das Institut besuchte, stellvertretend für die rund 20 "Kleinen Fächer" an der WWU, die in einer landesweiten Evaluation hervorragend abgeschnitten haben. "Die 'Kleinen Fächer' sind gut in der Lehre, teilweise Spitze in der Forschung und absolut unverzichtbar für unsere Universitäten und unsere Gesellschaft", betonte Pinkwart. Formal bestätigt wurde dies mit einer Zielvereinbarung zwischen Land und WWU, die vor allem die Stärkung der religionswissenschaftlichen Fächer vorsieht.

Das sieht Prof. Gerd Althoff, Sprecher des Exzellenzclusters, ganz genauso: "Die 'Kleinen Fächer' leisten einen wesentlichen Beitrag für den Cluster, ohne sie wäre er nicht denkbar. Aber im Grunde ist die Einteilung in 'Kleine' und 'große' Fächer müßig, denn Spezialisierungen sind immer notwendig und viele große Fächer, vor allem in den Geisteswissenschaften, sind nur ein Netzwerk aus vielen kleineren Fächern." Ob Ethnologie, Arabistik, Mittellateinische Philologie oder Islamwissenschaft – sie alle können einzelne Mosaiksteinchen beitragen, um das Thema des Clusters "Religion und Politik" in seiner ganzen Breite zu bearbeiten. "Der Cluster spiegelt genau die Struktur der Universität wider. Es ist kein Zufall, dass wir den größten geisteswissenschaftlichen Cluster der Exzellenzinitiative eingeworben haben, weil kaum eine andere Universität so viele 'Kleine Fächer' aufzuweisen hat", ist sich Prorektor Prof. Stephan Ludwig, zuständig für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, sicher.

"Die 'Kleinen Fächer' können eine sehr intensive Betreuung anbieten."

"Ich fühle mich im Cluster sehr gut aufgehoben. Wir tauschen uns dort auf sehr hohem Niveau mit der Geschichtswissenschaft aus", meint Basu. "Wir erschließen uns  neue Räume der Auseinandersetzung, in denen neue Erfahrungen der interdisziplinären Auseinandersetzung möglich werden. Es ist überaus interessant, wie die unterschiedlichen Disziplinen sich mit Texten beschäftigen, rezipieren und sie interpretieren." Auch der Byzantinist Prof. Michael Grünbart engagiert sich im Cluster, die Beschäftigung mit dem oströmischen Kaiserreich deckt einen wichtigen Teil der Mittelmeerkultur ab. Die byzantinische Kultur hatte eine Brückenfunktion zwischen dem islamischen Osten und dem lateinischen Westen und ist integraler Bestandteil des Mittelalterverständnisses. Knapp 30 Studierende besuchen derzeit die Vorlesungen und die Seminare der beiden Byzantinistik-Professoren, die bislang Angebote für verschiedene Studiengänge machen und nun gemeinsam mit der Frühchristlichen Archäologie einen eigenen Master-Studiengang planen. "Die 'Kleinen Fächer' haben den Vorteil, dass sie eine sehr intensive Betreuung anbieten können. Bei uns ist die Qualität der Ausbildung sicherlich einfacher zu halten als in den Massenfächern", meint Grünbart. Das spiegele sich auch darin wider, dass die meisten Studierenden, die ihr Studium abschließen, auch einen Arbeitsplatz finden, der ihrem Studium entspricht.

Keinen Master-, sondern einen Bachelor-Studiengang plant Prof. Regina Grundmann. Die 31-jährige Juniorprofessorin für Judaistik arbeitet seit Juni in Münster am Centrum für Religiöse Studien (CRS). Ihre Stelle wurde durch das Exzellenzcluster geschaffen und füllt eine wichtige Lücke: "Die jüdische Geschichte, Religion und Literatur sind ein unverzichtbarer Bestandteil des europäischen kulturellen Gedächtnisses", erklärt Grundmann. Trotzdem sind noch viele Aspekte unerforscht – immerhin umfasst das Forschungsgebiet drei Jahrtausende in den jeweiligen kulturräumlichen Zusammenhängen und in drei unterschiedlichen Sprachstufen des Hebräischen. Ihr geplanter Bachelor-Studiengang zeigt eines der Probleme der "Kleinen Fächer": Die geringe Personalausstattung führt dazu, dass die erforderliche Lehrkapazität nur in Kooperationen angeboten werden kann. Grundmann stimmt das Lehrangebot des geplanten Studiengangs mit Prof. Folker Siegert vom Institutum Judaicum Delitzschianum der Evangelisch-Theologischen Fakultät ab, für die notwendigen Sprachkurse setzt sie auf das Lehrangebot beider Theologien. Darüber hinaus sollen die Studierenden mindestens ein Semester an der israelischen Universität von Beer Sheva studieren. So soll der Studiengang nicht nur das interreligöse Potenzial des CRS aus Islamwissenschaft, orthodoxer Theologie und Judaistik nutzen, sondern auch die Kompetenz der internationalen Partner. "So wird die vermeintliche Schwäche wieder zur Stärke: Die 'Kleinen Fächer' sind darauf angewiesen, zu kooperieren und damit beispielhaft in der Netzwerkbildung", lobt Prorektorin Dr. Marianne Ravenstein das Projekt.

bn