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Ertrinken im Erfolg

Als Volontärin in der Pressestelle kann man aus allen Wolken fallen – wenn man will

In der Unizeitung stellen wir gerne ungewöhnliche Ausbildungsberufe vor. Einer davon ist in der Pressestelle angesiedelt: Dort wird seit zwei Jahren eine Volontärin ausgebildet, die erste an der WWU. Im Laufe ihrer Ausbildung hat Juliette-ritz alle journalistischen Genres kennen gelernt und angewendet. Nur eines hat sie nie geschrieben: eine Reportage in der "Ich-"Form. Für die "wissen|leben" beschreibt sie, wie Anspruch des Ausbildungsvertrages und Alltag in der Pressestelle zusammen passen.

Das Telefon klingelt, der WDR ist dran. Auf meinem Monitor plingt eine E-Mail nach der nächsten auf. Hinter mir stürzt mein Chef ins Büro und wedelt mit einem Blatt. Im Flur wirft ein Bauarbeiter gerade seinen Schlagbohrer an. Herzlich willkommen in der Pressestelle der Uni Münster!

Der Volontär erlernt die Rahmenbedingungen von Pressearbeit wie das Erstellen von Pressemitteilungen, Publikationen, Beantwortung von Anfragen, Reaktionen auf Berichterstattung bis hin zur selbstständigen Planung und Betreuung von Presseterminen und Pressekonferenzen.

Soll ich oder soll ich nicht? Vor mir auf dem Tisch liegt die fast vollständige Bewerbungsmappe für ein Volontariat in der Uni-Pressestelle. Zweifelnd wiege ich einen meiner Artikel aus den "Westfälischen Nachrichten" in der Hand. Seine Überschrift: "Haste mal ’ne Karte?" Der Inhalt: eine nicht sehr uni-freundliche Chronologie der misslungenen Kopierer-Umstellung an der WWU. Die Ehrlichkeit siegt, schließlich sollen die Mitarbeiter in der Pressestelle wissen, wer da demnächst mit ihnen zusammen arbeiten könnte. Nachdrücklich fragt mich Pressesprecher Norbert Frie einige Wochen später im Vorstellungsgespräch: "Können Sie Ihre eigene Meinung auch unterordnen?"

Seine Sorge ist nicht unbegründet: Während meines Studiums habe ich vor allem im journalistischen Bereich gearbeitet. Bei Radio Q, dem Campusradio in Münster, berichteten wir kritisch über Hochschulpolitik. Anfangs bin ich hin und her gerissen zwischen zwei Welten. Die meisten meiner Freunde studieren noch, ich dagegen vertrete als Mitglied der Stabsstelle die Politik des Rektorates. Mich konfrontieren mehr als einmal Gegner von Studiengebühren mit ihrer Wut, auch im Freundes- und Bekanntenkreis. "Wie kannst Du nur für die Uni PR machen? Die verlangen Studiengebühren!" funkelt mich ein Student auf einer Tagung böse an. Ich antworte: "Weil ich Forschungsergebnisse, studentische und wissenschaftliche Initiativen nach wie vor für berichtenswert halte."

"Wollen Sie mal Fallschirmspringen gehen?"

Der Volontär arbeitet bei der Erstellung regelmäßiger Printpublikationen wie der Universitäts-Zeitung mit. Er arbeitet unter der publizistischen Verantwortung der Ausbildungsredakteurin an der Konzeption und Realisation einer zweimal im Jahr erscheinenden Mitarbeiterzeitung mit. Dazu erlernt er auch die Grundlagen des Ganzseitenumbruchs.

"Wollen Sie mal Fallschirmspringen gehen?" Ein auf den ersten Blick verlockendes Angebot, das mir Ausbildungsredakteurin Brigitte Nussbaum nach rund einem Jahr Volontariat macht. Über Langeweile kann ich mich ohnehin nicht beklagen: Bundespräsident Horst Köhler hat mir im Bibelmuseum die Hand geschüttelt und der Dalai Lama ist im Schloss an mir vorbeigewuselt. Nun also Fallschirmspringen. Wagemutige Studierende können sich dafür seit 2007 beim Hochschulsport anmelden. Auch die Universitätszeitung will jetzt über das Thema berichten. Ich überlege hin und her. Als ich den Sprungkurs schließlich im August besuche, bin ich immer noch unentschlossen. "Schatzi, gar kein Problem, wenn Du doch noch springen willst", hat mir der Geschäftsführer des Fallschirmclubs vor meinem Recherchebesuch versichert.

