Unprätentiös und präzise
David Lodge, der Großmeister des Campus-Romans, ist alt geworden und taub und sein neuester Protagonist mit ihm. Doch während für Hauptfigur Desmond Bates das Altern nur den Verlust von Libido und Gehör bedeutet, kann man bei Lodge einen beträchtlichen Zugewinn an Tiefgang und Gehalt beobachten. Natürlich macht sich Lodge wie gewohnt in „Wie bitte?“ über akademischen Leerlauf und verfehlte Hochschulreformen lustig, doch haben seine Figuren differenzierte Charaktere bekommen, die dem früheren satirischen Personal fehlten.
Der emeritierte Linguistikprofessor Bates muss sich mit seiner zunehmenden Schwerhörigkeit, der Demenz des Vaters und dem Auseinanderdriften seiner Ehe beschäftigen. Das alles ist nicht komisch, wenn es dem Normalbürger passiert. Lodge aber, laut Nachwort selbst schwerhörig, gelingt es, durch genaue Beobachtung dem Nicht-Verstehen und dem Ausgestoßensein aus der akustischen Welt die skurrilen Seiten abzugewinnen. "Taubheit ist komisch, Blindheit ist tragisch", notiert Bates in seinem Tagebuch. Aber Lodge zeigt auch die Tragik des Tauben, indem er beispielsweise aus Beethovens "Heiligenstädter Testament" zitiert: "Aber welche Demütigung, wenn jemand neben mir stund und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte, oder jemand den Hirten singen hörte, und ich auch nichts hörte. Solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben."
Auch Bates verzweifelt, fühlt er sich doch zunehmend isoliert und nutzlos angesichts seiner erfolgreichen, jüngeren Frau. Das lässt ihn einer durchgeknallten Doktorandin auf den Leim gehen, neben den sprachwissenschaftlichen Abhandlungen der überflüssigste Teil des Romans. Anrührend dagegen, wie Lodge Bates eine Bestimmung zurück gibt: Während sich früher seine Figuren überwiegend darum bemühten, mit der Frau des Kollegen zu schlafen oder die akademische Karriere voranzutreiben, besucht der Emeritus Auschwitz und pflegt den demenzkranken Vater. Unprätentiös, aber präzise und dadurch eindrucksvoll, beschreibt Lodge sowohl den Gang durch das Vernichtungslager Birkenau wie auch den Moment, in dem er zum ersten Mal den eigenen Vater wäscht.
Die Reflektion über das Altwerden weicht den Reflektionen über den Tod. Und endet wieder beim Leben, denn Bates gelingt es, seine Taubheit ebenso zu akzeptieren wie die Tatsache, dass sich Sex im Alter verändert, die Vertrautheit mit und Liebe zu einer Person aber nicht unbedingt. „Die Lippenlesestunden bringen mir immer wieder etwas Neues“, lautet der letzte Satz – das sind die Worte eines Menschen, der gelernt hat, sich würdevoll in sein Schicksal zu fügen, auch wenn so manches Missgeschick und so manches Missverständnis im Laufe des Romans etwas anderes vermuten ließen. Wie gut, dass David Lodge alt und weise geworden ist.
bn
David Lodge, "Wie bitte?" Blessing Verlag,München 2009, 19,50 Euro