|
muz

Alles unterbinden, was den Frieden stören könnte

Neue Untersuchungen zur Uni Münster in der NS-Zeit

Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Universität Münster ist mühsam – weil viele kleine Mosaiksteinchen zusammengetragen und bewertet werden müssen. Mathematik, Medizin und Katholische Theologie sind dabei einen guten Schritt weiter gekommen.

Die Mathematik wurde von den beiden Emeriti Prof. Jürgen Elstrodt und Prof. Norbert Schmitz unter die Lupe genommen. Sie erlebte in Münster während des Nationalsozialismus mit nur zwei Ordinarien einen wissenschaftlichen Aufschwung – und das, obwohl sie nicht mit den Machthabern konform gingen. "Es ist für mich fast unvorstellbar, ich hätte das nie geschafft", beschreibt Autor Schmitz die Haltung von Prof. Heinrich Scholz. Der verwendete sich für den Krakauer Theologen Jan Salamucha und den Warschauer Logiker Jan Lukasiewicz. Scholz, der sowohl seine Dissertation wie auch seine Habilitation in der Theologie geschrieben hatte und erst später zur mathematischen Logik wechselte, riskierte sein Ordinariat und damit seine berufliche Zukunft. "Er wusste nicht, wie sich alles entwickeln würde und hat sich trotzdem für diese Menschen eingesetzt", sagt Schmitz mit Bewunderung in der Stimme.

"Ich habe den Informationsausschuss nicht einberufen, weil das sinnlos ist."

Die beherrschende Figur am Institut war Prof. Heinrich Behnke. Der Ordinarius verfügte, so die Einschätzung von Schmitz, über außerordentliches Organisationstalent. Er war es, der die wenigen Studierenden – aufgrund des Krieges waren es mehr Frauen als Männer – für neue mathematische Ideen zu begeistern wusste. Noch bis in die 1940er Jahre versuchte er, den Kontakt mit ausländischen Kollegen zu halten, sei es nun, dass er zu Kongressen ins Ausland reiste, sei es, dass er ausländische Kollegen zu Gastvorträgen einlud. Nicht nur aufgrund seiner ersten, im Kindbett verstorbenen Frau, die Jüdin war, galt er den nationalsozialistischen Machthabern als unzuverlässig. Bereits 1934 wurde versucht, ihn aus dem Amt zu drängen. Nach dem Krieg wurde Behnke von den britischen Besatzungsbehörden als Chef des Entnazifizierungskomitees an der Uni Münster eingesetzt. Ein frustrierender Job, über den er schrieb: "Ich habe den Informationsausschuss nicht einberufen, weil das sinnlos ist. Vor allem sind die Mediziner nicht gewillt, irgendeine negative Auskunft zu geben. Ich habe (...) gerade wieder einen besonders krassen Fall erlebt, der die Sinnlosigkeit des Ausschusses ins hellste Licht rückt."

Die Mediziner gerieten vor anderthalb Jahren erneut in den Blickpunkt, weil bekannt wurde, dass der Hygieniker Prof. Karl Wilhelm Jötten, von 1934 bis 1955 in Münster, erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschülern durchgeführt hatte. Ein DFG-Projekt unter der Leitung von Prof. Hans-Peter Kröner vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin beschäftigt sich nun in den kommenden zwei Jahren mit den Verwicklungen der Medizinischen Fakultät der WWU und ihrer Vertreter in der Zeit des Nationalsozialismus.

Nicht alle Kliniken können untersucht werden, interessant sind vor allem Teilbereiche: die Frauenklinik, weil es hier zu Zwangssterilisationen gekommen sein dürfte, das Institut für Hygiene mit Jötten an der Spitze, die Psychiatrie um Ferdinand Kehrer. Der war der erste Dekan der Medizin nach dem Krieg, weil er niemals Parteigenosse gewesen war. Dafür aber Richter am Erbobergesundheitsgericht in Hamm, wo er über Zwangssterilisationen zu entscheiden hatte. In der Gerichtsmedizin wurde untersucht, ob Verbrechertum erblich sei, in der Orthopädie körperliche Missbildungen auf ihre Vererbbarkeit hin. Im Fokus der Aufmerksamkeit von Kröners Mitarbeiterinnen Dr. Ursula Ferdinand und Ioanna Mamali steht unter anderem der Selbstmord von Prof. Paul Krause. Der 1923 berufene Internist war schon vor 1933 ein Kritiker des Heilpraktikergesetzes. Zwar wurde er von der Universitätsleitung geschützt, doch von den Studierenden boykottiert. Einige seiner Assistenten sprachen ihm die Kompetenz ab und warfen ihm mangelnde nationalsozialistische Weltanschauung vor. Schließlich brachte er sich 1934 um. "Mit dem Nachfolger Krauses, Viktor Schillig, kam dann nicht die von manchen gewünschte nationalsozialistische Festigung, sondern eher Störungen und Unruhe in die Medizinische Fakultät. Seine ,Streitlust’ hatte nicht nur Auswirkungen auf die Lehre und Forschung sowie den Klinikalltag, sondern auch auf die Berufungspolitik an der Medizinischen Fakultät", so Ferdinand.

