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Lehren lernen

Werkstatt für Pädagogik-Studierende

Der Junge brachte die angehende Lehrerin Julia Rudloff während eines Praktikums fast zur Verzweiflung: "Er log, aber ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte." Sie stellte das Problem fünf Kommilitonen vor – im strukturierten Rahmen einer kollegialen Fallberatung. Ein Student schlug ihr vor, den Schüler die erfundenen Geschichten malen zu lassen. Seine Annahme: Der Junge fühlte sich nicht genug beachtet und wollte über seine Lügen mehr Aufmerksamkeit bekommen. Über die selbst gemalten Bildern würde er sie erhalten. "Auf die Idee wäre ich nie gekommen", ist Rudloff immer noch von der einfachen Lösung begeistert.

Die kollegiale Fallberatung ist nur ein Beispiel für die vielfältigen Angebote der erziehungswissenschaftlichen Lehr- und Forschungswerkstatt (ELF). Aufgebaut hat sie Dr. Hedda Bennewitz, die im Bereich Schulpädagogik/Schul- und Unterrichtsforschung tätig ist. Sie wollte  gemeinsam mit Studierenden ein Angebot schaffen, das das theoretische Studium um praktische Einheiten für Studierende ergänzt. Sie sollten aus Angeboten wählen können, die andere Studierende für sie konzipieren und leiten – ähnlich wie beim Vorgängermodell, dem "PädPool". Finanziert wird "ELF" aus Studienbeiträgen.

"Wir haben hier ein riesiges Übungsfeld", schwärmt Bennewitz. So seien beispielsweise viele Studierende als Tutoren tätig – perfekt, um eigene Leitungskompetenzen zu schulen. Über "ELF" können Studierende das Zertifikat "lehren.lernen" erwerben, an Tutorenprogrammen teilnehmen und in Forschungswerkstätten gemeinsam mit Lehrenden an Methoden der empirischen Sozialforschung oder Problemen aus der Praxis feilen. Darüber hinaus bieten Studierende im Rahmen von "ELF" verschiedene Trainings an, etwa zur Stimmbildung und Gesprächsführung oder zur Körpersprache. Demnächst soll für die erste Master-Kohorte noch ein Mentorenprogramm hinzu kommen.

Beispiel Tutorenprogramm: Bennewitz schulte zunächst vier so genannte Meta-Tutoren, die wiederum jeweils ein Seminar für zehn Studierende anboten, die als Tutoren arbeiteten. Die Veranstaltung besuchten sie begleitend zu ihrem Lehrangebot und konnten sich so immer mit ihrer Gruppe besprechen, wenn Probleme in den Tutorien auftraten. Im folgenden Semester konnte Bennewitz schon auf einen Pool von 44 Tutoren zurückgreifen. Aus ihnen werden einmal im Jahr einige Studierende als Meta-Tutoren ausgewählt.

"Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht."

Auch die kollegiale Fallberatung ist bei den Studierenden beliebt: In Teams von fünf bis acht Personen spricht jeweils ein Teilnehmer über eine problematische Situation, der er als Leiter einer Gruppe ausgesetzt war. Das können wie bei Rudloff etwa Kinder im Schulpraktikum sein, die offensichtlich lügen. Es können aber auch Studierende sein, die sich gegenüber ihrem Tutor ablehnend verhalten und er dadurch verunsichert ist. Nachdem der Betroffene den Fall vorgestellt hat, suchen die Anwesenden nach Lösungsvorschlägen.

"Wenn man selbst in der Situation ist, sieht man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht", so Sabrina Uhling, die im Nebenraum an einer solchen Fallberatung teilnimmt. In solchen Situationen sei es sehr hilfreich, das Problem mehreren vorzutragen, lobt sie das Verfahren. "Zu zweit wären wir nie auf so viele Lösungsansätze gekommen", bemerkt Frauke Ruhardt, die erstmalig einen Fall vorgestellt hat. "Das Schöne ist, dass man für die kollegiale Fallberatung niemanden braucht, der professionell in dem Bereich tätig ist", erklärt Bennewitz.

Leistungspunkte gibt es nur für das Tutorenprogramm. "Aber die Leute kommen auch nicht hierher, weil sie Scheine sammeln", erklärt Nasim Daneshmand, die als studentische Hilfskraft bei "ELF" arbeitet. Stattdessen schule man eigene Leitungskompetenzen und das Reflexionsvermögen – für Lehrer unverzichtbare Eigenschaften. Wie wirke ich auf andere? Habe ich Autorität? Warum lehnt mich ein Schüler ab? Auch solche Fragen werden bei "ELF" thematisiert. "Studierende bekommen bei uns in angenehmer Arbeitsatmosphäre ein ganz ehrliches Feedback", betont Silke Denniger.

Von rund 9000 Studierenden im Bereich Lehramt und Diplom haben nach eineinhalb Jahren bereits 500 ein Angebot von "ELF" wahrgenommen. Die Mitarbeiter schmieden schon neue Pläne: "Die Leitung von Gruppen ist eine Schlüsselkompetenz", erklärt Bennewitz. Auch ein Chemiker oder Politikwissenschaftler müsse später vielleicht ein Team leiten und brauche entsprechendes Wissen auf diesem Gebiet. Bennewitz: "Wir würden gern gemeinsam mit anderen Instituten Konzepte für Schulungen entwerfen."

jri

http://egora.uni-muenster.de/ew/elf/