Die vierstündige Theorieeinheit zu möglichen Sprungpannen und Gefahren verfolge ich mit Magengrummeln. Fangleinen können sich verdrehen, Zellen des Schirms nicht vollständig mit Luft gefüllt sein oder Springer beim Landeanflug verunglücken, weil sie zu schnell sind. Ich und Springen? Nein danke! Ich entscheide mich für die gemütliche Variante und begleite einige Fallschirmspringer in der Cessna nach oben. Unter uns türmen sich Wolkenberge auf, über uns strahlt der Himmel in tiefem Blau. "Schön, was?" raunt mir der Pilot zu. Drei Tage später erhalte ich vom Geschäftsführer eine E-Mail. Bei der Fallschirmlandung hat sich ein Anfänger am Rücken verletzt. Er liegt im Krankenhaus.

"Warum brauchen Sie denn eine Quittung für die ,Bild’-Zeitung?"

Der Volontär erhält eine gründliche Einarbeitung in die verschiedenen journalistischen Genres, in Recherche und Interviewtechniken sowie in Medienrecht und Medienethik. Er erlernt den sicheren Umgang mit der digitalen Fotografie und die Möglichkeiten der Bildgestaltung.

"Manchmal müssen Sie Gesprächspartner vor sich selbst schützen", bläut mir Nussbaum frühzeitig ein. Der Satz geht mir durch den Kopf, als ich vor dem Wissenschaftler sitze und er mir von den Opfern erzählt, die die Forschung manchmal fordert – etwa seine Ehe, die auf der Kippe stand. Die Aussage trifft den Kern des Artikels. Aber kann ich das schreiben? Nein. Und das nicht nur, weil mir dann die Ausbildungsredakteurin auf die Finger klopft und wir keine Auflagenzahlen in die Höhe treiben müssen, sondern auch, weil die Uni-Öffentlichkeit so was nichts angeht. Wir versuchen, die Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, aber sie nicht bloß zu stellen. Denn: Die Uni-Zeitung ist kein Boulevard-Blatt.

Der Volontär beteiligt sich an der täglichen Erstellung des Medienechos und der Pflege des Archivs, einschließlich der Archivierung digitaler Fotos. Er beteiligt sich an anfallenden Verwaltungsaufgaben wie der Erledigung von Post oder der Erstellung von Arbeitsmaterialien.

Immer wenn Redaktions-Assistentin Monika Carretero im Urlaub ist, steht eine besondere Mutprobe auf dem Ausbildungsplan: Für den Pressespiegel muss ersatzweise ich die "Bild"-Zeitung kaufen. An jenem denkwürdigen Morgen stehen zwei, drei Leute hinter mir, als ich in der Bäckerei an der Reihe bin. Ich bestelle Milchbrötchen und das Boulevardblatt. Ganz leise bitte ich beim Bezahlen um eine Quittung für die Zeitung. Hinter mir schüttelt ein Mann den Kopf. Die Verkäuferin tönt empört: "Warum brauchen Sie denn ’ne Quittung für die ‚Bild’-Zeitung? Setzen Sie die etwa von der Steuer ab?" Ich erkläre ihr mit rotem Kopf, dass ich die ‚Bild’ beruflich lesen muss und deshalb einen Kassenbeleg brauche. Ungläubig schaut sie mich an und fragt abfällig: "Warum abonnieren Sie sie dann nicht?" Überflüssig, ihr zu erklären, dass man die "Bild" nicht abonnieren kann.

Der Volontär lernt die Instrumente der Online-PR einer Hochschule kennen. Er erlernt die Arbeit mit dem Contentmanagementsystem "Imperia" und erhält einen Einblick in programmiertechnische Standards im Web.

Bei Peter Wichmann in der Online-Redaktion mache ich vier Wochen Station. Ich soll die Bildergalerie der Pressestelle aktualisieren und das Contentmanagementsystem "Imperia" lernen. Eigentlich. Denn in diese Zeit fallen viele Termine, die ich betreue: Das Kinderferienprogramm des Servicebüros Familie startet, im Franz-Hitze-Haus diskutieren Wissenschaftler über die Internetnutzung von Migranten und drei niederländische Spürhunde besuchen zwecks Sprengstoffübung das Institut für Anorganische Chemie. Wichmann verdächtigt mich bald schmunzelnd, dass ich die Online-Redaktion absichtlich meide, um der Technik fernzubleiben.

In diese Zeit fällt auch der Tag, an dem ich meinen Chef das einzige Mal während des ganzen Volontariats wütend erlebe. Alles beginnt mit einer harmlosen Pressemitteilung, die eine Kollegin versendet. Als ich nach kurzer Zeit in mein E-Mail-Programm schaue, quillt es bereits über. Bei den Kollegen laufen die Telefone heiß. Journalisten rufen an und geben uns gut gemeinte Ratschläge. Wir stellen fest, dass die Meldung nicht nur einmal gesendet wurde, sondern Hunderte von Malen die Redaktionen im  Münsterland zugemüllt hat. Kurz bevor ein wild gewordender Server abgeschaltet werden kann und damit die E-Mail-Flut stoppt, registrieren wir den Namen der Pressemitteilung: "Ertrinken im Erfolg" ...