Kontinuitäten und Diskontinuitäten wollen Ferdinand und Mamali aufzeigen und dabei auch eventuelle Netzwerke aufspüren, die nach 1945 alte Nazis wie den Mengele-Doktorvater Otmar Freiherr von Verschuer nach Münster brachten. "Ich denke, es gibt noch Akten, die noch nicht geöffnet worden sind", vermutet Mamali. So lägen beispielsweise im Universitäts-Archiv 180 Kartons mit Patientenakten aus der Psychiatrie, die noch nicht ausgewertet sind.

Viele Akten aber sind auch verschollen, gesäubert worden oder verbrannt, musste Dr. Thomas Flammer vom Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte erfahren. Er hat die Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät schon vor anderthalb Jahren bearbeitet. "Die Fakultät war nicht so einheitlich geschlossen gegenüber dem Nationalsozialismus wie immer dargestellt. Ganz sicher aber war sie dem Reichswissenschaftsminister ein Dorn im Auge und sollte langsam ausgeblutet werden." Relativ schnell mussten Prof. Georg Schreiber und Prof. Joseph Schmidlin gehen. Vor allem Schmidlin, der gerne als Querulant beschrieben worden ist, erkannte früh die Gefahren des Nationalsozialismus. 1935 schrieb er an den Papst: "Die geradezu diabolischen und hassstrotzenden antichristlichen Angriffe und Hetzreden, die sich in letzter Zeit von offizieller deutscher Seite häufen, werden Ew. Heiligkeit nicht mehr darüber im Zweifel lassen, das von nationalsozialistischen und neuheidnischen Lager her alles zum Kampf drängt. (...) Wie kann auch die Kurie den Bischöfen vorwerfen, daß sie zu viel nachgeben und nicht hinreichend die katholischen Interessen verteidigen, wenn sie selbst darin mit dem übelsten Beispiel vorangeht? Als Papsthistoriker darf ich wohl behaupten, daß die Geschichte dereinst über dieses Versagen (um nicht mehr zu sagen) sehr scharf urteilen wird." Der Vatikan war gewarnt. Wie der Papst auf den mit Beginn des zweiten Weltkrieges einsetzenden systematischen Völkermord reagierte, ist allerdings unklar, denn die Vatikanakten ab März 1939 sind nach wie vor gesperrt.

In Münster setzten nach 1935 größere Veränderungen der Fakultät ein. 1936 heißt es in einer Beurteilung: "Aber auch die übrigen Mitglieder des Lehrkörpers bis auf wenige Ausnahmen, bezüglich derer aber auch keinerlei Illoyalität vorliegt, stehen dem neuen Staat positiv gegenüber und wirken auch in diesem Sinne auf die jungen Theologen." Gleichzeitig wurde die Arbeit der Fakultät immer weiter auf die klassischen theologischen Professuren beschränkt und die Einflussmöglichkeiten von Theologen in anderen Fachbereichen endgültig ausgeschaltet.

Nach dem Krieg wurde der frühzeitig emeritierte Georg Schreiber erster Rektor der Universität Münster unter den britischen Besatzern. Er, der selbst unter den Nationalsozialisten gelitten hatte, "sah sich jedoch veranlasst, alles zu unterbinden, was seiner Ansicht nach den Frieden an der Universität stören konnte", schreibt der Historiker Peter Respondek in seinem Band "Besatzung. Entnazifizierung. Wiederaufbau." "Der Universität nicht dienlich war, so seine Überzeugung, wenn ihr durch die Entnazifizierung die besten Kräfte entzogen würden, und allen, die Mitglied in der Partei oder in einer ihr angeschlossenen Organisation waren, ständig die mögliche Entlassung vor Augen stand."

bn